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Düstere Schatten der Nazizeit

©VOL Live/Bernd Hofmeister
Schlins - Der Jagdberg fand 1945 nur schwer aus der NS-Pädagogik heraus.
Historiker bringen Licht ins Dunkel
Chronologie: Jagdberg Schlins
Tagesordnung von 1884 - 1936
Jagdberg kämpft mit dem Image

13 Opfer, die im Erziehungsheim am Jagdberg teils bis in die 1970er-Jahre Missbrauch und Gewalt erduldet haben, hat das Land nun mit 235.000 Euro entschädigt. Eine Historikerkommission soll das finstere Kapitel der Vorarlberger Erziehungsgeschichte nun aufarbeiten. Die härtesten Jahre durchlebte das Erziehungsheim am Jagdberg in der Nazizeit. Aber auch nach Kriegsende hatten die Buben zunächst wenig zu lachen. Erst ab 1960 begann der neue Direktor Manfred Schnetzer den allmählichen pädagogischen Totalumbau.

Kinder von Regime-Gegnern

Der Dornbirner Student Thomas Planinger erarbeitet gegenwärtig im Auftrag von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Wanner eine Geschichte des Jagdbergs. Er hat vor allem Ausgaben des Vorarlberger Volksblatts und der Vorarlberger Wacht ausgewertet. „Die Aufzeichnungen sind spärlich. Aber so viel ist klar: Nach 1938 diente der Jagdberg als Anstalt für die Kinder von Regime-Gegnern.“ Die SS leitete das Heim. Noch bis zum Dezember 1938 hatte die Don-Bosco-Bruderschaft das Sagen. Dann sollten die neuen Bezirksschulinspektoren dafür sorgen, „dass die Kinder nicht im Zeichen des Kreuzes angesteckt werden“. Das Ordensarchiv hält fest: „Am 10. Februar 1939 wurden auf dem Jagdberg von Herrn Dr. Grosch im Auftrage des Landes die beiden Herren, Herr Oberbannführer Breidenbach und Herr Scharführer Krüger als pädagogische Leiter der Anstalt vorgestellt und sofort in ihr Amt eingesetzt.“

Einfach weitergemacht?

Dass auch nach 1945 Nazis am Jagdberg als Betreuer arbeiteten, verdichtet sich zunehmend. Christoph Hackspiel, Geschäftsführer des Vorarlberger Kinderdorfes, kennt das Gerücht. Erzieher sollen mit ihren SS-Uniformen vor den Kindern geprahlt haben. Der Innsbrucker Historiker Univ.-Doz. Horst Schreiber geht fest davon aus, dass die SS-Leute weiter beschäftigt wurden. „Das war auch in Tirol und anderen Bundesländern der Fall. Insgesamt erhielten Lehrer, die NS-belastet waren, die Möglichkeit, als Erzieher weiterzuarbeiten.“ Der Personalchef der Landesregierung, Markus Vögel, lässt gegenwärtig die alten Personalakten ausheben, sofern sie noch greifbar sind.

Völlig überfordert

Dass die Erziehungsmethoden alles andere als zimperlich waren, bestätigt auch Manfred Schnetzer, der selber 1955 als Lehrer auf den Jagdberg kam. „Die ersten Erzieher waren Leute, die im Krieg gewesen waren.“ Sie brachten keine Erzieher­ausbildung mit, dafür jede Menge Fronterfahrung. Und mussten nun bis zu 120 Kinder betreuen. Schnetzer betont: „Ich will wirklich nichts kleinreden. Sexuelle und körperliche Gewalt sind durch nichts zu rechtfertigen. Alles, was Unrecht ist und war, gehört geahndet.“ Aber man müsse auch die Nachkriegszeit berücksichtigen. „Wir hatten Fullhouse und keine Leute.“ Schnetzer möchte nicht von einem System der Gewalt reden, „aber da war eine große Hilflosigkeit“.

120 Kinder in drei Klassen

Schnetzer hat die Leitung der Landeserziehungsanstalt 1960 übernommen und ging 1995 in Pension. „In meinem ersten Jahr wurden 120 Kinder in drei Schulklassen von je einem Lehrer unterrichtet.“ In der Rückschau spricht er von „unmöglichen pädagogischen Bedingungen: Man hat den Erziehungsanstalten unwahrscheinlich viel zugemutet.“ Über Jahrzehnte hinweg hat er mit Kollegen die „straff und autoritär geführte Anstalt“ zur neuen Pädagogik hin umgebaut. Und Stück für Stück auch das Personal ausgewechselt. „Wir suchten damals Menschen mit möglichst viel Erfahrung im Umgang mit Kindern.“

„Habe alles angezeigt“

Hat es in seiner Zeit Übergriffe gegeben? Das hat Manfred Schnetzer bereits der Kriminalpolizei erklärt: „Was ich an straffälligen Vorgängen bemerkt habe, habe ich zur Anzeige gebracht. Das ist alles abgehandelt worden. Die Akten liegen beim Land.“

„Bis heute hat sich vieles zum Guten gewendet“

Der Bürgermeister von Schlins, Harald Sonder­egger, ist „sehr froh, dass wir mit solchen Vorgängen in den letzten Jahrzehnten nicht mehr konfrontiert waren“. Dass es am Jagdberg früher offenbar „krasseste Übergriffe gegeben hat, ist sicher nicht zu dulden“. Inzwischen habe sich sehr vieles zum Guten entwickelt. Sozialpädagogisches Internat und Schule von heute seien unverzichtbar, weil diese Jugendlichen sonst keinen Platz in der Gesellschaft haben.

Betroffene sollen sich melden

Betroffene, die in der Vergangenheit Gewalt in Landeseinrichtungen erlebt haben, können sich an den Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch wenden.

 

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