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Ein Visionär mit Bodenhaftung

Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski glaubt, dass sich die Gesellschaft durch die Krise zum Besseren wandelt.

2019 prognostizierte er ein Umdenken vom Wohlleben zum Wohlergehen und sagte: „Die Menschen sehnen sich nach Familie, Freunden, Freiheit und Frieden, sie suchen Halt. Ich erwarte eine Renaissance der Nachbarschaftshilfe“. Am Internationalen Wirtschaftsforum am 12. November in Bregenz referiert er über die Welt nach Corona: Der deutsche Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski glaubt, dass sich die Gesellschaft durch die Krise grundlegend wandelt – zum Besseren.

Als „Mr. Zukunft“ (dpa) und „Zukunftspapst“ (Rheinische Post) hat sich Prof. Dr. Horst W. Opaschowski im In- und Ausland profiliert. Der 79-Jährige zählt zu den führenden Zukunftsforschern Europas und wird geschätzt als Visionär mit Bodenhaftung, der als „leidenschaftlicher Anwalt für eine neue Generationengerechtigkeit“ (Die Zeit) agiert.

Stimmungen analysiert

Opaschowski promovierte an der Universität Köln und arbeitete als Politikberater für die Bundesregierung. Mit 33 Jahren wurde er als Professor an die Universität Hamburg berufen, an der er bis 2006 lehrte. Bereits 1979 gründete Opaschowski das BAT Freizeit-Forschungsinstitut, das 28 Jahre lang unter seiner Leitung stand. Dort widmete er sich der Erforschung aktueller ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Trends und Entwicklungen. Seit 2014 ist er Wissenschaftlicher Leiter des Opaschowski Instituts für Zukunftsforschung in Hamburg. Für seine Verdienste wurde er unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.In seinen Bestsellern und Vorträgen analysiert Opaschowski die Stimmungen der Deutschen und lenkt den Blick auf bevorstehende Veränderungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Mit seinen vorausschauenden und fundierten Thesen zu aktuellen Themen wie Datenschutz, europäischer Finanzpolitik oder der Zukunft regenerativer Energien liefert er stichhaltige Antworten auf die gegenwärtig drängendsten Fragen der Zeit.

Der Zukunftswissenschaftler sagt: „Corona verändert uns für immer. Das betrifft unser Privatleben ebenso wie unser Arbeitsleben.“ Nach seiner Meinung, forciere die Pandemie ein Umdenken zum Thema Ehe und Familie. Er glaubt an eine Rückbesinnung auf Ehe und Familie. „Von einem Niedergang der Familie als Lebensform kann in Corona-Zeiten keine Rede mehr sein“, sagte er in einem Interview mit Vertretern der Deutschen Presse-Agentur. Es deute sich eine Trendwende an. In repräsentativen Umfragen sei der Anteil der Befragten, die sich nach der „Ehe mit Trauschein und Kindern“ sehnten, seit 2013 Jahr für Jahr gesunken, und zwar von 75 auf 63 Prozent Anfang 2019. Im Krisenjahr 2020 favorisiere die Mehrheit der Deutschen die Ehe als standesamtlich beglaubigte Lebensgemeinschaft. 69 Prozent der befragten Frauen und 65 Prozent der Männer hätten sich entsprechend geäußert. Die stärkste Zustimmung finde der Bund fürs Leben in der Generation der 40- bis 64-Jährigen mit 72 Prozent. In Deutschland leben nach Angaben von Opaschowski 18 Millionen Menschen in Ein-Personen-Haushalten, gewollt oder ungewollt. 1991 seien es zwölf Millionen gewesen. In Krisenzeiten jedoch fühlten sich Singles in ihren eigenen vier Wänden alleingelassen. Das sogenannte Social Distancing (räumliche Abstandhalten) in der Öffentlichkeit verstärke dieses Gefühl. Familienleben hingegen biete Beziehungsreichtum und gegenseitige Hilfe.

Kein Widerspruch

Die Statistik macht noch keine Aussage über mögliche Auswirkungen der Corona-Einschränkungen hinsichtlich der Ehescheidungen in diesem Jahr. Experten erwarten jedoch eine Welle an Trennungen. Die Zwangsnähe sei eine radikale Belastung für Beziehungen. Opaschowski sieht darin keinen Widerspruch zu dem von ihm festgestellten Wertewandel: „Getrennte sehnen sich nach einer neuen Beziehung.“ Das enge und lange Zusammenleben musste in vielen Familien erst wieder geübt werden. Einfach ist das ja nicht: das Miteinanderreden, das Erzählen zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, die Wohnung als Nest der Geborgenheit und Sicherheit wahrzunehmen. Das widerspricht den zurückliegenden Zeiten, in denen viel Zeit für Arbeitswege und Job aufgebracht wurde und Wohnungen eher als Boxenstopp dienten. Für die Zeit nach der Krise prognostiziert Opaschowski, dass die Menschen mutiger und selbstbewusster werden. Für sich selbst sorgen zu können, um anderen nicht zur Last zu fallen, gewinne an Bedeutung. Hinzu komme aber auch die Erfahrung des Aufeinander-Angewiesen-Seins. „Wir müssen mehr zusammenhalten“ lautete das Krisen-Credo. Auch 2021 werde nicht frei von Krisen sein. „Wir werden dadurch grundlegend umdenken: Ohne Gesundheit ist fast alles nichts wert. Zeit wird so wertvoll wie Geld“, sagte der 79-Jährige in einem Interview in deutschen Medien.

Macht- und Kontrollinstrument

Andererseits ist nach Ansicht des Zukunftsforschers beruflich und privat eine geradezu exponentielle Entwicklung technologischer Neuerungen feststellbar. Die Wirtschaft öffne sich für neue Digitalstrategien: Home Office, 3D-Druck, Big Data und Künstliche Intelligenz hielten zügig Einzug in die Betriebe. TV-Sender experimentierten vom Wohnzimmer aus mit interaktiven Streaming-Formaten. Videotelefonate in Pflegeheimen und Skypen zwischen Enkeln und Großeltern würden Normalität. In der Krise sei das Internet als demokratisches Massenmedium entdeckt worden. Damit sei zu erwarten, dass die Menschen in naher Zukunft mehr Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen würden. Sie würden die digitalen Medien als neues Macht- und Kontrollinstrument zu nutzen wissen und es so schnell auch nicht wieder aus der Hand geben. Die Online-Demokratie habe gerade erst begonnen. 

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