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Die weiße Stadt

Ulrich Gabriel
Ulrich Gabriel

Vor drei Tagen kehrte ich von meiner jüngsten Feldforschung zurück und hockte mich sofort, konsumverseucht wie ich bin, vor den Fernseher, um Zeit im Bild zu sehen, damit ich informiert bin, obwohl ich informiert bin, dass ich danach ebenso uninformiert bin wie alle Uni-Formierten. Dass du‘s gleich weißt, Volk: Ich berichte von der „Weißen Stadt“. „Wo ist die?“, fragst du. Gut gefragt.

Die „Weiße Stadt“ kommt nämlich nicht einmal im Wikipedia vor. Dabei ist „Die weiße Stadt“ sogar ein Roman von Milo Dor. Wenn etwas im Wikipedia nicht vorkommt, ist es bewusst ausgespart oder nicht von Mainstream-Interesse. Du wirst hoffentlich nicht glauben, Volk, dass im Wikipedia nicht manipuliert wird. Wiki kennt unter „Weiße Stadt“ fast nur Siedlungen. Meine „Weiße Stadt“ ist aber weder eine weiße „Wohnsiedlung“ in Berlin noch eine in Tel Aviv, weder eine „Werksiedlung“ in Oranienburg noch ein Kölner „Siedlungsgebiet“. Sie ist auch nicht die Stadt Minas Tirith vom „Herr der Ringe“. Wo also ist die „Weiße Stadt“?

Sie ist das „Tor zum Orient“. Die „Weiße Stadt“ heißt Belgrad, „beli grad“, stolze Hauptstadt Serbiens, von der Financial Times 2012 zur Stadt der Zukunft Südeuropas gewählt. Von der Festung am grünen Kalemegdan sehe ich auf die blaue Save hinunter. Unter mir „küsst“ sie, die lichte blaue Save aus den Bergen, die Donau und „mündet“ ins Grau des großen Stroms. Sichtbar sich vermengend werden die beiden eins. Tag und Nacht seit Jahrhunderten. Partyschiffe weiden am Ufer. Dort tanzt die Jugend. Dahinter, umkreist vom Wasser, wacht die dunkel bewaldete „Kriegsinsel“. Weiter oben errichtet ein Saudi drei mächtige moderne Wohnblöcke. Die Appartements gehen weg wie warme Semmel.

Über der modernen Stadt glänzt das goldene Kreuz der mächtigen serbisch-orthodoxen Kirche für den heiligen Sava. Für die kostbare Krypta mit den goldenen Ikonen hat Putin (Gazprom) 30 Millionen Euro gespendet. 300 russische und ukrainische Künstler arbeiten an der Fertigstellung der Goldmosaike. Griechische Künstler restaurieren die gemalten Goldikonen. Moskau ist hier näher als anderswo. Brüssel nähert sich. Nach drei Tagen verlasse ich die „Weiße Stadt“, kehre zurück auf der Route, die vor mir viele SerbInnen genommen, als sie nach Österreich kamen. Jung ist Belgrad heute und sehr zu empfehlen.

Zurück in Vorarlberg zappe ich zur ZIB: „Ja natürlich“, unerträglich! Schweinderl-Werbung. Mit Schweinderlidiotie werben die Lebensmittelkonzerne fürs Vollfressen. Kaufversklavung der Gebührenzahler. Jetzt kriecht das quakende RAPS-Geldbörserl (für Vollkoffer) über den Schirm. Sind wir so hirnzerfallen, dass wir diese Art von Werbeverseuchung über uns ergehen lassen (müssen)? 19 Uhr V-heute-Fraß, 19.30 ZIB-Fraß. Handlungsbetäubt fressen wir mit Werbung, Greta-Nachrichten, Klimawetter und Geldsport das tägliche Gift zur politisch nachhaltigen Betäubung ins Hirn. Ob das gesund ist?

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