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Ein Haus wie die Landschaft

"Es ist ein richtiges Sonnenhaus." (R. Häfele, Bauherrin)
"Es ist ein richtiges Sonnenhaus." (R. Häfele, Bauherrin) ©Christian Grass
Sulz - Alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde, Abbrechen hat seine Zeit, Bauen hat seine Zeit; So sah ich denn, dass nichts Besseres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil.
Leben & Wohnen in Sulz

Welche Fülle an beiläufigen Gelegenheiten dieser uralte Text unterschiedslos aufführt, Zeit und Vorhaben ins rechte Verhältnis zu setzen. Wie wirksam wird’s erst, wenn Wechsel großer Lebensabschnitte große Vorhaben und Zeit mit sich bringen, sich in großen Dingen zeigen?

Wenn denn das „bürgerliche“ Leben – die Erwerbsarbeit und das Aufziehen der Kinder – „durch“ ist, dann ist heute kaum noch das Altenteil angesagt. Die Zeit ist anders verteilt, man nimmt sich Neues vor, ordnet seine Umgebung neu. Rezepte dazu sind rar – ein neuer Weg wird beschritten. Diese Zeit mit einem Hausbau zu begleiten, muss ein Glück sein, doch auch ein Wagnis, sind doch die eingespielten Fährten fraglich. Wenn jedes Ding seine Zeit hat, gleicht dann ein Haus dem andern? Wie sieht ein neues aus? Auf unebenem Terrain wird ein Weg gesucht, gesicherte Positionen wechseln mit offenen, manches bleibt in der Schwebe, provisorisch, offen für weitere Fragen.

So könnte man das Haus beschreiben, das sich die Häfeles gebaut haben – sie mit Philosophie und Kunst befasst, er pensionierter Gymnasialdirektor, beide noch lange nicht zur Ruhe gesetzt. Ein neuer Abschnitt, ein neues Haus als Versuchsanordnung. Man liegt also nicht falsch, den Bau eher ein Labor, denn ein Haus zu nennen.

Bereits beim Betreten des Gebäudes wird klar: Die Bewegung im Haus ist das Rückgrat, man ist unterwegs – der Blick folgt dem inneren Weg und geht geradeaus hinaus ins Freie, öffnet sich seitwärts nach draußen, führt auf eine tiefere Ebene und wieder hinauf. „Obwohl die Wege nicht kürzer sind, fallen sie einem ganz leicht – eigentlich gehören sie zu den Räumen“, berichtet die Hausherrin.

„Das Gebäude wird durch Bewegung, in Etappen erfahrbar“, bestätigt die Architektin, Theresa Häfele, „die Erfahrung des Hangs, das Hinauf- und Hinabgehen war mir wichtig. Das Gebäude leicht ausgedreht – der Blick geht so das weite Tal hinauf, aber auch hinab Richtung Bodensee.“ Nach Enge und Senke öffnet sich der ganze Horizont von der Plattform des Wohn- und Essraums mit Terrasse am Ende des Weges.

Ebenen und Schichten werden deutlich, im Inneren zwei Betonkerne, dann eine Schale aus Holz, durchbrochen durch viel Glas, schließlich Metallgestelle. Diese Raumauffassung wird durch die Materialwahl unterstützt. Einerseits: technische Sachlichkeit, andererseits haptische Wärme, wohlbedacht gemischt. Sichtbeton von hoher Qualität, galvanisiertes Blech, raumhohe Faltwände, geschliffener Estrich, industrielle Holztafeln, hochwertige Schreinerarbeit. „Das Material darf in seiner Echtheit wirken. Die Betonkerne als monolithische Körper können umwandert werden“, so eine der Architektinnen. Dem steht Fichte in Industriesortierung gegenüber – handwarmer Stoff, doch betont unperfekt, dagegen wiederum viel Metall, das durch die galvanisierte Oberfläche einen samtenen Anstrich erhält. Wechsel, Spannung und keine Angst vor Berührung: „Das Wohnen soll Spuren zeigen“, sagt Theresa Häfele.

Dem Baukörper vorgelagert sind zwei weitere Schichten: Verborgen hinter Betonwänden Bereiche für Badefreuden im Freien – ein kleiner Pool und Außensauna. Überlagert wird das durch die Gestelle für Balkone, Stege, Treppen – Scheiben, Tafeln, Stäbe. Das erlaubt, die separate Wohnung im Obergeschoß von der Straße zu erschließen, ohne die Hauptwohnung zu beeinträchtigen.

Gehüllt ist der Baukörper in einen Vorhang aus gefaltetem, gelochtem Titan-Zinkblech – einem Kleid entsprechend leicht und mit weicher Kontur. Metallischer Glanz war nicht erwünscht, Witterungsspuren dagegen durchaus. Der Kontrast zu den scharfkantigen Betonkörpern macht verständlich, dass eine geschlossene Fassade aus Holz verworfen wurde. Die angestrebte textile Weichheit steht – vor allem auf der Südseite – in Spannung zur rationalen Fassadengliederung mit einem Raster aus Quadraten.

Ein Raumschiff ist da im Obstgarten am Rande von Sulz gelandet – ein Hybrid aus Technik und Organismus, Bewegung und Sesshaftigkeit, losgelöst und bodenständig. Hebt es wieder ab, ankert es? Welche Form nimmt es an, sollte es zur Ruhe, zu sich, zum Ort kommen?

Daten & Fakten

Objekt: SullnerHausVorarlberg, Sulz

Bauleute: Roswitha und Norbert Häfele

Architektur: miss-vdr architektur, Wien

Projektleitung: Theresa Häfele

Team: Matthäa Ritter, Johhan Werschnig, Julia Nuler

Statik: Merz Kley Partner, Dornbirn

Bauphysik: Lothar Künz, Hard

Bauleitung: Jürgen Haller, Mellau

Bau: 2011–2012

Ausführung: Baumeister: Oberhauser & Schedler, Andelsbuch; Zimmermann: Holz Untersander, Bad Ragaz (Schweiz); Fensterbauer: Schwarzmann Fenster, Schoppernau

Bauweise: Die Betonkerne sind für Nasszellen und Nebenräume genutzt und bergen die Haustechnik. Tragende Wände und Decken aus Holz. Das Raumkonzept dient als Energiekonzept: Südorientierte Fensterbänder. Der Boden ist Speichermasse. Oberlichten ermöglichen die automatische nächtliche Durchlüftung. Verschattung ebenfalls zentral gesteuert und automatisiert. Holzmöbel in Handarbeit aus astloser Fichte; Fußböden: Estrich geschliffen; Faltwände und Verkleidungen – galvanisch verzinkt; Dächer: begrünt mit Blumen

VN/ Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

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