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Dichtung und Wahrheit

Die neue Mitte - Kirchplatz und Dorfplatz
Die neue Mitte - Kirchplatz und Dorfplatz ©Darko Todorovic
Die Gemeinde Krumbach im Bregenzerwald geht neue Wege bei der Dorfentwicklung.
Dorfentwicklung in der Gemeinde Krumbach

Was für ein Morgen! Wolkenlos der Himmel, wärmend die Sonne nach kühler Nacht, frisches Grün, aufgeregtes Gezwitscher aus den Hecken, der Schrei des Bussards, in der Ferne ein Hahn … Ländliche Idylle. Nur schöner Schein, sagt der Realist! Wohl war: Als vor wenigen Tagen eine Regenfront nahte, waren die Wiesen bis an die Wege und Häuser in Braun getaucht.

Mit der Realität konnten wir hier draußen n o c h nie viel anfangen“, so Annie Proulx in „Brokeback Mountain“. Was heißt: „Hier draußen“ steht nicht eins gegen das andere, in Wirklichkeit spielt eins ins andere, verändert sich, entfaltet sich, vergeht. Ein Wirkkreis, den jeder sehen kann. Doch tut sich mancher schwer, das zusammen zu sehen, zu verdichten – zu einem Bild. Dieses gar für wirksam zu nehmen, fällt dem Realisten nicht leicht.

Arnold Hirschbühl ist keiner von dieser Sorte. Der Landwirt ist seit 17 Jahren Bürgermeister der Gemeinde Krumbach und ist von der Wirksamkeit von Ideen, Bildern, Verdichtungen überzeugt. Umso mehr, als seine Ideen heute selbst zu einem guten Stück Wirklichkeit geworden sind. Das Gespräch ist schnell bei seinem Hauptanliegen. Der Bauer spricht aus ihm, wenn er sagt: „Viel zu lange ist man schlampig mit Grund und Boden umgegangen.“ Gegen Flächenfraß, verödete Ortskerne, ausfransende Ränder setzt er: Verdichtung im Ortskern. Also steht am Beginn seiner Amtszeit der Neubau des „Dorfh us“ (1997) – Lebensmittelgeschäft, Bank, Frisör, Café unter einem Dach, in einem Wettbewerb gekürt und geplant vom Architekten Hermann Kaufmann. Ebenfalls Verdichtung: den ganzen Ort in den Blick nehmen, Schwachstellen benennen, Potenziale aufspüren, Kräfte konzentrieren: Das Mitte der 90er-Jahre erstellte Leitbild der Gemeindeentwicklung gilt noch heute.

Drei Jahre später dann Generalsanierung des benachbarten Gemeindeamts aus der Hand desselben Architekten. In diesem Zug erhält der Platz davor ein neues Bild mit einem Brunnen des Bildhauers Herbert Meusburger. Prägend die Sanierung des Gasthauses Adler durch Baumeister Jürgen Hagspiel. Abgerundet wird das Ensemble durch die Neufassung des Friedhofs nach Plänen der Architekten Bernardo Bader und Rene Bechter im Jahr 2004.

Damit sind die Hauptakteure der Architekten genannt. Kaum zu glauben: eine Ortschaft mit ca. 1000 Einwohnern, drei Architekten, zwei Generationen – das geht! Sogar so gut, dass man sowohl projektweise zusammenarbeitet, als auch im Wettbewerb gegeneinander antritt oder für sich wirkt. Das starke Leitbild hilft Brücken schlagen. Eine 2008 gemeinsam erstellte Studie zur Ortsgestaltung unterstreicht das – in der Gemeinde diskutiert und ohne Bürokratie in den Köpfen verankert.

Die 2010 nach Plänen von Hermann Kaufmann fertiggestellte Wohnanlage bekräftigt dies. In unmittelbarer Nähe zum Dorfkern gebaut, nahe an die Straße und mit 17 Wohnungen in zwei kompakten Gebäuden auch noch Geschoßwohnungsbau – gab das Gerede! Doch mit der Fertigstellung ist es verstummt, die Hausgemeinschaft hat sich gut entwickelt, die Orientierung mit Balkonen erlaubt unbehelligtes Wohnen, man feiert gemeinsam. Erleichternd ist die Nähe zum Ortskern, die Dichte schafft Atmosphäre, sogar die Wohnung an der Straße hat einen Liebhaber gefunden: einen Busfahrer, der von hier aus sein Geschäft im Blick hat. Entsprechend das Lob für die neue Ungezwungenheit des Wohnens, weiß der Bürgermeister doch, wovon er spricht – nach Hofübergabe ist er mit seiner Frau selbst dort eingezogen.

Dass es das erste Passivhaus seiner Kategorie war, fällt gar nicht so sehr ins Gewicht – die Fotovoltaikanlage, gekoppelt an das gemeindeeigene Elektroauto, ist sorgfältig in den Bau integriert, die Fernwärme für die Bauten im Ortszentrum kommt
aus der Hackschnitzelheizung – sinnvoll bei kurzen Wegen. Nachbarschaftshilfe wird erleichtert – angesichts schwindender Großfamilie und steigendem Alter ein großes Thema im Ort. Nähe zahlt sich aus.

Weiter so: 2011 die konstruktiv anspruchsvolle und ortsprägende zentrale Bushaltestelle, geplant von den drei Architekten. Ebenso im kommenden Jahr das neue Pfarrhaus mit öffentlicher Bibliothek und Musiksaal. Eine Wohnanlage, die selbstständiges Wohnen mit Betreuung aus der Nachbarschaft verbindet, wird folgen; dann der neue Verbindungsbau der zentral gelegenen Schule und Turnhalle …

Verdichtung heißt auch: Besinnen auf eigene Potenziale beim Bau: Holz. Einige Zeit „aus der Mode“, kommt der für Jahrhunderte erste Baustoff zurück. Beim Fußballclubhaus von Bernardo Bader (2000) lag das nahe. Aber das mehrgeschoßige „Dorfh us“ im Ortszentrum, umlaufend holzgeschindelt: eine Sensation! „Ein g’höriges Haus als Holzhaus, das gibt’s doch nicht! Doch! Wir haben’s gezeigt, es geht. Ein Beispiel geben, das war’s, denn es ist eine Kopfsache!“ So ging’s mit Gemeindehaus, Wohnanlage weiter – Bauten, noch konventionell mit betoniertem Kern, Decken, Treppen, doch die Hülle Holzständer mit -schindeln. Der entscheidende nächste Schritt: Betrieb und Baustoffe incl. Bereitstellung unter die Lupe nehmen. Da spricht sehr viel für Holz. Und so werden die nächsten Kommunalbauten – beginnend mit dem Pfarrhaus – reine Holzbauten sein, Tragwerk wie Hülle. Dem werden dann einige Privathäuser wegweisend vorangegangen sein.

Verdichtung heißt auch: Das gesamte Bauen, Zukunft wie Herkunft, im Blick – selbstverständlich begegnet man den alten Bauten mit Respekt. Die herausragende Sanierung des Hauses Baschnegger (Architekt Helmut Kuëss, 2010) oder die Umnutzung des eigenen Hauses von Architekt Rene Bechter (2011) zeigen es.

Besinnung auf die eigenen Potenziale – manchmal treibt ein „Mangel“ dazu. Der „Mangel“ Krumbachs: Was angeblich kein Tourist im Voralpenland missen darf – den Alpenblick. Der „Schweizberg“ steht im Weg! Was tut man in Krumbach: Man sucht das Heil im Tal und findet es in den Mooren, sammelt Geschichten, erkundet Flora und Fauna, legt Wege an, lädt zu mannigfaltigen Entdeckungen ein – ein einzigartiges touristisches Leitbild. Mit reger Bürgerbeteiligung entstanden nach Plänen von Maria Anna Moosbrugger die „Moorwege“. Und natürlich geht’s nicht ohne Bau: der „Moorraum“, ein Pavillon der Besinnung am Moorweg. „Besser als je erwartet“, so Hirschbühl, sei das angekommen.

Doch nicht nur Augen, Nase und Gleichgewichtssinn – die Krumbacher machen vor, dass vom Moor auch die Zunge profitiert. Gewächs und Kraut bereichern die Karte der „Moorwirte“. Das gibt „Sensationen“, wie die Wirtsleute des „Schulhus“ seit Jahren vormachen, deren Küche zu den innovativsten des Landes zählt. Dazu Käse aus silofreier Heumilch aus der neuen Hofsennerei – bereichert durch die Früchte eben dieser besonderen Landschaft.

Das ist der Krumbacher Weg: der eigenen Wahrheit auf der Spur durch Verdichtung zum Bild.

 

Daten & Fakten

Gemeinde Krumbach, Bregenzerwald
Einwohner 990 (2011)
Bürgermeister Arnold Hirschbühl

Bus-Terminal (2011)
Architekten: Bernardo Bader, Rene Bechter und Hermann Kaufmann

Sanierung Haus Bechter (2011)
Bauherr: Familien Oliver und Rene Bechter
Architekt: Bechter-Zaffi gnani Architekten, Bregenz, www.bzzt.at

Mehrfamilienwohnhaus (2010)
Bauherr: Morscher Bau- & Projektmanagement
Architekt: Hermann Kaufmann, www.hermann-kaufmann.at

Sanierung Haus Baschnegger (2010)
Bauherr: Hansjörg Baschnegger
Architekt: Helmut Kuëss, www.architektur-kuess.at

Ferienhaus Bosch (2010)
Bauherr: Brigitta und Hubert Bosch
Architektur: Benedikt Bosch, benedikt.bosch@web.de

Moorroom (2009)
Architekten: Paul Steurer, Dornbirn mit Bernardo Bader und Rene Bechter, www.paulsteurer.at

Neufassung Friedhof (2005)
Architekten: Bernardo Bader und Rene Bechter

Fußballclubhaus (2000)
Architekt: Bernardo Bader, Dornbirn, www.bernardobader.com

Gemeindehaus (2000)
Architekt: Hermann Kaufmann, Schwarzach, www.hermann-kaufmann.at

Sanierung Gasthaus Adler (1999)
Bauherr: Familie Hirschbühl
Planung: Jürgen Hagspiel, www.j-h.at

Dorfplatzgestaltung (1999)
Künstler: Herbert Meusburger, Bizau, www.herbertmeusburger.at

Dorfhus (1997)
Architekt: Hermann Kaufmann, Schwarzach, www.hermann-kaufmann.at

Auch einen Besuch wert:
Hofkäserei Engel mit Hofladen, Familie Faißt, www.hofkaeserei-engel.at
Restaurant ‚s Schulhus, Gabi und Herbert Strahammer, www.schulhus.com

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