AA

Erwin Wurm "Bei Mutti": Ausstellung in Berlin

Wurm hat seine Probleme mit österreichischen Seele
Wurm hat seine Probleme mit österreichischen Seele
"Es gibt eine sehr niedrige Eingangsschwelle". Das sagte am Mittwoch, der österreichische Künstler Erwin Wurm anlässlich eines Presserundgangs in der ihm gewidmeten Ausstellung mit dem Titel "Bei Mutti" über seine Arbeiten. Die Schau wird von Freitag bis 22. August in der Berlinischen Galerie in Berlin zu sehen sein.


“Die Menschen glauben gleich dabei zu sein und sagen: Haha, das ist lustig”, sagte Wurm. Jedoch: “Was ich hasse wie die Pest, denn es ist nicht lustig. Das ist die schräge Art der Österreicher mit den Dingen umzugehen.” Gleich am Beginn der Ausstellung empfängt das monumentalste Stück aus Wurms Schaffen: “Narrow House” ist sein programmatischer Titel und bildet Wurms Elternhaus in der Steiermark ab. Mit dem spitzen Giebel passt die Originalhöhe gerade noch in den großen Saal der Galerie, von den Seitenmaßen her ließe sich der Bau mit seinen 1,10 Metern aber bequem in ein Wohnzimmer schieben. Er wirkt, als wäre er zwischen zwei Riesenhänden zusammengedrückt worden.

Innen sind die Räume gerade schulterbreit. Alle Möbel, vom Küchentisch bis zur Toilette, sind auf schmalstes Maß reduziert, was den Eindruck der Enge entstehen lassen soll, “das Beispiel einer sehr geschlossenen Gesellschaft”, so Wurm. Als er sich entschlossen habe Kunst zu studieren, sei er für seinen Vater, einen Polizisten, mit einem Bein bereits im Kriminal gestanden. “Das sind Häuser, die keinen Architekten mehr brauchen, das kann man alles im Bauhaus kaufen”, ergänzte der Künstler. In so einer “Grässlichkeit” aus den 70er-Jahren, die die Gesellschaft jener Zeit wiederspiegle, sei er aufgewachsen.

In einem anderen Saal sind Wurms “One Minute Sculptures” ausgestellt, mit denen Wurm laut Museumsdirektor Thomas Köhler “Kunstgeschichte geschrieben hat”. Es handelt sich um alltägliche Gegenstände, mit denen etwas zu tun die Besucher aufgefordert werden und so selbst für einige Augenblicke zur Skulptur werden. Neben einer Handtasche hat der Künstler etwa eine Figur als Anleitung gezeichnet, die sie sich auf den Kopf setzt und hat dazu geschrieben: “Keine Zweifel.”

Pikanterweise neben einem muslimischen Gebetsteppich fordert Erwin Wurm auf, sich gerade darauf zu setzen: “Tief einatmen, Luft anhalten und an Spinozas freien Willen denken.” Eine Installation, die eine Verbindung zu Wurms Beschäftigung mit Philosophie herstellt. Eine Hundehütte mit zwei versetzt gegenüberliegenden Eingängen, in die man den Kopf stecken soll, nennt er Beichtstuhl. “2000 Jahre katholische Kirche, 700 Jahre Monarchie, die ja auch ein restriktives System war – zwischen diesen Machtblöcken ist das entstanden, was man die österreichische Seele nennt”, so Wurm.

“Die Gegenstände verkommen zu Kuriositäten aus alter Zeit”, sagte Wurm. Um das zu vermeiden, habe er mit den Museen Verträge geschlossen, sie nach 20 Jahren gegen zeitgemäße Objekte auszutauschen. Er produziere kaum mehr neue “One Minute Sculptures”, weil er der Falle entgehen wollte, da sich damit gut Geld verdienen ließe.

Deshalb werden neben mehr als 70 Zeichnungen auch neue Werke des Künstlers gezeigt: Übergroße Objekte des Alltags in Weiß oder Creme mit starken Zerstörungsspuren. “Ich habe mich in meiner Arbeit immer mit Deformierung beschäftigt”, sagte Wurm zur Erklärung, er sei angetrieben vom Misstrauen gegenüber einer bestimmten Form. Da sieht man ein eingedrücktes Fauteuil, das mannshohe Ziffernblatt einer Uhr mit Reifenspuren quer darüber oder eine Liege mit Fußeindrücken, als wäre sie aus Schaumstoff. “Ich habe die Dinge in den Größenverhältnissen geändert, in Ton modelliert und devastiert.” Etwa ein Riesenhandy, das aussieht, als wäre es beschossen worden.

Die ersten Kontakte der Berlinischen Galerie zu Erwin Wurm, der 1987 Stipendiat des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin war, lägen sechs Jahre zurück, sagte Museumsdirektor Köhler. Sukzessive sei das Konzept der aktuellen Ausstellung entstanden, die sich “mit Körper und Körperlichkeit” beschäftige. Neue Werke sind auch in seiner nächsten Schau zu sehen, die ihn ab 23. April ins Landesmuseum NÖ führt, wo er seine Arbeiten unter dem Titel “Ende” in einer Doppelausstellung mit Leopold Kogler präsentiert. Im nächsten Jahr wird Wurm dann gemeinsam mit Brigitte Kowanz Österreich bei der Kunstbiennale in Venedig vertreten.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Kultur
  • Erwin Wurm "Bei Mutti": Ausstellung in Berlin