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Eine Rampe zurück ins Leben

Josef Wessin aus Dornbirn konnte nach einem Schlaganfall die Wohnung nicht mehr verlassen. Erst die Adaptierung seines Zuhauses gab ihm die Freiheit, aus dem Haus zu gehen, zurück.
Leben & Wohnen

Mal kräftig einatmen: den Geruch von der Straße und den Staub tief in die Lungen saugen, die Hände nach den dicken Tropfen des beginnenden Sommerregens ausstrecken und lachen. Ganz einfach lachen. Und wenn Josef Wessin gekonnt hätte, hätte er jetzt, genau in diesem Augenblick, seine Anna zum Tänzchen aufgefordert.

Wie damals, vor exakt 50 Jahren, als sie ihre Liebe mit dem Bund der Ehe besiegelten und sich schworen, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen. Für Anna und Josef Wessin aus Dornbirn ist es nicht selbstverständlich, gemeinsam auf der Straße zu stehen. Lange Zeit sah es so aus, als ob das nie mehr möglich wäre. Der 73- Jährige konnte nach einem Schlaganfall nur noch wenige Schritte zu Fuß gehen. Daran, die Wohnung zu verlassen, war überhaupt nicht zu denken. Schließlich befand sie sich im dritten Stock und war nur über das Treppenhaus erreichbar. Lift gab es keinen. Das war in den 60er-Jahren, als die Anlage gebaut wurde, nicht üblich. Doch jetzt kommen die Bewohner in die Jahre, und das Stiegensteigen wird beschwerlich.

Der erste, bei dem das Schicksal hart zuschlug, war der langjährige Zumtobel-Angestellte. Doch die beiden wollten sich mit dem Schicksal nicht abfinden. Ausziehen? „Klar haben wir daran gedacht“, erklärt Wessin. „Aber wir haben unser ganzes Leben ,g’schaffat und g’spärat’, um uns die Wohnung leisten zu können, wir wollten einfach bleiben.“ Kurzerhand hat sich das Ehpaar an Ing. Hermann Mayer vom Institut für Sozialdienste (IfS) gewandt. Der Experte für „Menschengerechtes Bauen“ wiederum nahm Kontakt mit der Vogewosi auf. „Vorarlbergs größte gemeinnützige Wohnbauvereinigung hat sich auch gleich sehr kooperativ gezeigt“, freut sich Mayer. „Mit der behindertengerechten Adaptierung in der Wohnanlage in Dornbirn Bremenmahd haben wir gemeinsam eine Pionierleistung erbracht.“

Dies wurde im Rahmen des achten Wettbewerbes für „Menschengerechtes Bauen“ gewürdigt und ausgezeichnet. Natürlich hat die Urkunde auch einen besonderen Platz in der Wohnung erhalten. Sie ist für das Ehepaar Wessin weit mehr als ein Stück Papier. Sie ist gleichbedeutend mit der Freiheit, die Josef Wessin durch die baulichen Maßnahmen wieder erlangt hat. Die Wohnanlage wurde mit einer Rampe versehen, die der Pensionist gut mit seinem Behindertenfahrzeug bewältigen kann. Zudem gibt es jetzt einen Lift in der vierstöckigen Wohnanlage, die insgesamt 15 Wohnungen zählt. In der Wohnung selbst musste das Bad umgebaut werden. Wie es in den 60er-Jahren üblich war, handelt es sich um einen kleinen Raum. „Es gelang uns dennoch, durch geschickte Planung auf den gerade mal 6,75 Quadratmetern (2,50 mal 2,70 Meter) ein behindertengerechtes WC und eine behindertengerechte Dusche unterzubringen“, so der Fachmann. Ein Haltegriff im Gang dient zur Sicherheit, wenn Josef Wessin einige Schritte zu Fuß in der Wohung zurücklegt.

Josef Wessin würde seine Anna jetzt gerne zum Tanz bitten. Immerhin feiern die beiden gerade ihr goldenes Hochzeitsjubiläum. Der Sommerregen versprüht seinen charakteristischen Duft. Es ist nicht weit bis zum Restaurant, und der Tisch ist reserviert. Doch in den Köpfen erklingt die Melodie, klopft der Dreivierteltakt – der Rhythmus eben, der die beiden von Anfang an durch dick und dünn begleitet hat

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