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Die Größe der kleinen Dinge

Wandlung: Detailreiche Metamorphose eines Bregenzerwälderhauses.
Wandlung: Detailreiche Metamorphose eines Bregenzerwälderhauses. ©Christian Grass | vai
Egg - Ein Zauber liegt über dem Ganzen – dem Weiler, am Ende des Weges gelegen auf einem Sporn der „Niedere“ hoch über Egg, unter der schon sommerlichen Mittagssonne; in der Mitte dieses Haus, vor dem man ins Grübeln kommt: Ist es alt, ist es neu?
Metamorphose eines Wälderhauses

Wie hier draußen üblich „liegt “ der Bau inmitten der Wiese, den Nachbarn in Maß und Proportion verwandt. Ein First, zwei Geschoße und die drei Raumgruppen des Bauernhauses: Wohnteil, Tenne und Stall mit Heuberge. Doch der zweite Blick zeigt Unterschiede: die Silhouette mehr aufgerichtet, das Dach etwas flacher, Balkone statt der Scheuneneinfahrt, regelmäßig große Fenster in der Scheune – und der Zugang vom wetterseitigen Giebels

In dessen Holzverschalung – flächig, wie im neuen Bauen des Landes heute üblich, mit bündigem Dach, Fenster und Garagentor – ist eine großzügige Loggia eingelassen: Sie ist Zugang zum Haus und belichtet die direkt anschließende, gewendelte Treppe, die über drei Geschoße reicht (noch so ein Unterschied). Einige Schritte durch einen Flur, und man befi ndet sich in dem Raum, wo im Bauernhaus sonst der Platz der Treppe ist. Hier: ein beidseitig großzügig belichteter Raum – die neue Küche, schwarzer Boden, weißer Lack und Edelstahl. Und da ist es, mit aller Kraft des uralten Strickbaus: das alte Bauernhaus. Das setzt sich fort in den beiden getäferten Stuben, wälderisch-vornehm.

Ein altes Wälderhaus also doch, aber „umgestrickt“. Damit nicht genug: Beide Stuben sind über zwei Seiten belichtet. Das war nicht immer so: Den neuen Ansprüchen mussten frühere Anbauten weichen – auf der einen Seite ein bescheidener Schopf, auf der andern ein „Stüble“. Und langsam begreift man: da ist einiges mehr geschehen. Neu gebaut ist, was einst Stall und Tenne war – der Vorbau fiel vor rund dreißig Jahren einem Unwetter zum Opfer. Neu ist das Dach mit flacherer Neigung, aufsitzend auf dem gestrickten Wohnteil. Dieser Bauteil samt gemauertem Sockel ist einige hundert Jahre alt, doch wurde er heutigen Wohn- und Energiespar- Standards gemäß um einen Drittelmeter angehoben.

Technisch ist das kein Problem und dass es kaum auffällt, zeigt: Es ist in der Sache angelegt. Und tatsächlich: Alte Bauernhäuser sind keine fertigen Objekte. Immer wurde verändert, erweitert, angebaut (und nicht selten der Strickbau umgesetzt). Ein Organismus, der sich ständig verpuppt, Neues ausbrütet, sich verwandelt. Zu Zeiten bäuerlicher Blüte waren es meist Vergrößerungen, also Anbau; heute ist es eher Rückbau (in diesem Fall immerhin ein Drittel). Mit Bewusstsein und Sorgfalt gemacht, sind es immer Verbesserungen. Eine Metamorphose, die auch heute einen „Schmetterling“ hervorzubringen vermag.

Solch eine Verwandlung, erfordert freilich Reife. Nicht nur: sich einlassen, auch auf Kleinigkeiten. Gerade darin sieht der Architekt Walter Felder die eigentliche Herausforderung. „Bei einer Sanierung, wo der Rahmen gegeben ist, wird das Detail ausschlaggebend“, sagt einer, der dergleichen schon vielfach – und ausgezeichnet – gemacht hat. „Es ist schon eine Leidenschaft von mir: das Wälderhaus weiterbauen.“

Diese Neigung zum Detail ist nicht zuerst konstruktiv, sondern gilt dem Gebrauch der Dinge. Was muss es können, dieses konkrete Ding, einst und heute? Was hat sich verändert, was verbessert, was ist nötig, um Qualität sicherzustellen? Da wird es dann freilich ganz schnell konstruktiv, da kommt die Wäldertugend des Tüftelns zu Ehren. „Und wahrlich, wie viel geriet schon! Wie reich ist diese Erde an kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgeratenem. Stellt kleine gute vollkommene Dinge um Euch, (…) Deren goldene Reife heilt das Herz.“ Als sei der Denker der Verwandlung, Friedrich Nietzsche, genau durch dieses Haus gegangen – so zahlreich sind die kleinen, verbesserten Dinge. Und weil es so ist, sei nur eines – ein besonders wichtiges Detail – herausgehoben: das Fenster. Das Fenster wurde viel verändert und prägt maßgeblich das Gesicht des Hauses. Maß und Proportion bilden für Felder den Rahmen. Gestiegene Dämmwerte erfordern eine neue Konstruktion, doch darf ein stärkerer Rahmen nicht zulasten des Lichtquerschnitts gehen. Daraus folgt: in die Tiefe gehen, andere Beschläge verwenden, manchen neu entwickeln. Die Anmutung eines Kastenfensters war gewünscht, der Laden war zu integrieren. Es ist nicht übertrieben: Da hat einer das Fenster an sich neu entwickelt. Dagegen im neuen Bauteil: Industrietechnik, geklebtes Stufenglas, rahmen- und sprossenlos. Doch beide Fensterarten sind im Maß der alten Wälderfenster.

Liebe zum Detail, Leidenschaft fürs Wälderhaus: Das macht den Zauber aus. „Hoffentlich muss ich da nimmer weg“, meint seine Frau, die beruflich Kranke betreut. „Das früher amputierte Haus, das ist jetzt wieder ein Ganzes – eine gelungene Heilung.“

Daten & Fakten

Objekt: Sanierung und Umbau Bregenzerwälderhaus in Egg

Alter: 200–250 Jahre

Architekt: Architekturbüro DI Walter Felder, Egg

Ausführungszeitraum: Juni 2011–Februar 2012

Holzbau: Fetz Holzbau, Egg

Fenster: Claus Schwarzmann, Schoppernau

Innenausbau, Türen: Andreas Flatz, Egg

Ofensanierung: Ewald Voppichler, Egg

Glaserarbeiten: Glasbau Rudolf Meier, Bezau

Holzböden: Bodenprofi Josef Fröwis, Bezau

Heizung, Sanitär: Peter Metzler, Andelsbuch

(Leben & Wohnen)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg, Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öff entliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Die Vortragsreihe JIJ and friends endet in zehn Tagen mit dem Werkvortrag von Jan De Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu. Der Gastgeber PRISMA und das vai laden in das designforum, CAMPUS, Hintere Achmühlerstraße 1, Dornbirn, Dienstag, 26. Juni 2012, 19 Uhr

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