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Durchhalteparolen des "Kalifen"

Drohungen und Propaganda: Der IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi hat sich nach mehr als sieben Monaten wieder mit einer Audiobotschaft zu Wort gemeldet.
Drohungen und Propaganda: Der IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi hat sich nach mehr als sieben Monaten wieder mit einer Audiobotschaft zu Wort gemeldet. ©APA/AFP
Die irakischen Truppen stehen offenbar kurz vor der Rückeroberung der Stadt Ramadi. Im Norden Syriens haben kurdisch-arabische Truppen am Wochenende einen strategisch wichtigen Staudamm am Euphrat von den Kämpfern der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) erobert, und durch die Luftangriffe ihrer internationalen Gegner hat der IS Nachschubrouten und Einnahmequellen eingebüßt.

Experten sehen den “Islamischen Staat” vor dem Jahreswechsel an vielen Fronten in der Defensive. Eine Bezwingung der Extremisten scheint erstmals seit langer Zeit möglich. “An seinen Positionen im Irak und in Syrien ist der IS auf Verteidigung umgeschwenkt”, sagt Hisham al-Hashimi (Hischam al-Haschimi), irakischer Jihad-Fachmann. “Er hat die Dynamik verloren, von der er abhängig war, um seine Feinde anzugreifen.”

Al-Baghdadi meldet sich zu Wort – Propaganda und Drohungen

Eine am Samstag aufgetauchte Audiobotschaft, in der IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi zum Aufstand in Saudi-Arabien und zu Angriffen in Israel aufruft, klingt vor diesem Hintergrund wie Durchhalteparolen des angeschlagenen “Kalifen”. Die viel kritisierten Luftangriffe unter US-Führung haben laut Hashimi ihren Teil dazu beigetragen, den IS in die Defensive zu drängen. Frankreich hat seine Angriffe auf IS-Ziele in Syrien nach den Anschlägen in Paris ausgeweitet, Großbritannien schloss sich an. Die russische Luftwaffe attackiert den IS – neben anderen Gegnern der syrischen Regierung – schon seit dem 30. September.

IS gerät zu Jahresende in Defensive

Der IS könne seine Kämpfer daher nicht länger in langen Wagenkolonnen von Front zu Front bewegen, sagt Hashimi. Die Bomben haben viele IS-Stützpunkte, Fahrzeuge und Ölförderanlagen zerstört. Neben ihrer Mobilität hat die Miliz damit auch einen Teil ihrer Finanzierungsquellen verloren. Ausgetrocknet sind auch viele Nachschubrouten, vor allem aber eine Schlüsselressource: Dem “Kalifat” fehle es inzwischen an Selbstmordattentätern, die für ihre Blitzattacken im vergangenen Jahr entscheidend gewesen seien, meint der Experte.

Irakische Armee: Kein IS-Widerstand in Ramadi mehr

Im Kampf um die Stadt Ramadi vermeldete die irakische Armee am Sonntag einen weiteren Geländegewinn: Die Kämpfer der Jihadistenmiliz “Islamischer Staat” (IS) hätten den Amtssitz der Provinzregierung in Ramadi geräumt, sagte ein Sprecher der Anti-Terror-Einheit CTS am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. Es gebe keinen Widerstand mehr.CTS-Sprecher Sabah al-Numani zufolge haben Regierungssoldaten den Regierungskomplex umstellt. Sämtliche Zufahrten und benachbarten Gebäude würden überprüft, bevor die Armee einmarschieren werde. Dies solle binnen Stunden geschehen.

Der IS hatte die Hauptstadt der Provinz Anbar im Mai erobert. Anfang Dezember erkämpfte die Armee, die von Kampfflugzeugen der internationalen Militärallianz unterstützt wird, mehrere große Stadtteile zurück. Am Dienstag rückte sie ins Stadtzentrum vor, seitdem geriet der Vormarsch zunächst vor allem aufgrund von Sprengfallen und Heckenschützen ins Stocken. Sollte der IS tatsächlich vollständig aus Ramadi vertrieben werden, wäre dies ein schwerer Verlust für die Jihadisten, die laut einem US-Institut seit Jahresbeginn 14 Prozent ihres Gebiets in Syrien und im Irak verloren haben.

“Der IS ist auf sein Kernland zurückgedrängt worden”

“Der IS ist auf sein Kernland zurückgedrängt worden”, sagt Syrien-Kenner Fabrice Balanche. Er habe nur noch Kraft für örtlich begrenzte Angriffe – vor allem im sunnitisch dominierten Gebiet um den Euphrat in Syrien und im Nordwesten des Irak. Für den erfolgreichen Kampf gegen die Miliz sei es entscheidend zu wissen, dass sie sich dort zurückziehe, wo ihr die Bevölkerung feindlich gesinnt sei – wie in den Kurdengebieten, sagt Balanche.

Zahl der Jihad-Toten mehr als verdoppelt

Für Triumphgefühle der IS-Gegner gibt es allerdings noch keinen Anlass. Es sei zwar richtig, dass die Miliz derzeit nicht in die Offensive gehe, sagt Karim Bitar vom französischen Institut für Internationale und Strategische Angelegenheiten (Iris). “Aber sie zieht noch immer Legionen ausländischer Rekruten an, und sie hat gezeigt, dass sie überall zuschlagen kann.”

Auch wenn die größten Landeroberungen des IS mehr als ein Jahr zurückliegen: Die Zahl der “Jihad-Touristen”, die sich den Islamisten im Irak und in Syrien anschließen, hat sich 2015 nach Expertenschätzungen auf 27.000 mehr als verdoppelt. Und 20 bis 30 Prozent der ausländischen Jihadisten kehren kampferprobt in ihre Heimat zurück und stellen dort eine enorme Gefahr dar.

Der IS werde auch weiterhin versuchen, die internationale Koalition durch Anschläge wie jene in Paris zu zersetzen, mit denen er in den Gesellschaften Angst erzeuge, sagt Hashimi. Der IS lege es darauf an, im Westen “Rassismus und religiöses Chaos” zwischen den Muslimen und der übrigen Gesellschaft zu schüren. “Er versucht, den Propagandakrieg zu gewinnen, der ihm mehr Geld und mehr Kämpfer zuspielen wird”, meint Balanche. (APA)

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