Diego Maradona ist einzigartig, auch in seiner neuen Rolle als Fernsehmann. Bei der WM in Brasilien gibt es fast mehr Fußball-Stars auf dem Bildschirm als auf dem Rasen – aber keiner füllt seine neue Rolle als TV-Experte so intensiv aus wie der kleine Argentinier mit seinen Beschimpfungen und Hasstiraden.
Maradona und der Stinkefinger
Auch wenn in Österreich oder Deutschland kaum einer den venezolanischen TV-Sender Telesur empfangen kann, hat es Maradona mit der Sendung “De Zurda” auch hierzulande zu einiger Berühmtheit gebracht. Der ehemalige Weltklasse-Spieler gibt sich kräftig Mühe, mit skandalträchtigem Verhalten Aufsehen zu erregen. Dem argentinischen Verbandschef Julio Grondona zeigte Maradona vor laufender Kamera den Stinkefinger und verunglimpfte ihn als “armen Dummkopf”.
Pelé und Beckenbauer, die “zwei Idioten”
Noch schlimmer watschte Maradona die früheren Weltmeister Pelé und Franz Beckenbauer ab. “Diese beiden kommen aus dem Museum, um zu sprechen, und sagen dumme Dinge, weil sie zwei Idioten sind.” Dass der argentinische Champion von 1986 für einen Sender in Venezuela arbeitet und nicht in seinem Heimat- oder einem anderen großen Fußball-Land, erinnert ein bisschen an Lothar Matthäus. Der war vor vier Jahren bei Al Jazeera im Einsatz.
Ballack als neuer Matthäus
Auch Michael Ballack wandelt auf den Spuren von Matthäus. Der frühere Capitano erhält für seine klaren WM-Analysen beim US-Sender ESPN gute Kritiken. Ex-Nationalspieler Arne Friedrich begleitet die DFB-Auswahl für das chinesische Fernsehen.
Lineker gibt den Clown
Längst zum Inventar zählt bei den englischen Zuschauern BBC-Kommentator Gary Lineker. Schlagfertig, selbstironisch und meinungsstark – Lineker ist so etwas wie ein Star unter den TV-Experten. “Der schlechteste Freistoß in der WM-Geschichte”, ätzte der WM-Torschützenkönig von 1986 etwa über die Slapstick-Einlage vom Thomas Müller im Algerien-Spiel. Immerhin liefert Clown Lineker den arg gebeutelten englischen Fans auch nach dem frühen Aus weiter beste Unterhaltung: “Wer hätte gedacht, dass wir schon raus sind, bevor Deutschland überhaupt zum zweiten Mal gespielt hat”, meinte der ehemalige Stürmer mit dem typischen britischen Humor nach dem Scheitern von Rooney und Co.
Mein lieber Scholli…
Pöbeleien wie bei Maradona sind im öffentlich-rechtlichen TV kaum vorstellbar. Wenngleich ARD-Experte Mehmet Scholl vor zwei Jahren bei der EM für ein Skandälchen sorgte, als er über Mario Gomez lästerte: “Ich hatte zwischendrin Angst, dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss.” Mein lieber Scholli, war das eine Aufregung!
Scholl überzeugt mit Wortschöpfungen – und Fachwissen
Diesmal überzeugt Scholl an der Seite von Moderator Matthias Opdenhövel das TV-Publikum, die Netz-Gemeinde und die Medienkritiker mit Wortschöpfungen wie “Gänsehautentzündung” – und mit Fachwissen. Mit seiner “Gänsehautentzündung” traf Scholl offenbar den Nerv der Zuschauer – seine Wortkreation verbreitete sich im Internet und vor allem in den Sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer.
#Gaensehautentzuendung Tweets
Scholls Wutrede: “Das ist nicht mehr mein Sport”
Richtig “sauer und enttäuscht” hingegen zeigte sich Scholl nach dem foulgetränkten Match zwischen Brasilien und Kolumbien, das schlussendlich verletzungsbedingt mit dem WM-Aus für Brasiliens Starkicker Neymar endete:
Oliver Kahn ungewohnt flapsig
ZDF-Experte Oliver Kahn fühlt sich an der Seite von Oliver Welke in Brasilien sichtlich wohler als vor zwei Jahren mit Katrin Müller-Hohenstein auf Usedom. “Ich bin froh, dass wir am Meer stehen und nicht im Meer”, sagte Kahn ungewohnt flapsig über den Vergleich der Dach-Terrasse von Rio mit der vieldiskutierten EM-Bühne in der Ostsee.
Der frühere Bayern-Keeper, der gerne über die Psychologie des Fußballs und den Druck redet, schwimmt manchmal auch gegen den Strom. “Das ist Harakiri”, urteilte Kahn über die deutsche Taktik, den viel gelobten Torwart Manuel Neuer als eine Art Libero spielen zu lassen. Er weiß aus eigener Erfahrung von der WM 2002, wie schnell ein Fehler aus einem umjubelten Spieler einen Sündenbock machen kann.
“Ex-Bayern” als TV-Experten gefragt
Ob Matthäus, Ballack, Scholl, Kahn, Stefan Effenberg (Sky), Thomas Berthold (Eurosport), Hasan Salihamidžic (ZDF) oder Giovane Elber (ARD) – als Ex-Profi des FC Bayern München scheint man für die Arbeit als TV-Experte besonders geeignet zu sein. Das merkt man manchmal auch an der fachmännischen Beurteilung der aktuellen Bayern-Kicker.
Andere Experten wie Brasilien-Reporterin Fernanda Brandao (ARD) oder die Fechterin Britta Heidemann haben gar keinen Fußball-Hintergrund. Das macht aber nichts. Die Olympiasiegerin von 2008, eigentlich als China-Expertin bekannt, erhält für ihr frisch-fröhliches Auftreten im Morgenmagazin viel Lob. Auch Thomas Hitzlsperger, vom ZDF kurz vor WM-Beginn engagiert, analysiert das Turnier zum Frühstück. Sein viel beachtetes Outing als Homosexueller im Januar spielt dabei keine Rolle. Hitzlsperger passt aber in das Anforderungsprofil für TV-Experten. Er spielte zumindest in der Jugend für den FC Bayern.
Moderatoren-Duo Opdenhövel/Scholl am beliebtesten
Kompetenter und unterhaltsamer: Zuschauer lassen sich die Spiele der Fußball-WM am liebsten vom Moderatoren-Duo der ARD erklären. Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage für das Magazin “Stern” von Anfang Juli finden 34 Prozent der Deutschen die Kommentare des früheren Fußballprofis Mehmet Scholl und des Moderators Matthias Opdenhövel besser als die des ZDF-Duos mit Ex-Nationaltorwart Oliver Kahn und Oliver Welke, für das nur jeder Vierte votierte.
Die restlichen Befragten trauten sich entweder keine Einschätzung zu oder hatten keinen Favoriten. Kleiner Trost für Kahn und Welke: Zumindest bei den ostdeutschen Fans lagen sie mit 41 Prozent Zustimmung höher im Kurs als die ARD-Kollegen.
WM-Studio des ORF: Kritik und Sexismus-Vorwürfe
Auf weniger Gegenliebe stieß hingegen das WM-Studio des ORF. Dabei erntete der Öffentlich-Rechtliche nicht nur von Fußballfans und verschiedenen Medien reichlich Kritik. Auch der ORF-Publikumsrat zeigte sich mit dem Rahmenprogramm und den sportjournalistischen Fähigkeiten alles andere als zufrieden. “Scharf an der Grenze zum Sexismus” ortete darüber hinaus Eva Blimlinger vom ORF-Publikumsrat die Inszenierung mit “Go-Go-Tänzerinnen” – und war mit dieser Kritik nicht allein. ORF-Sportchef Trost selbst reagiert auf die bisher geäußerte Kritik übrigens gelassen. “Ja, sie tanzen Samba im WM-Studio, aber nicht die ganze Nacht”, so Trost in einem Gastkommentar für “tv-media”.
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(dpa/red)
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