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Drei Schichten an Intimität

"Es ist immer schön, in einem schönen Gebäude zu arbeiten." Jeannette Fritsche (Arztassistentin)
"Es ist immer schön, in einem schönen Gebäude zu arbeiten." Jeannette Fritsche (Arztassistentin) ©Darko Todorovic
Appenzell. Das von Dietrich/Untertrifaller Architekten geplante „Medizinische Zentrum Appenzell“ ist ein typisches Appenzellerhaus und doch ganz anders.
Medizinisches Zentrum Appenzell

Roman Hörler und Christian Todt sind viel beschäftigte praktische Ärzte im schweizerischen 5750-Einwohner-Dorf Appenzell. Um sich den Wunsch nach einem „Medizinischen Zentrum“ zu erfüllen, haben sie sich ganz pragmatisch per Internet auf die Suche nach einem Architekten gemacht. Beim Bregenzer Büro Dietrich/Untertrifaller wurden sie fündig. Was diese bauen, gefalle ihnen einfach, sagt Roman Hörler. Also habe man sich in Verbindung gesetzt, sich getroffen und die Chemie habe auf Anhieb gestimmt.

Werden sollte es ein Haus im strengen Schweizer „Minergie“-Standard. Mit Praxen nicht nur für die zwei Hausärzte, sondern auch für einen Chiropraktiker, einen Physiotherapeuten, einen Gynäkologen und eine Psychologin. Außerdem gibt es ein Studio für Medizinische Kosmetik und ganz oben vier Wohnungen. Das Ladenlokal im Erdgeschoß, in dem die Hausherrn eine Apotheke einrichten wollten, steht – vorerst jedenfalls – noch leer. Im März 2012 war Planungsbeginn, ein Jahr später der erste Spatenstich und im Juli 2014 wurde das Haus bezogen.

Das Haus steht auf einem rund 2000 Quadratmeter großen Grundstück in einer ehemaligen Sandgrube, was die Fundamentierung erschwert hat. Die Bebauung in der Nachbarschaft ist sehr heterogen. Dadurch waren die Architekten in ihrem Entwurf vollkommen frei, so Projektleiter Thomas Mitterer-Kuhn. Sie entschieden sich für ein Haus, das mit einer typischen horizontalen Gliederung ein raffiniert ins Heute transformierte Zitat eines traditionellen Appenzellerhauses geworden ist. Durch seine Lamellenhaut aus Lärche wirkt es auf den ersten Blick auch wie ein Holzhaus. In Wirklichkeit ist es aber ein Stahlbeton- Skelettbau, der im Erdgeschoß als solcher ablesbar nackt geblieben ist.

Mit seinen 30 mal 28 Metern ist der Grundriss des an einem sanft abfallenden Hang parallel zur Gemeindestraße stehenden dreigeschoßigen Baukörpers fast quadratisch. Die hölzernen Lamellen, die die zwei Obergeschoße umhüllen und mit der Zeit silbrig vergrauen werden, sind nicht nur ein formales Element, das je nach dem Blick auf die Fassaden diese mehr oder weniger verschließt, sondern so etwas wie ein das Innere sanft abschottender Vorhang. „Gehängt“ vor die Fenster, die im ersten Stock bandartig das Gebäude umziehen, während das Dachgeschoß wesentlich geschlossener daherkommt. Es springt zugunsten großzügiger Terrassen allerdings mehrfach zurück, um auf diese Weise die Strenge der Architektur angenehm aufzulösen. Als reizvolle Hybride aus innen und außen sind in das erste Geschoß dagegen zwei intime Loggien geschnitten.

Hier „schlägt“ auch das „Herz“ des „Medizinischen Zentrums Appenzell“: im großzügig dimensionierten, offen angelegten Empfangs- und Wartebereich. Zu erreichen ist er per Lift oder Treppe über das zum Erdgeschoß hin offene Atrium. Oberlichter und ein sich nach oben öffnender Lichthof bringen Tageslicht in diesen zentralen Bereich, um den die Praxen, Labor-, Behandlungs- und Sanitärräume angelegt sind. Und dass hier schlicht und einfach alles stimmt, spürt man sofort. Das Arbeiten sei sehr angenehm, die Abläufe perfekt, die Patienten liebten das Haus, sagt Roman Hörler, einer der hier ordinierenden Ärzte bzw. Bauherrn.

Diese Stimmigkeit hat unmittelbar mit der Sensibilität zu tun, mit der sich die Architekten von Dietrich/ Untertrifaller auf das Projekt eingelassen haben, um allein durch die Wahl der Materialien drei Zonen an Intimität zu definieren. So sind das Stiegenhaus und der Liftschacht ganz in Sichtbeton ausgeführt, während in der nächsten Zone die Böden hellgrau, die Türen aus Glas oder Eiche, die Fensterrahmen weiß sind. Emotional noch „wärmer“ wird es in den eigentlichen, durch Lichtbänder belichteten, Behandlungsräumen. Hier dominiert die Farbe Weiß, die Parkettböden und Türen sind aus Eiche.

Das zweite Obergeschoß ist für vier zwischen 70 und 120 Quadratmeter große, sehr offen angelegte Wohnungen reserviert, von deren riesigen Terrassen sich wunderbare Ausblicke ins Umland auftun. Die Erschließung der in den Boden eingegrabenen Tiefgarage mit 24 Stellplätzen erfolgt über eine gedeckte Rampe.

Daten & Fakten

Objekt: Medizinisches Zentrum Appenzell
Eigentümer/Bauherr: Aedificium Appenzell
Architektur: Dietrich | Untertrifaller | Stäheli Architekten, St. Gallen
Ingenieure/ Fachplaner: Statik: Wälli, Herisau; Haustechnik und Lüftung: Ökoplan, Gossau/ Appenzell; Elektro: Marquart, Altstätten; Bauphysik: Studer-Stauss, St. Gallen; Licht: Supersymetrics, Heerbrugg

Planung: 3/2012–5/2014
Ausführung: 3/2013–7/2014
Grundstücksgröße: 2084 m²
Wohnnutzfläche: 746 m²

Bauweise: Stahlbeton Skelettbau; Sichtbeton und Holzfassade; Fußbodenheizung, kontrollierte Be- und Entlüftung

Ausführung: Bauleitung: Thomas Rusch; Baumeisterarbeiten: Vicini, Appenzell; Fenster Holz/Metall: Blumer Techno Fenster, Waldstatt; Spengler: Stephan Sutter, Appenzell; Dach: A. Weibel, St. Gallen; Leuchten: Zumtobel Licht, Zürich; Heizung/Solaranlage: Otto Keller, Arbon; fugenlose Bodenbeläge: Edelmann, Zürich; Hafnerarbeiten: Dominic Jud, Waldstatt

Baukosten: 7,4 Mill. Schweizer Franken
Energiekennwert: ca. 46 kWh/m² im Jahr (Heizwärmebedarf)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at.

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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