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Engpass bei FSME-Impfstoff in Europa

Europa - Was sich seit Wochen in ganz Europa abzeichnete, ist jetzt auch in Österreich eingetreten: Es gibt kaum mehr FSME-Impfstoff, das ist ein Impfstoff zum Schutz vor der Zeckenkrankheit.

Nachdem die Österreichische Apothekerkammer schon vor einiger Zeit und zuletzt noch Mittwoch am späten Nachmittag gegenüber der APA beschwichtigt hatte, musste Freitagvormittag eine Sprecherin der Standesvertretung plötzlich bekannt geben: „Der Impfstoff ist fast vergriffen.“ Dafür verantwortlich gemacht wird eine europaweit in diesem Jahr enorm gestiegene Nachfrage. In der zweiten Juni-Hälfte will einer der beiden Hersteller, Baxter, begrenzt nachliefern.

Die Impfstoffe zum Schutz vor der Zeckenkrankheit stammen von Baxter (ehemals Immuno) und von Novartis Behring (ehemals Chiron). Erste Meldungen über Knappheit hatte es Anfang Mai aus Skandinavien gegeben. Damals hieß es allerdings für Österreich laut Apothekerkammer, dies betreffe die Vakzine von Baxter, jener vergleichbare von Novartis Behring sei noch vorhanden und sei in den Apotheken jederzeit zu erhalten. Eine Sprecherin der Kammer am Freitag: „Der Impfstoff von Novartis geht auch dem Ende zu.“

Am 16. Mai hieß es in einer Presseaussendung von Novartis Behring: „Wegen deutlich höherer Nachfrage nach Impfstoff gegen Zecken-Hirnhautentzündung (…) ist Novartis Behring-Impfstoff ’Encepur’ für diese Saison nur noch begrenzt lieferbar. (…) Seit März hat sich die Nachfrage nach Encepur mehr als verdoppelt. Allein den letzten zwei Wochen sind bei Novartis Behring fünf Mal mehr Bestellungen eingegangen als im Vergleichszeitraum 2006 – selbst Nachtschichten haben da nichts ausrichten können.“ Noch am Mittwoch war davon in Österreich aber nicht die Rede.

Bei Baxter ist laut Dr. Wilhelm Erber die Situation ähnlich gewesen. Dieser erklärte am Freitag: „Wir haben europaweit eine noch nie da gewesene Nachfrage gehabt. Die Impfsaison (gegen FSME, Anm.) hat heuer schon im Jänner begonnen. Normalerweise beginnt das in April.“ Massiv sei die Nachfrage auch in Deutschland, Skandinavien, der Schweiz und in Tschechien gestiegen. Erber: „Für Österreich haben wir derzeit einen Engpass. Normalerweise haben wir Vorräte von 30 bis 40 Prozent der Gesamtproduktion.“

Das einzige Glück in dieser Situation: In Österreich haben sich die meisten Menschen, die sich gegen die FSME schützen wollen, schon längst immunisieren lassen. Ob eine Auffrischung oder eine Teilimpfung etwas früher oder später erfolgt, ist relativ egal. Der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze: „Es wird daher niemand akut geschädigt.“ Bisher sind in Österreich in diesem Jahr vier FSME-Fälle aufgetreten.

Die ungute Situation rund um die FSME-Vakzine wurde offenbar durch mehrere, zum Teil durchaus zur Werbung benutzte Faktoren hervorgerufen. Die Klimawandel-Diskussion und der warme Winter 2006/2007 führten dazu, dass Fachleute dies als zusätzliches Argument für die auf jeden Fall wichtige FSME-Impfung benutzen konnten.

„Die Zecken sitzen da und warten.“ So charakterisierte Ende Februar Horst Aspöck vom Hygiene-Institut der Medizinischen Universität Wien bei einer Pressekonferenz die Situation rund um die FSME. Für dieses Jahr sei mit einer erhöhten Aktivität zu rechen: Weil einerseits im Winter starke Temperaturschwankungen fehlten, andererseits keine sehr tiefen Temperaturen auftraten, welche die Mäusepopulation schädigten. Die Nager sind nämlich für die Entwicklung der Blutsauger wichtig. Besonders wichtig ist daher heuer die FSME-Impfung, wurde betont.

Wurde die FSME jahrzehntelang in Deutschland und in anderen europäischen Staaten ziemlich ignoriert, fand sie 2007 vermehrte Aufmerksamkeit. „Zwischen 1974 und 2003 hat die FSME in allen europäischen Ländern um 400 Prozent zugenommen. Überraschend ist, dass in den vergangenen zwei, drei Jahren noch einmal ein Zuwachs eingetreten ist“, erklärte Jochen Süss im Jänner bei einer Pressekonferenz in Wien.

Die Zahlen für die einzelnen betroffenen Länder sehen bedenklich aus: In Tschechien gab es 2006 gar schon 1.017 FSME-Patienten (Zunahme binnen zehn Jahren um 79,7 Prozent, von 2005 auf 2006 um 58,4 Prozent). In Deutschland waren es zuletzt 542 Patienten (plus 189,1 Prozent binnen zehn Jahren), in der Schweiz im vergangenen Jahr 256 Erkrankungen (plus 212,2 Prozent in einer Dekade). Diese Erkenntnisse – in Österreich sind es pro Jahr rund 100 Fälle – schlugen offenbar auf eine vermehrte Nachfrage durch.

Gleichzeitig wurde die FSME-Impfung seit Jahrzehnten als „Saison-Impfung“ beworben – eben für das Frühjahr. Dann gab es regelmäßig die Aktionen. Dabei kann man sich eine infizierte Zecke auch durchaus im Herbst „fangen“. Baxter will nach der derzeitigen Misere allerdings entsprechend nachliefern. „Ab September ist die Vakzine sicher wieder voll verfügbar“, sagte am Freitag Wilhelm Erber von dem Unternehmen in Wien. Mehr als 50 Prozent der Fälle von Frühsommer-Meningo-Enzephalitis treten übrigens in der zweiten Jahreshälfte auf. Längerfristig wird man sich bei den Erzeugern wohl darauf einstellen müssen, dass die FSME-Immunisierung für die Konsumenten zu einer Ganzjahres-Impfung wird.

An der Haltbarkeit der Vakzine können die Probleme nicht liegen. Die neuesten Chargen haben ein Ablaufdatum von erst 2009. Im Gegensatz zur Influenza verändern sich die Erreger auch nicht.

Doch produktionstechnisch können die Hersteller bisher leider nur sehr mangelhaft auf plötzlich gestiegene Nachfrage reagieren. Die FSME-Vakzine wird auf der Basis von infizierten und bebrüteten Hühnereiern hergestellt und kann nicht einfach hoch gefahren werden. „Damit haben wir eigentlich eine Vorlaufzeit von elf Monaten“, sagte Erber. Allerdings, international hat es in den vergangenen Jahren zu mehreren Gelegenheiten Probleme bzw. Engpässe bei verschiedenen Impfstoffen gegeben. Da dürfte die Industrie insgesamt gefordert sein, die Versorgungssicherheit besser zu gewährleisten.

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