AA

Dirk Stermann stellt neues Buch "Die Republik der Irren" vor

Dirk Stermann hat einen neuen Roman geschrieben
Dirk Stermann hat einen neuen Roman geschrieben ©APA/ROLAND SCHLAGER
Ein Minister für Schulen und Mutproben und ein Minister für Luft; einer ist "für Schönheit, Maschinen und Märsche", ein anderer "für Adler, Schlangen, Windhunde und noch zu erschaffende Lebewesen" zuständig. Mit eiserner Faust durchgreifend: der Minister für Handstreiche. Dieses illustre Kabinett versammelt Dirk Stermann in "Die Republik der Irren". Am Samstag stellt er seinen "historischen Roman über den verrücktesten Staat der Geschichte" im Wiener Rabenhoftheater vor.

Der Kabarettist Stermann, 1965 in Duisburg geborener Wahlwiener, ist im Duo mit Christoph Grissemann als Host der ORF-Late-Night-Show "Willkommen Österreich" seit 18 Jahren fixer Bestandteil der österreichischen Fernsehlandschaft. Seine kürzliche Ankündigung in "Die Presse", in zwei Jahren aufhören zu wollen, wurde umgehend vom ORF mit dem Hinweis auf einen bestehenden Vertrag bis Ende 2027 kommentiert. Als Autor hat er mit sehr unterschiedlichen Sujets aufhorchen lassen, zuletzt etwa mit einem bewegenden, aus vielen Gesprächen entstandenen Buch über die Psychoanalytikerin Erika Freeman ("Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen"). Mit seinem neuen Roman schließt er am ehesten an seinen 2019 erschienenen Historienroman über den Wiener Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall ("Der Hammer") an.

Bizarre Episode der Geschichte

Schon damals habe ihm sein Lektor "andere historische Leckerlis geschickt, unter anderem ein Foto von D'Annunzios Schuhen", erzählte Stermann im "Presse"-Interview. Der Dichter Gabriele D'Annunzio (1863-1938), in der Wiener Stadtgeschichte mit seinem bizarren Wien-Überflug mit einem Doppeldecker, aus dem er 1918 über Wien nicht Bomben, sondern Flugblätter abwarf, fix verankert, war eine rundum schillernde Figur - und sein Schuhwerk mit erigierten Penissen geschmückt. In den Mittelpunkt seines Romans stellte Stermann eine bizarre, aber hierzulande wenig bekannte Episode der Geschichte: die italienische Regentschaft Quarnero, ein Staat, den D'Annunzio mit Weggefährten 1919/20 in der Stadt Fiume, dem heutigen Rijeka, etablierte.

"Was in diesem Roman am unglaubwürdigsten klingt, entspricht in der Regel den historischen Tatsachen", schreibt Stermann. Er konfrontiert die Leser mit einer Vielzahl bekannter Persönlichkeiten wie dem Faschistenführer Benito Mussolini oder dem Futuristen Filippo Tommaso Marinetti und beruft sich bei vielen Zitaten auf einschlägige Quellen. Die ohnedies irrwitzige Geschichte dieses Freistaates, in dem Anarchisten, Faschisten und Futuristen einen grotesken staatspolitischen Großversuch durchführten, dürfte er jedoch auf die Spitze getrieben haben, indem er sie ihre abstrusen Ideen auch tatsächlich umsetzen lässt - etwa die programmatische Forderung, eine verrückte Welt müsse von Verrückten regiert werden.

Außer Kontrolle: der Minister für Handstreiche

Also bekommt der Ich-Erzähler, der junge Pfleger Cherubino, den Auftrag, so wie in anderen Irrenhäusern Italiens einen Abgesandten seiner Klinik nach Fiume zu begleiten. Die Wahl fällt auf den Koloss Zino, dem nach einem Axtmord Teile des Gehirns entfernt wurden, und der nun als lethargisch und friedfertig gilt, aber noch immer über schier übermenschliche Kräfte verfügt, die im Zaum gehalten werden müssen. Sein "Capo" Cherubino stellt bald nach der Ankunft in dem Freistaat, der sich als Tollhaus erweist, fest, dass dies immer schwerer möglich ist. Die mitgebrachten Beruhigungsmittel gehen rasch zur Neige, dafür entdeckt Zino die berauschende Wirkung des Alkohols. Zino wird zum Minister für Handstreiche ernannt und gerät, wie die ganze Stadt, immer mehr außer Kontrolle.

Dasselbe kann man Dirk Stermann nicht nachsagen. Im Gegenteil: Je bizarrer und verrückter die von ihm geschilderten Vorgänge sind, desto kontrollierter und nüchterner wirkt der Erzählton. Atmosphärisch wäre in den Schilderungen eines aus dem Ruder laufenden, in Gewalt und Gesetzlosigkeit explodierenden Experiments noch einiges drinnen. Um die Gefährlichkeit dieser Mixtur aus radikalen Reformbestrebungen und dem Bedürfnis nach ästhetischer Revolution, aus hemmungslosem Hedonismus und aufgeblasenem Personenkult zu betonen, ist diese Zurückhaltung jedoch vielleicht das richtige Mittel. Inmitten der außer Rand und Band geratenen Anhänger D'Annunzios, der sich als Comandante lieber mit seinen Windhunden als mit seinen Bürgern beschäftigt, wartet nämlich schon ein bulliger, stiernackiger Mann mit seiner Garde von Schwarzhemden. Und vieles, was er hier an blanker Willkür und brutaler Machtentfaltung studieren kann, wird Benito Mussolini als Anregung mitnehmen.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Dirk Stermann: "Die Republik der Irren", Rowohlt Hundert Augen, 304 Seiten, 25,70 Euro, Buchpremiere im Literatursalon im Gemeindebau am 13.9., 20 Uhr, im Theater Rabenhof, Wien 3, Rabengasse 3)

(APA)

  • VOL.AT
  • Kultur
  • Dirk Stermann stellt neues Buch "Die Republik der Irren" vor