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Deutschland-Wahl: Banges Warten

Seit acht Wochen rätselt Deutschland, ob der von Schröder nach der Landtagswahl in NRW eingeschlagene Weg zu einem politischen Neuanfang mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Letzte Instanz: Bundesverfassungsgericht.

Während einer mündlichen Verhandlung (ab 10.00 Uhr) in Karlsruhe will der Zweite Senat klären, ob Bundespräsident Horst Köhler das Parlament vorzeitig auflösen und gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes Neuwahlen ansetzen durfte. Wann das Urteil fällt, ist unklar, doch werden die geheimen Beratungen der acht Richter wohl nur wenige Wochen dauern: Angesichts des von allen Parteien avisierten Wahltermins am 18. September drängt die Zeit enorm.

Gegen die Anordnung des Staatsoberhaupts hat unter anderem der Grünen-Abgeordnete Werner Schulz ein Organstreitverfahren angestrengt. Die von Schröder am 1. Juli gestellte und wie gewünscht verlorene Vertrauensfrage hält er nach eigenen Worten für „fingiert, inszeniert, unecht und unehrlich“, weil der Kanzler damals in Wirklichkeit noch über eine stabile Mehrheit im Bundestag verfügt habe. In sämtlichen Fällen, wo die Kanzlermehrheit gebraucht wurde, habe Rot-Grün diese erreicht, erklärte der Grünen-Politiker. Nun solle das Grundgesetz trotzdem mit einem fingierten Votum „zu einem Dietrich für den Notausgang in Richtung Neuwahl zurecht gebogen“, klagte er.

Schulz wirft Köhler nun vor, die aus seiner Sicht unzutreffende Lagebeurteilung des Bundeskanzlers allzu unkritisch übernommen zu haben. Mit seiner Klage will Schulz nach eigener Aussage dem höchsten deutschen Gericht nun die Möglichkeit geben, die Entscheidung Köhlers zu überprüfen. In Karlsruhe liegt zudem eine Klageschrift der SPD-Abgeordneten Jelena Hoffmann vor, die inhaltlich ähnlich argumentiert.

Die Richter stehen dabei vor dem Dilemma, dass sich der Bundespräsident in seiner Begründung direkt und nahezu wörtlich auf die Vorgaben des wichtigen Präzedenz-Urteils aus dem Jahr 1983 bezogen hat. Damals gestand das Gericht Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl selbst bei einer Stimmenmehrheit von 60 Abgeordneten die Einschätzungsfreiheit zu, die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse als instabil zu beurteilen. Und weiterhin entschied das Gericht in einer bis heute umstrittenen Passage, der Bundespräsident habe diese Einschätzung des Bundeskanzlers zu beachten, es sei denn, eine andere Einschätzung sei eindeutig vorzuziehen. Genau darauf bezog sich Köhler, als er am 21. Juli in einer Fernsehansprache verkündete, er sehe nach ernsthafter Prüfung „keine andere Lagebeurteilung, die der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen ist“.

Orientieren sich die heutigen Richter also eng am Urteil ihrer Kollegen aus dem Jahr 1983, werden sie die Klagen der Parlamentarier Hoffmann und Schulz wohl zurückweisen müssen. Wollen sie die Auflösung hingegen als verfassungswidrig aufheben, müssen sie in einigen Punkten vom damaligen Urteil abweichen.

Dazu sieht etwa der renommierte Verfassungsrechtler Dieter Grimm allen Anlass: Nichts spricht aus Sicht des früheren Verfassungsrichters dafür, dass die Regierung Schröder tatsächlich ihres parlamentarischen Rückhalts nicht mehr sicher sein kann. Ein bloßer Argwohn des Kanzlers, seine Mehrheit könnte zweifelhaft werden, reiche aber nicht aus, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“, es müssten zumindest Indizien für eine solche Entwicklung vorliegen. Sollte Karlsruhe Neuwahlen verbieten, könne er darin auch keine Staatskrise erkennen. Das wäre eine „ganz unangebrachte Dramatisierung der Lage“.

Dagegen hofft der noch amtierende Kanzler – wie auch der Großteil der Bundestagsabgeordneten -, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Weg über die Vertrauensfrage durchgehen lässt. Auf die Frage, was er tun würde, falls die Richter die für den 18. September angesetzte Neuwahl stoppen, sagte Schröder am Wochenende nur knapp: „Ich hab’ immer nur Plan A!“

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