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"Erkennen und Schreiben" - Simone de Beauvoir vor 100 Jahren geboren

Als "Tochter aus gutem Hause" wurde Simone de Beauvoir vor 100 Jahren, am 9. Jänner 1908, geboren.

Im so betitelten ersten Teil ihrer Autobiografie beschreibt sie ihr Aufwachsen innerhalb der französischen Bourgeoisie, deren Grundfeste sie mit ihrer analytischen Arbeit später so nachhaltig erschüttern sollte. Mit ihrem einflussreichsten Werk “Das andere Geschlecht” (“Le deuxieme sexe”, 1949) begründete sie den modernen Feminismus. Aber auch als Schriftstellerin, die nicht nur Fragen des Existentialismus in ihren Romanen verarbeitete, gehört die Lebensgefährtin Jean-Paul Sartres zu den wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.

Ihrem Werk ging immer ihr Leben, ihr persönliches Betroffensein voraus. Ehe sie über die Gründe für die Unterdrückung der Frau mit bis dahin ungekannter Radikalität reflektierte, hatte sie in ihrem eigenen Leben bereits ebenso radikale Akzente gesetzt: Als neunte Frau in Frankreich bestand sie die prestigeträchtige Agregation in Philosophie als Zweitbeste hinter Sartre, der allerdings zuvor einmal durchgefallen war. Mit ihm verband sie eine Beziehung, die durch großes Vertrauen, durch völliges Einbeziehen des anderen in die eigene Arbeit, aber auch durch Verweigerung jeder Einschränkung persönlicher Freiheit definiert war. Weder ein gemeinsamer Haushalt, noch sexuelle Treue gehörten zu der lebenslangen Verbindung, die bis in das gemeinsame Grab am Friedhof von Montparnasse andauerte.

Dass de Beauvoir unter diesen selbst gewählten Freiheiten in der Beziehung auch litt, wird in ihren Romanen, wie “Sie kam und blieb” (“L’invitee”, 1943), ebenso wie in ihrer Autobiografie reflektiert: “Die Seelenqual, die ich empfand, geht weit über reine Eifersucht hinaus”, schreibt sie etwa. Dennoch wurde de Beauvoir später vor allem als abgeklärte Analytikerin und scharfe Kritikerin “weiblichen Verhaltens” wahrgenommen.

Dabei war das konsequente Aufdecken von Weiblichkeit als gesellschaftlicher Mythos, die sie in “Das andere Geschlecht” so schonungslos vollzog, für sie nur eine logische Folge ihres politischen und philosophischen Denkens. Ihre anfängliche Verweigerung gegenüber dem Feminismus begründete sie denn auch mit der Annahme, dass die Frauenfrage sich mit der sozialen Frage von selbst regeln würde. Erst ab 1970, nachdem ihre Hoffnungen in den Kommunismus erloschen waren, schloss sie sich der Frauenbewegung an.

Man werde nicht als Frau geboren, sondern von der Gesellschaft zur Frau gemacht: Diese Erkenntnis über Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen, die ein Fundament des modernen Feminismus darstellt, zieht sich in veränderter Form durch Beauvoirs gesamtes Werk: Ihre Romane “Das Blut der anderen” (“Le sang des autres”, 1945), der die Erfahrungen während der Resistance verarbeitet, “Alle Menschen sind sterblich” (“Tous les hommes sont mortels”) oder “Die Mandarins von Paris” (“Les Mandarins”), der ihr 1954 den “Prix Goncourt” einbrachte, verarbeiten die existenzialistische Philosophie beispielhaft. Aber auch mit Themen wie Alter und Tod, Liebe und Familie setzte Beauvoir sich in ihrem Erzählwerk sensibel auseinander.

Während die Bedeutung de Beauvoirs bis heute vor allem in ihrem feministischen Werk gesehen wird, ist auch das Interesse an ihrem Leben, an Briefen und ihrer emotionalen Bewältigung ihrer Rolle als Intellektueller in jüngster Zeit gestiegen. Zahlreiche Bücher, darunter eine neue Biografie, versuchen den Menschen, die Frau hinter dem Werk zu erfassen, die sich bis zu ihrem Tod am 14. April 1986 konsequent und voller Überzeugung ihren teils schwierigen Lebensentscheidungen widmete. “Vor allem zwei Dinge haben meinem Dasein seine Einheit verliehen: der Platz, den Sartre niemals aufgehört hat, in ihm einzunehmen. Und die Treue, mit der ich immer an meinem ursprünglichen Projekt festgehalten habe: Erkennen und Schreiben.”

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