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EU erhöht im Verfassungsstreit Druck auf Ungarn

Ungarischer Premier Orban kündigte Einlenken an.
Ungarischer Premier Orban kündigte Einlenken an. ©AP
Im Konflikt um die umstrittenen ungarischen Verfassungsänderungen erhöht die Europäische Union den Druck auf die Regierung in Budapest.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding schloss am heutigen Mittwoch vor dem Europaparlament auch eine Anwendung von Artikel 7 des EU-Vertrags, die zum Entzug des Stimmrechts für Ungarn führen könnte, nicht aus. In einer Debatte im Europaparlament übten zahlreiche Abgeordnete scharfe Kritik an der Politik des konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban, dem Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaat vorgeworfen werden.

“Atombombe” Artikel 7

Reding schloss in ihrer Wortmeldung weitere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn nicht aus. Auch der wegen seiner weitreichenden Wirkungen “Atombombe” genannte Artikel 7 könnte angewendet werden. Zugleich verwies sie auf die jüngste Initiative von mehreren Außenministerin der EU, wonach ein Instrumentarium entwickelt werden soll, das zwischen dem Artikel sieben und dem Vertragsverletzungsverfahren angesiedelt sei. “Wir müssen eher in der Lage sein, einzugreifen, wenn Probleme wie die jetzigen in Ungarn auftreten”. Reding kündigte für Juni einen Bericht zu Ungarn an.

Ungarischer Premier gab teilweise nach

Der ungarische Premier Orban hatte am gestrigen Dienstagabend in einer separaten Aussprache mit Parlamentariern der Europäischen Volkspartei (EVP) teilweise nachgegeben und ein Einlenken in zwei von drei Kritikpunkten angekündigt. Um welche es sich dabei handle, wurde in EVP-Kreisen nicht näher ausgeführt. Zugleich argumentierte er, dass andere EU-Staaten wie die Niederlande oder Litauen ähnliche Regelungen haben wie Ungarn.

Kritik von Hannes Swoboda

In der Plenardebatte am Mittwoch übte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, scharfe Kritik an Orbans Regierung. Ihr Vorgehen sei “inakzeptabel”. Keine Regierung könne “beliebig Gesetze beschließen”. Auch wandte er sich dagegen, eine Debatte zwischen Linken und Rechten bei Ungarn zu sehen. “Barroso, Reding und Spindelegger sind Linke?”, fragte er die Abgeordneten. Er forderte auch die Regierung in Budapest auf, entschieden gegen jüngste antisemitische Hetze gegen Professoren vorzugehen.

Verfahren gegen Ungarn gefordert

Von den Liberalen forderte der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt ein Verfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Ungarn sei dem Verstoßverfahren nicht nachgekommen und habe das EuGH-Urteil nicht umgesetzt. Das Hauptproblem sei derzeit, dass die Befugnisse des Verfassungsgerichts in Ungarn eingeschränkt werden. Es gehe um eine Konzentration der Befugnisse der Justiz in den Händen nationaler Beamte.

“Man hat sie, kann sie aber auch nicht einsetzten”

Die Grüne Rebecca Harms trat gegen ein Artikel 7-Verfahren gegen Ungarn ein. “So einleuchtend das auch scheint, das ist wie bei der Atombombe, man hat sie, aber man kann sie eigentlich auch nicht einsetzen”, sagte sie. Harms kritisierte die EVP, wo die Abgeordneten “nicht das Kreuz haben, sich für vieles, was ihre Kollegen in Ungarn machen, zu entschuldigen”.

“Juristisch recht sterile Debatte”

Seitens der Europäischen Volkspartei (EVP) versuchte der Abgeordnete Frank Engel die Wogen zu glätten. Es handle sich um eine “juristisch recht sterile Debatte”. Die Frage sei, was mit einer Zweidrittel-Mehrheit gemacht werden könne. Jedenfalls gebe es auch den Eindruck einer gewissen Legitimität der Regierung von Viktor Orban. Dei Gefahr bestehe auch, dass sich “alle zu sehr in Ungarn verbeißen, und dass die ungarischen Bürger das Gefühl bekommen, dass Europa nicht auf ihrer Seite ist”. Die Griechen hätten dieses Gefühl schon, die Zyprioten auch, die Italiener aus anderen Gründen und auch die Portugiesen. “Schlussendlich ist Europa gerade dabei, die Bevölkerung zu verlieren”.

Sache der Kommission

Die irische EU-Ratsvorsitzende Europaministerin Lucinda Creighton sagte, es sei jetzt Sache der Kommission, eine Bewertung vorzunehmen. Die irische Präsidentschaft unterstütze die Haltung der Kommission. Der Rat selbst habe aber noch keine Position formuliert.

Artikel 7: Zweistufiges Verfahren gegen Mitgliedsstaaten

Artikel 7 des EU-Vertrags sieht ein zweistufiges Verfahren gegen Mitgliedsstaaten vor, die gegen Grundwerte wie Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte verstoßen. Bei der Gefahr einer Verletzung dieser Grundwerte kann ein Land zunächst von den anderen EU-Staaten mit Vier-Fünftel-Mehrheit verwarnt werden. Lenkt es nicht ein, ist im zweiten Schritt die formelle Feststellung möglich, dass dieses Land die Grundwerte schwerwiegend und andauernd verletzt. Dafür bedarf es dann eines einstimmigen Beschlusses der EU-Regierungen mit Ausnahme der betroffenen. In der Folge können auch die Stimmrechte des Staates mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss ausgesetzt werden. Das Verfahren nach Artikel 7 kann von einem Drittel der EU-Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission oder dem Europaparlament initiiert werden. (APA)

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