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„Die Freiheit der Kunst ist ein Grundpfeiler der Demokratie“

Der Vorarlberger Regisseur Martin Gruber im WANN & WO-Sonntagstalk.
Der Vorarlberger Regisseur Martin Gruber im WANN & WO-Sonntagstalk. ©WAWO/MiK
Der Regisseur Martin Gruber, Vorarlberger des Jahres in Wien, im WANN & Wo Sonntags-Talk über sich, Machos und Theater.

WANN & WO: Was machst du momentan im Ländle?

Martin Gruber: Zur Hälfte lebe ich ja hier. Die Verbindung zum Ländle war mir immer sehr wichtig. Ich mag diese Kombination mit Vorarlberg, das eher ländlich, jedoch nicht mit der „ostösterreichischen Provinz“ vergleichbar ist, also auch einen urbanen Charakter hat. Hier habe ich einen Bach neben meiner Wohnung, höre die Vögel zwitschern. In Wien wohne ich im 7. Bezirk. Beides schätze ich sehr, aber in Vorarlberg schlafe ich eindeutig besser (lacht).

WANN & WO: Was bedeutet die Auszeichnung „Vorarlberger des Jahres in Wien“ für dich?

Martin Gruber: Am meisten freut mich, dass dieser Preis an einen Künstler verliehen wurde. Das zeigt, dass die Kunst dann doch nicht so wahnsinnig unwichtig ist und man ihr ein bestimmtes Gewicht gibt.

WANN & WO: Wie hast du die Anfänge des aktionstheater ensemble vor bald 30 Jahren in Erinnerung?

Martin Gruber: Mir wurde dringend davon abgeraten, eine freie Kompanie zu gründen. Ich habe mich aber für diesen freien Weg entschieden, weil er mir künstlerisch mehr Möglichkeiten gegeben hat. Meinen eigenen Stil durchzuziehen war mir das Wichtigste. Die Kunst hat immer Priorität, niemals die Institution.

WANN & WO: Was sind die Themen, die dir auf der Seele brennen?

Martin Gruber: Mir geht es neben einer spannenden Erzählform natürlich um gesellschaftspolitische Belange: Es geht unter anderem um patriarchale Strukturen und dadurch bedingte Machtverhältnisse. Wie verhalte ich mich in der Gesellschaft und wie kann ich darin überleben?

WANN & WO: #metoo mischt die Gesellschaft ja gehörig auf. Ist das im Theater auch ein Thema?

Martin Gruber: Es spielt auf jeden Fall eine Rolle. Der klassische Theaterbetrieb ist hierarchisch strukturiert, meiner wohlgemerkt hoffentlich nicht so ganz (lacht). Wo es solche Strukturen gibt, werden sie in der Regel von Männern ausgenützt. Es geht nicht darum zu sagen, die Frau ist besser. Sie ist zu wenig vertreten, die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht. Wenn Frauen – die Mehrheit der Gesellschaft – zu wenig gespiegelt werden, wenn Minderheiten (Behinderte, Migranten, LGBT-Personen) zu wenig gespiegelt werden, sind wir nicht wir. Das „Volk“ sind wir alle. In einem meiner nächsten Stücke setze ich mich mit dem Phänomen des „Post-Macho“ auseinander. Es wird eine große Performance, wo sich einige Männer für 4000 Jahre Patriarchat entschuldigen werden (lacht).

WANN & WO: Wie bewertest du, dass mit #metoo eine Form von Gewalt in den Fokus gerückt ist?

Martin Gruber: Ich merke insbesondere bei heterosexuellen Männern, dass in diesem Zusammenhang kein Unrechtsempfinden da ist. Wir leben immer noch durch und durch in einer Macho-Gesellschaft.

WANN & WO: Ist Homosexualität deshalb noch ein Tabu? Warum ist jemand gegen die Ehe für alle?

Martin Gruber: Das weiß ich nicht. Es würde niemanden etwas kosten. Ich finde absurd, dass bei solchen Themen oft ganz archaische Dinge, wie etwa die Bibel, zum Tragen kommen. Leute, die sich keinen Deut um Nächstenliebe scheren, um eine Form von Gerechtigkeit, die nie irgendeine Religion zitieren, machen das in diesem Moment. Die Ehe für alle ist für viele ein Problem, weil sie den Primat des Patriarchats absolut infrage stellt. Der Schwule ist eine Bedrohung für die Männlichkeit. Ich glaube, das ist ein letztes Aufbäumen der Männer. Kein Mann ist nur Macho! Diese Reduktion gibt aber eine gewisse Sicherheit. Das ist einfach, Kompliziertes macht Angst.

WANN & WO: Reagieren Menschen automatisch ablehnend auf den moralischen Zeigefinger?

Martin Gruber: Ja und das ist absolut verständlich. Wenn mir jemand sagen will, was richtig und was falsch ist, frage ich mich, ob mich der für bescheuert hält. Wer zu einer Kulturveranstaltung geht, kommt wohl nicht völlig auf der Milchsuppe dahergeschwommen. Dann kann ich auch sagen, vielleicht finden wir gemeinsam „etwas Drittes“, etwas, das wir noch nicht bedacht haben.

WANN & WO: Woher kommt dein kritischer, rebellischer Geist?

Martin Gruber: Ich empfinde das, was ich mache, oft nicht so sehr als provokant. Ich weiß aber, dass es für viele so rüberkommt. Es ist die Chance der Kunst, mit der sogenannten Realität zu arbeiten und diese in Frage zu stellen. Vielleicht verstehen wir auf einer Meta-Ebene mehr, können uns aber nicht formulieren. Die Kunst ist schon dazu da, diese Meta-Ebene zu greifen. Ich kann aber auch mit einer „Instant-Wahrheit“ daherkommen, irgendeinem populistischen Schwachsinn. Das klingt so einfach und es beruhigt. Diese Beruhigungspillen mag ich nicht. Ich maße mir nicht an, zu sagen, dass ich jetzt die super Lösung habe. Aber vielleicht finden wir gemeinsam eine.

WANN & WO: Erfährt man in deinen Stücken, was uns ausmacht?

Martin Gruber: Das kann man nicht pfannenfertig servieren. Kunst ist auch eine Form der Entlastung, die Möglichkeit, Dampf abzulassen. Kein Zudödeln mit Belanglosigkeiten, außer das Banale wird, wie oft beim aktionstheater ensemble, bewusst zitiert. Es geht auch darum, mir meiner Widersprüche bewusst zu sein. Und zu wissen, dass das okay ist. Das entlastet. Wenn ich mich mit meiner eigenen Widersprüchlichkeit konfrontiere, kann ich ja auch mein Gegenüber eher annehmen.

WANN & WO: Sind diese Inhalte zu kompliziert für die Politik?

Martin Gruber: Ich glaube, dass es die Aufgabe einer guten Politik wäre, komplexe Sachverhalte so zu verdichten, dass sie verständlich sind. Nur so kommt man auf eine gemeinsame Erzählung, die man auch als nachhaltig und zukunftsfähig bezeichnen kann. Das wäre die moralische Verpflichtung der Politik. Notwendigkeiten klarmachen und nicht einfach sagen, auch wenn es völliger Schwachsinn ist, was die Leute oder ein hysterischer Boulevard gerne hören wollen. Ein Grundthema unserer letzten Produktionen war die Einsamkeit, die Vereinsamung in der Gesellschaft. Ich spüre bei diesem ganzen Tschimmbumm und Trara eine unglaubliche Einsamkeit – trotz 1000 „Gefällt mir“. Der Grund für diese Einsamkeit ist eine schleichende Entsolidarisierung.

WANN & WO: Darf Satire alles?

Martin Gruber: Ich glaube nur an eine Form der Zensur und das ist die Selbstzensur. Entweder wir haben die Freiheit der Kunst oder wir haben sie nicht. Natürlich ist alles erlaubt, die Frage ist, was Sinn macht. Die Freiheit der Kunst ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Humor ist auch ein wichtiges Instrument. Lachen befreit und zersetzt autoritäre Strukturen.

WANN & WO: Würdest du irgendetwas an dir gerne ändern?

Martin Gruber: Meine ständige innere Unruhe, aber ich glaube, das schaffe ich in diesem Leben nicht mehr (lacht).

WANN & WO: Wie beurteilst du den Wahlausgang?

Martin Gruber: Als Demokrat muss ich ihn zur Kenntnis nehmen. Da wurde aber auf Kosten der Schwächsten Stimmungsmaximierung betrieben, das finde ich widerlich. Die Tendenz der Rückkehr zum Nationalismus halte ich für gefährlich. Es gibt eine Sehnsucht nach Sicherheit, Einfachheit, einer Pseudoform von Geborgenheit, die in einem gewissen Grad verständlich ist. So wird sich das fatal auswirken. Das ist ein, von vielen Menschen gar nicht gewollter, Rückschritt ins 19. Jahrhundert. Da richtet man eine Spaltung der Gesellschaft an. Es wird auf perfide Art ein Wir-Gefühl erzeugt: Wir gegen die anderen. Wir Braven, Fleißigen gegen die Minderheiten, Asylanten, Künstler, die meine Wohligkeit stören.

WANN & WO: Reagierst du darauf?

Martin Gruber: Ja, damit beschäftigt sich auch unser nächstes Stück. Es wird Aufgabe der Kunst sein, wieder subtiler zu werden. Natürlich ist es wichtig, Dinge beim Namen zu nennen. Mit einer banalen Gut-Böse-Dichotomie werden wir nicht antworten. Am Ende des Tages müssen wir uns wieder versöhnen. Der Arbeitstitel lautete „Schrecklich einfach“. Die Simplifizierung ist das Problem. Was dabei herauskommt, haben wir gesehen. Keiner hat ein halbes Schnitzel weniger gegessen, weil – vermeintlich – so viele Flüchtlinge da sind. Ich will mir meine Humanität bewahren. Natürlich müssen wir Regeln finden, so naiv darf man auch nicht sein.

WANN & WO: „Schrecklich einfach?“

Martin Gruber: Der richtige Titel lautet „Swing. Dance to the right“. Es geht um Simplifizierungen, dass die Verpackung wichtiger geworden ist als der Inhalt. Ums Recht haben wollen und eine Vereinsamung, die passiert, wenn ich auf meinem Standpunkt beharre. Wir machen kein Politkabarett, es geht um eine schleichende Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas. Trotzdem wollen alle tanzen und fröhlich sein, aber es gelingt nicht ganz. „Swing. Dance to the right“ ab 5. Dezember im Spielboden Dornbirn.

WANN & WO: Haben wir die Fähigkeit zur Empathie verloren?

Martin Gruber: Das glaube ich nicht. Wenn wir sie verloren hätten, würde das heißen, dass wir sie mal ganz gehabt hätten. Es braucht gute Politik, Verantwortung der Zivilgesellschaft und permanente Reflexion. Die kostet unglaublich viel Energie. Am Ende des Tages bin ich aber zuversichtlich, der Mensch hat nur überlebt, weil er solidarisch war, über das Miteinander. Diese Solidarität mit einer Grenze zu definieren, halte ich für dumm. Es wird nicht einfach, aber wir müssen den Mut haben, gemeinsam Lösungen zu finden.

(WANN & WO)

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