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Die Wunderläufer - Wettkampftag in Kenia

Johannes Riedmann war im Camp der Wunderläufer in Kenia zu Gast.
Johannes Riedmann war im Camp der Wunderläufer in Kenia zu Gast. ©J. Riedmann
Einen Laufwettkampf in Kenia zu erleben ist eine spannende Erfahrung. Nach vielen Gesprächen mit kenianischen Marathonläufern und dem Erfolgstrainer Joseph Ngure (ehemaliger Coach von Paul Tergat) möchte ich heute versuchen einen Überblick zu den Trainingsaufwänden dieser Spitzenathleten zu geben. Doch zuerst ein paar Eindrücke eines Wettkampfes im berühmten Läuferparadies Rift Valley...
Wettkampf in Kenia
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Es rauscht laut aus den Lautsprechern. Ich verstehe kaum ein Wort und doch bin ich mir über die Bedeutung sicher: Jetzt geht es los. Als einziger Musungu (das ist Swaheli für Weißbrot) des Turniers habe genau ich die Startnummer 1 gezogen und ich spüre nun langsam die Nervosität in mir hochsteigen. Etwa zweitausend Augenpaare blicken zur Startlinie und auch die Kontrahenten treten langsam vor. Die letzten 100m bin ich vor etwa 6 Jahren gelaufen, als ich noch im Sportgymnasium war und doch konnten mich die Läufer des Marathoncamps für einen Spaßlauf überreden. Ich gehe in Tiefstartposition und drücke meine Hände genau vor der weißen Linie in den Sand. Zuerst die Linke, dann die Rechte. Ich hole tief Luft. Gleich kommt der Schuss. Mein Kopf schaut nach unten und ich schließe meine Augen. Wie das Nashorn, das ich gestern gesehen habe, möchte ich heute die 100m sprinten. Sie können bis zu 50km/h laufen und nichts kann sie stoppen. Aus dem Megaphon tönt ein rauschendes „Set”, und ich fühle mich bereit. Ein Schuss tönt aus der Pistole und wir ziehen los. Links und rechts von der Bahn höre ich die Leute „Musungu” schreien und ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Nach 12,3 Sekunden ist der Lauf vorbei und ich habe mein Ziel erreicht: Platz zwei … von hinten! Ich war schneller als ein kenianischer Läufer und das heißt die Gerüchte stimmen und einige Kenianer sind sehr schlecht im Tiefstart. In ganz Kenia gibt es nur zwei Tartanbahnen, um für einen 100m Sprint zu trainieren.

Wir sind heute beim „Athletic’s Kenya Track and Field Meeting” in Nakuru und es wird ein spannender Tag.

Wettkampftag in Kenia

Wir sind schon früh morgens auf dem Sportplatz des „Rift Valley Institute for Sport and Technology” angekommen. Francis Ekidor, ein Läufer unseres Camps stellt mir stolz seinen Cousin vor: Der 12km-Weltrekordhalter von 2010, Joseph Ebuya. Er ist nicht der einzige Weltmeister, der sich heute hier auf dem Sportplatz herumtummelt und ich kann die Größe dieses Talentepools nicht fassen. Dieser Event ist nicht groß, vielleicht 2000-2500 Zuschauer. Ein normales Erste-Liga-Spiel im Fußball. Und doch herrscht ein Niveau bei 1500m, 5000m und 10000m, das schlichtweg unfassbar ist. Gleich werden hier ein paar österreichische Rekorde in den Boden gestampft. Für die meisten Läufer ist dieser Wettkampf nur ein Teil ihrer langjährigen Marathon-Ausbildung. Nach vielen Jahren in kürzeren Distanzen versuchen die Athleten von Jahr zu Jahr ihre Distanz zu steigern und ihr Tempo dabei so gut als möglich zu halten, bis sie sich ab etwa 25-30 Jahren dann voll auf das Marathontraining zu konzentrieren beginnen. Doch wie sieht so ein Training genau aus?

Eine Trainingswoche im Camp

Den schnellsten Einblick in einen kenianischen Marathonaufbau gibt wahrscheinlich ein typischer Mikrozyklus – also eine ganz gewöhnliche Trainingswoche hier im Camp:

  • Montag: Longrun vor dem Frühstück (1:30h; 25-35km), Regenerativ am Nachmittag (45min; 10km)
  • Dienstag: Fahrtenspiel 40 min nach dem Frühstück. Zum Beispiel: 3min (Stufe 3*), 1min (Stufe1), x10. Oder 1000m-Sprint x 15, mit ein 200m lockerem joggen als Pause. Nachmittags 40min (~8km, Stufe 1*)
  • Mittwoch: 1 Stunde vor dem Frühstück (~15 km, Stufe 1 oder 2*). Rumpfzirkel am Vormittag.
  • Donnerstag: Bahntraining mit Intervallläufen. Zum Beispiel: Absteigende Pyramiden (Stufe 3) die mit 2000m x3 starten, dann 1200m x3, dann 600m x3, dann 400m x3. Dazwischen immer 200m (Stufe 1). Oder 2000m x 6, 3min (Stufe 1). 2000m & 3000m (Stufe 3), abwechselnd, mit 3min lockerem Joggen dazwischen (Stufe 1). Sie wechseln in den Trainings auch lohnende und vollständige Pausen ab. Es geht darum, den Körper zu einer Anpassung zu zwingen. Nachmittags wieder 40min (~8km, Stufe 1).
  • Freitag: 1 Stunde (~15km, Stufe 1 oder 2, je nach Erholungszustand)
  • Samstag: Longrun vor dem Frühstück (~30-40km, 1:30 bis 2:30h, Temposteigerung in der ersten Stunde – Start mit 4:00/km, dann 30 min pushen mit etwa 3:20/km)
  • Sonntag: Kirche

Zusammenfassend:

  • Stufe 1 = niedrige Intensität
  • Stufe 2 = mittlere Intensität
  • Stufe 3 = hohe Intensität
  • 2x/Woche Intervall- oder Wiederholungsmethode.
  • 2x/Woche Dauermethode
  • 4-5x/Woche Regenerationsläufe
  • 1x/Woche Rumpftraining

Die Marathonläufer hier sollten 150km – 200km pro Woche schaffen und die Distanzen und Pausen der Intervalltrainings werden jede Woche geändert. Der Körper muss sich also ständig anpassen. Pro Jahr werden zwei Höhepunkte geplant, dem immer ein Drei-Monats-Aufbau vorausgeht.

„Man muss die Schmerzen lieben”

In diesen drei Monaten geschieht ein Aufbau der zuerst in den Bergen auf etwa 2400m beginnt. Hier trainieren die Läufer vor allem mit Bergläufen die lokale Muskelausdauer und versuchen die Kilometerdistanz jede Woche zu steigern. Der Trainer sagt, dass die Bergläufe zu Beginn des Aufbaus wichtig sind, um den richtigen Kniehub für eine gute Lauftechnik zu bekommen. In der Steigung ist man gezwungen seine Knie hoch zu ziehen und das führt in der Ebene dann zu den langen Schritten. Außerdem versuchen sie den Bewegungsapparat auf die zwei harten „Speedwork”-Einheiten vorzubereiten, die jede Woche kommen werden. Ein Läufer hat mir dazu folgendes erzählt: „Manche Leute haben Angst davor, dass es weh tut. Bei den Speedwork-Einheiten lernst du es zu lieben”.

Nach diesem ersten Monat sind die Athleten nun auf einem Trainingsumfang von 150-200km/Woche und wechseln in das zweite Camp in Njabini (Kenia) auf 2700m. Diese Gegend zeichnet sich durch ein flaches Höhenprofil der Laufstrecken aus und außerdem gibt es hier Straßen, die den europäischen Straßen zumindest ähnlich sind. Ich durfte auch dieses Camp besuchen: Die Straßen waren voller Müll, Kühe laufen zwischen den Autos frei herum. Es ist kalt, und die kenianischen Sportler frieren auf den ersten Kilometern bei jedem Lauf. Wir hatten auf etwa 15m² vier Matratzen für zwölf Leute. Ich durfte genau in der Mitte schlafen, zumindest ein wenig Abstand zu den 20 Turnschuhen in der Ecke. Im Vorraum wird in einer Metallschale mit Holzkohle gekocht und der Rauch zieht immer wieder in den Schlafraum – mit den 20 Turnschuhen – neben den 12 Männern auf vier Matratzen. In der Nacht fliegt eine Mücke von der einen Raumseite auf die Andere und ich frage Geoffrey Gikuny, der neben mir liegt, was wir tun sollen. Sie könnte Malaria, Gelbfieber oder Dengue haben. Wir entscheiden uns dafür die Decke über den Kopf zu ziehen und schlafen zu dritt unter einer Decke Schweißgeruch einatmend ein. Geoffrey will dieses Jahr den Wien-Marathon gewinnen. Um 5:30 Uhr klingelt der Wecker für den Morgenlauf. In Österreich könnte ich auch irgendwo am Boden in einer Ecke schlafen und würde mich pudelwohl fühlen – ich glaube mit sehr wenig Komfort trotzdem sehr gut auskommen zu können, doch die Bedingungen in Njabini sind einfach nur unglaublich hart! Nach ein bis eineinhalb Monaten in diesem Camp und diesem Trainingsumfang kommt einem der Marathon wahrscheinlich wie ein Erlösung vor. Das Training in dieser Zeit unterscheidet sich nur im Tempo vom vorherigen Monat. 2x/Woche werden 30-40km Läufe gemacht. Es folgt eine Tapering-Phase für zwei Wochen in der die Umfänge komplett reduziert werden. Die Läufer reden nun immer vom Wasser und Tee trinken. Von Nudelpartys halten sie nichts und schlussendlich kommt der große Tag: Der Marathon – 42,192. Wenn alles glatt läuft können sie anschließend für einen Monat zu ihrer Familie gehen, um zu regenerieren. Dann kommt eine kurze Übergangsphase und mit der nächsten Vorbereitungsphase geht das Ganze wieder von Vorne los. 

Technik und Gespür

Um die Intensität des Trainings zu steuern benutzen die Läufer eigentlich alle GPS-Uhren, die ihnen eine Kilometerzahl pro Zeiteinheit anzeigen können. Ich habe keinen Läufer mit Pulsgurten gesehen und bei manchen Athleten ist die Uhr seit vielen Wochen kaputt. Sie erklären mir die Steuerung ihrer Trainingsintensität folgendermaßen:

  • Stufe 1: Man kann noch reden
  • Stufe 2: Es kann nur noch stockend gesprochen werden
  • Stufe 3: Man spürt ein brennendes Gefühl am Kehlkopf und in den Schenkeln sowieso

Ein Lauf-ABC-Video und ein 5000m-Lauf der Vorrunde in Nakuru sollen ein paar Eindrücke zum Training und dem Wettkampf hier in Kenia geben. Im nächsten Bericht wird das Thema der Läuferbeschwerden näher behandelt.

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