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Kommissionspräsident: EU-Gipfel setzt Juncker gegen Cameron durch

EU-Kommissionspräsident: Wahl im Europaparlament am 16. Juli
EU-Kommissionspräsident: Wahl im Europaparlament am 16. Juli ©APA/BKA/ANDY WENZEL
Der EU-Gipfel in Brüssel hat den früheren Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker für das Amt des nächsten EU-Kommissionspräsidenten nominiert. Am 16. Juli soll er im EU-Parlament gewählt werden und damit auf Jose Manuel Barroso folgen.

Dies teilte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy via Twitter mit. Nach Angaben von Diplomaten erfolgte die Entscheidung mit 26 pro-Stimmen gegen die Stimmen des britischen Premier David Cameron und des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban. Gratulation für Juncker kam umgehend von seiner Landsfrau, der Luxemburger EU_Justizkommissarin Viviane Reding. “Ein erfahrener Europäer am richtigen Platz”, twitterte sie. “Die Vernunft hat gesiegt”.

Somit wurde erstmals ein EU-Kommissionspräsident in der Geschichte der EU nicht im Konsensverfahren ernannt. Junckers Wahl durch das Europäische Parlament gilt als sicher, Konservative und Sozialdemokraten sowie Liberale wollen ihn unterstützen.

Wahl im EU-Parlament am 16. Juli

Juncker, der spitzzüngige Europa-Dinosaurier, soll am 16. Juli im EU-Parlament als Präsident gewählt werden. Er braucht 376 der insgesamt 751 Stimmen. Vorher muss er sich einer Anhörung stellen. Die beiden großen Parteifamilien Konservative und Sozialdemokraten sowie die Liberalen haben bereits im Vorfeld die Unterstützung des früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten und langjährigen Eurogruppen-Chefs angekündigt.

Der heute 59-jährige Christdemokrat Juncker war bis zu seiner Abwahl als Luxemburger Regierungschef dienstältester Europäer in der Gipfelrunde. Er war von 2004 bis Ende 2012 Chef der Eurogruppe.

Van Rompuy kündigt Gipfel mit Juncker an

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat einen weiteren EU-Sondergipfel am 16. Juli zur Besetzung weiterer EU-Spitzenposten angekündigt. An diesem Tag werden die EU-Staats- Regierungschefs eine Diskussion mit dem designierten EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker führen, so Van Rompuy am Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Juncker soll zuvor vom EU-Parlament gewählt werden.

Van Rompuy bestätigte auch, dass Juncker in einer formellen Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit gegen die Stimmen Großbritanniens und Ungarns nominiert wurde. “Abgesehen von Großbritannien und Ungarn stimmten alle Länder dafür”, sagte er. Van Rompuy sagte: “Ich habe Jean-Claude Juncker bereits telefonisch beglückwünscht.” Der scheidende EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso sagte Juncker sei eine “gute Führungskraft, eine Persönlichkeit mit viel Erfahrung.”

Zäsur in der Geschichte der EU

Die Nominierung von Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionschef ist eine Zäsur in der Geschichte der Europäischen Union. Erstmals wurde mit Großbritannien ein Mitgliedsland in einer so wichtigen Personalfrage überstimmt. Das Prinzip, dass die EU-Wahl über Spitzenkandidaten den EU-Kommissionspräsidenten entscheidet, dürfte damit unumkehrbar – wenn auch ungeschrieben – als Praxis verankert sein.

Juncker von Briten zum Feindbild stilisiert

Für eine Klärung des britischen Verhältnisses zum Rest der EU wird das Votum beschleunigend wirken. Juncker wurde von britischen Politikern und Medien zum Feindbild eines “Erz-Föderalisten” stilisiert, der immer mehr Kompetenzen nach Brüssel holen will. Dass der britische Premier David Cameron Juncker als Person (“ein Gesicht der 80er Jahre”) und weniger mit inhaltlichen Begründungen ablehnte, betrachten EU-Diplomaten in Brüssel als eine der Fehleinschätzungen der britischen Regierungen in ihrer letztlich erfolglosen Kampagne gegen den Luxemburger.

Für den unterlegenen Cameron stellt sich die Frage, wie er weiter mit der europaskeptischen Stimmung auf der Insel umgeht. Juncker wiederum wird auf Cameron zugehen müssen, denn ein von dem britischen Premier ins Spiel gebrachter Austritt der Briten aus der Gemeinschaft dürfte letztlich nicht im Interesse beider Seiten liegen.

Sieg gegenüber bisherigem “Kuhhandel”

Mit der Personalie Juncker hat das Europaparlament einen Sieg gegenüber dem bisherigen “Kuhhandel” der europäischen Staats- und Regierungschefs bei der Bestellung des Kommissionspräsidenten errungen. In Zukunft müssen sich Kandidaten innerhalb ihrer Parteien und in Kampagnen mit Programmen durchsetzen, anstatt dass eher farblose Kompromisskandidaten wie 2004 der damals als Überraschungskandidat präsentierte Jose Manuel Barroso in Hinterzimmer-Deals bestellt werden. Damit wären in Zukunft alle Spitzenpolitiker als Kandidaten ausgeschlossen, die sich nicht vorher im Rahmen der Europawahl aufstellen lassen.

Demokratie-Experiment führt zu Polarisierung

Doch das demokratische Experiment “Spitzenkandidaten”, für das Juncker symbolisch steht, hat auch zu einer Polarisierung in der EU geführt. Das EU-Parlament hat von Anfang an damit gedroht, jeden alternativen Kandidaten abzulehnen. Dies wurde in so manchen Regierungsdelegationen als “Aufoktroyieren” und inakzeptabler Akt empfunden, wie ein Diplomat schilderte. Gipfelchef Herman Van Rompuy und Länder wie Schweden und Ungarn pochten auf den geltenden EU-Vertrag, in dem zwar festgelegt ist, dass das Ergebnis der Europawahl berücksichtigt werden muss, aber kein Wort über “Spitzenkandidaten” steht.

Nicht nur Cameron, dessen Tories 2009 aus der Europäischen Volkspartei (EVP) von Juncker ausgetreten sind, lehnte das “Spitzenkandidaten”-System vehement ab. Auch im Lager der Juncker-Befürworter herrscht die Sorge vor, dass damit das EU-Parlament im Gefolge dieses Machtkampfes auch bei Gesetzesprojekten viel stärker die EU-Kommission unter Druck setzen wird.

Die Bestellung Junckers zeigt auch, wie schwer sich die Regierungschefs mit dem demokratischen Experiment getan haben, und wie sehr einige die Dynamik des Projektes unterschätzten. “Kein Automatismus” bei der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten wurde zum Synonym für die zwiespältige Haltung, welche die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lange in der Juncker-Frage einnahm, ehe sie unter dem Druck der Medien in ihrem Land auf eine klare Unterstützung des Luxemburgers einschwenkte.

Zumindest aus dem EU-Vokabular ist der Begriff “Spitzenkandidaten” nicht mehr wegzudenken. Sogar im Englischen gibt es keine Alternative zu “the Spitzenkandidat”.

(APA/red)

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