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Dirigent Nikolaus Harnoncourt im Alter von 86 Jahren gestorben

Nikolaus Harnoncourt ist tot.
Nikolaus Harnoncourt ist tot. ©APA
Der große Dirigent Nikolaus Harnoncourt ist heute Nacht im Kreise seiner Familie nach einer schweren Erkrankung im Alter von 86 Jahren gestorben.

Entsprechende Informationen der APA bestätigte die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien heute, Sonntag, Mittag. Harnoncourt, der im Dezember für die Öffentlichkeit überraschend seinen Rückzug vom Pult erklärt hatte, war Ehrenmitglied des Musikvereins.

Das Ende einer Ära

Als Todestag führt die Familie den gestrigen Samstag an. Am 5.3.2016 ist Nikolaus Harnoncourt friedlich im Kreis seiner Familie entschlafen. Trauer und Dankbarkeit sind groß. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit , heißt es in einer kurzen Bekanntgabe von Gattin Alice Harnoncourt und der Familie. Eine Ära ist zu Ende gegangen , sagte Musikvereins-Intendant Thomas Angyan tief erschüttert in einem Telefonat mit der APA. Ich hätte nie erwartet, dass zwischen seinem Rückzug aus dem Konzertleben und seinem Ableben so eine kurze Zeitspanne liegen würde. Harnoncourt sei das Original des Originalklangs gewesen: Das ist unwiederbringlich. Wir haben die Verpflichtung, das musikalische Erbe, das er uns hinterlassen hat, weiterzuführen.

Der Erneuerer der Vergangenheit

Sein Reich war die musikalische Vergangenheit, die er für die Istzeit in neuem, bis dato ungekanntem Licht erstrahlen ließ, was Generationen von Dirigenten nach ihm beeinflusste: Nikolaus Harnoncourt. Nachdem er im vergangenen Dezember für die Öffentlichkeit überraschend seinen Rückzug vom Pult erklärt hatte, ist der Musikdeuter am Samstag nach schwerer Krankheit im Alter von 86 Jahren verstorben.

Mit seinem Tod verliert Österreich eines seiner prominentesten Aushängeschildern der heimischen Musikkultur, das Klassikpublikum einen der engagiertesten Vermittler von Werk und Umfeld und der von Harnoncourt gegründete Concentus Musicus endgültig seine Leitfigur. Sein stechender Blick Richtung Musiker, seine stets ebenso kenntnisreichen wie humorvollen Einführungsworte ins Auditorium und seine bildreiche Sprache, mit der er ganze Bücherregale füllte, werden fehlen.

Mit Neugier und Enthusiasmus hatte der Musiker sich praktisch von Beginn seiner Laufbahn an geweigert, ausgetretene Pfade ungeprüft zu beschreiten und stattdessen das Quellenstudium und die Verwendung von Originalklanginstrumenten propagiert. “Musik als Klangrede” lautete dabei das große Credo. Diese Revolution der Aufführungspraxis, der Aufstieg der Originalklangbewegung sind nicht zuletzt das Verdienst des umtriebigen Suchers, dessen missionarischer Eifer bis ins hohe Alter ungebremst blieb. “Repertoire ist für mich geradezu ein Horror. Ich meine, dass man durch das Immer-wieder-Spielen derselben Werke diese vollkommen degradiert”, hatte er noch vor wenigen Jahren postuliert.

Der Endlichkeit der eigenen Kräfte war sich der Musiker dabei stets bewusst, hatte er doch bereits vor seinem 80er launig versichert: “Es gibt ein Ablaufdatum bei mir. Natürlich plane ich – aber ich warne jeden, der mit mir etwas plant.” In Folge häuften sich zwar die gesundheitlich bedingten Absagen, dennoch konnte Harnoncourt zuletzt noch viele Pläne verwirklichen, darunter etwa einen konzertanten Da-Ponte-Zyklus im Theater an der Wien oder Jacques Offenbachs “Ritter Blaubart” und Henry Purcells “Fairy Queen” bei seinem Hausfestival, der styriarte. Gleichsam zum Abschied wurde retrospektiv betrachtet nun das noch von ihm geplante Festkonzert zum zehnjährigen Bestehen des Theaters an der Wien als Opernhaus Mitte Jänner, wo sich Harnoncourt nur mehr mittels Videobotschaft an sein Publikum wenden konnte. “Ich wünsche Ihnen keinen schönen, sondern einen aufwühlenden Abend”, hatte er den Besuchern damals gewünscht – gleichsam ein Motto für Harnoncourts grundsätzliches Musikverständnis.

Seine wichtigsten Stationen

Geboren wurde Nikolaus Harnoncourt als Johann Nicolaus de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt am 6. Dezember 1929 in Berlin in luxemburgisch-lothringischen Hochadel. Aufgewachsen ist der spätere Musikerneuerer, ein Ururenkel Erzherzog Johanns, allerdings in Graz, wohin seine Familie 1931 zurückgekehrt war. Von 1945 an erhielt er Cello-Unterricht. 1949 gründete Harnoncourt gemeinsam mit Eduard Melkus, Alfred Altenburger und seiner späteren Frau Alice Hoffelner das Wiener Gamben-Quartett und wandte sich in der Folge der Erforschung von Spielweise und Klang alter Instrumente zu. Drei Jahre später wurde er Cellist der Wiener Symphoniker. Diesen Beruf übte er bis 1969 aus.

1953 wurde zu einem prägenden Jahr für den aufstrebenden Klassikstar. Zum einen heiratete er Hoffelner, mit der er vier Kinder haben sollte, darunter die Mezzosopranistin Elisabeth von Magnus und der Regisseur Philipp Harnoncourt. Und im Herbst desselben Jahres erfolgte die Gründung des Concentus Musicus Wien, mit dem eine neue Ära der Musikinterpretation eingeleitet wurde. Neben Konzerten und Plattenaufnahmen mit seinem eigenen Ensemble begann Harnoncourt 1972 auch zu dirigieren.

1975 startete die langjährige Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orchester. 1983 debütierte er am Dirigentenpult der Wiener Symphoniker, 1984 bei den Wiener Philharmonikern, 1987 (mit “Idomeneo”) an der Wiener Staatsoper und 1992 bei den Salzburger Festspielen. Beim 1985 gegründeten steirischen Klassikfestival styriarte fungierte er von Anfang an als Aushängeschild. 2001 und 2003 dirigierte er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

Dabei blieb der rastlose und hoch dekorierte Dirigent, der u.a. mit dem Polar-Musikpreis, dem Kyoto Preis und dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet wurde, nicht beim barocken Repertoire stehen, sondern erweiterte seinen Horizont über die Jahre. Zuletzt dirigierte er Händel und Monteverdi, Bach und Mozart ebenso selbstverständlich wie Berg, Offenbach, Gershwin und Strawinski. Wer diesen allumfassenden Platz in der Musiklandschaft dereinst wieder besetzen könnte, ist vollkommen offen.

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