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Deutsches Entlastungspaket von 65 Milliarden Euro

"Wir werden durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Kanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung des Pakets.
"Wir werden durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Kanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung des Pakets. ©REUTERS (Symbolbild)
Die deutsche Koalition aus SPD, Grünen und FDP einigte sich auf ein Entlastungspaket im Umfang von insgesamt 65 Milliarden Euro geeinigt.

"Alles das zusammen und viele weiteren Maßnahmen werden dazu beitragen, dass wir gemeinsam durch diese Zeit kommen", sagte Kanzler Olaf Scholz in einer Pressekonferenz mit den Parteispitzen von SPD, Grünen und FDP am Sonntag in Berlin. "Wir werden durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagvormittag bei der Vorstellung des Pakets in Berlin. Keine Bürgerin und kein Bürger werde alleine gelassen. "You'll never walk alone."

SPD, Grüne und FDP verhandelten über das Entlastungspaket

SPD, Grüne und FDP hatten 22 Stunden miteinander über das Paket verhandelt. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner sprach davon, dass das Volumen von 65 Milliarden Euro "sehr konservativ" geschätzt sei. Es könne wegen der Vielzahl an Maßnahmen auch höher liegen. Das Paket sei "wuchtig". Das Volumen dieses dritten Entlastungspakets der Ampel-Koalition ist mehr als doppelt so groß wie das der ersten beiden Entlastungspakete mit insgesamt 30 Milliarden Euro. "Alle mussten einen weiten Weg gehen für einen großen Sprung", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour. SPD-Chefin Saskia Esken verwies darauf, dass es auch Hilfen für Unternehmen wie Bäckereien und Brauereien gebe.

Schuldenbremse solle eingehalten werden

In dem 13-seitigen Papier betonen die Koalitionspartner, dass die Schuldenbremse trotz der zusätzlichen Ausgaben 2023 wieder eingehalten werden solle. Lindner sagte, dass auch kein Nachtragshaushalt 2022 nötig sei. Die FDP setzte durch, dass die kalte Progression abgemildert wird, damit Menschen nicht bei Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, mehr Steuern zahlen müssen.

Einmalzahlung von 300 Euro für Pensionisten

Elemente sind unter anderem eine drastische Ausweitung des Bezugsrechts für Wohngeld auf zwei Millionen Haushalte sowie eine Energiepreispauschale von 300 Euro für Pensionistinnen und Pensionisten, die alleine sechs Milliarden Euro kostet. Dabei soll es eine dauerhafte Heizkostenkomponente pro Quadratmeter geben. Für Studentinnen und Studenten soll es eine Einmalzahlung von 200 Euro geben. Hartz IV wird zum 1. Jänner 2023 umgewandelt in ein Bürgergeld. Es wird durch eine zeitnähere Berücksichtigung der Inflation auf einen Regelsatz von etwa 500 Euro erhöht. Das Kindergeld von 219 Euro wird zum 1. Jänner für das erste und zweite Kind um 18 Euro angehoben. Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen ab 2023 von der Steuer abgesetzt werden können. Allein diese Maßnahme bedeutet laut Scholz eine Entlastung von rund fünf Milliarden Euro. Die Hartz-IV-Regelsätze werden künftig nicht mehr auf Grundlage der früheren Inflationsrate bestimmt, sondern auf Basis der erwarteten Inflation. Die Teuerung war zuletzt stark gestiegen. Lindner sprach von einem "Paradigmenwechsel".

Scholz: Russland ist "kein zuverlässiger Energielieferant mehr"

Russland ist für Scholz "kein zuverlässiger Energielieferant mehr". Aber: "Wir werden durch diesen harten Winter kommen." Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig ein vergünstigter Preis gelten. Für einen zusätzlichen Verbrauch darüber hinaus wäre der Preis nicht begrenzt. "Zufallsgewinne" bei Unternehmen wegen der hohen Energiepreise würden abgeschöpft, kündigte Scholz an.

Abschöpfung von "Zufallsgewinnen"

Neben den Entlastungen soll es eine Abschöpfung sogenannter "Zufallsgewinne" bei den Stromkosten geben - die FDP hatte zuvor eine sogenannte "Übergewinnsteuer" für Energiekonzerne wegen rechtlicher Bedenken abgelehnt. Scholz sagte, dass diese Maßnahme mithilfe von Instrumenten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) abgewickelt werden soll. Es soll zeitgleich auf europäischer und nationaler Ebene vorangetrieben werden. Mit den Einnahmen soll der Strompreis gesenkt werden. Scholz bezeichnete es als Ziel, dass die Preise sowohl für Gas, Kohle und Öl sinken sollen. Während die Koalition zudem eine Strompreisbremse für den Grundbedarf von Haushalten beschloss, wird der zuvor diskutierte Preisdeckel für den Gaspreis nur als Prüfauftrag genannt.

Nachfolger-Modell für Neun-Euro-Ticket

Der Bund will sich außerdem mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr an einem Nachfolger-Modell für das populäre Neun-Euro-Ticket beteiligen. Voraussetzung sei, dass "die Länder mindestens den gleichen Betrag zur Verfügung stellen", heißt es in dem Papier. Ziel sei ein "preislich attraktives Ticket" im Rahmen von 49 bis 69 Euro monatlich für ein bundesweites Nahverkehrsticket.

Geplante Einführung des Bürgergelds

Mit der geplanten Einführung des Bürgergelds Anfang kommenden Jahres wollen SPD, Grüne und FDP die Regelsätze für Bedürftige auf rund 500 Euro erhöhen. Heute erhalten Alleinstehende in der Grundsicherung 449 Euro pro Monat.

Nouripour: Man werde sich "in diesem Land nicht spalten lassen"

Grünen-Chef Omid Nouripour betonte in der gemeinsamen Pressekonferenz, man werde sich "in diesem Land nicht spalten lassen" von Russland. "Wir werden Schaden für dieses Land abwenden", sagte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner (FDP) und unterstrich dabei die Abwendung "sozialer Härten".

"Es ist vollbracht. Sehr gutes Ergebnis", hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) um 6.13 Uhr getwittert. Begonnen hatten die Verhandlungen 18 Stunden zuvor. Es ist bereits das dritte Maßnahmenpaket, mit dem die drastischen Preissteigerungen - vor allem im Energiebereich - im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeglichen werden sollen.

Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen fielen gemischt aus. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Handwerksverband und der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichneten das Paket als nicht ausreichend. "Das Entlastungspaket der Regierung ist für unsere Handwerksbetriebe eher eine Enttäuschung", sagte Hans Peter Wollseifer, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Es fehle schnelle Unterstützung angesichts "existenzieller Notrufe" von Betrieben. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger bezeichnete das Paket als "insgesamt enttäuschend". Ähnlich äußerte sich BDI-Präsident Siegfried Russwurm, der von "erheblichen Mängeln und Lücken im Entlastungspaket" für Firmen sprach.

Schneider beklagte soziale Schieflage

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, beklagte eine anhaltende soziale Schieflage. Denn Einführung des Bürgergelds und die Neuberechnung der Regelsätze bei Hartz IV sei "nicht einmal ein Inflationsausgleich und deshalb überhaupt nicht akzeptabel", sagt er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Bartsch kritisiert Entlastungspaket als unzureichend

Auch Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken, kritisiert das Entlastungspaket der Ampelkoalition als unzureichend. "Die Pläne werden die Verarmungslawine, die im Winter über Deutschland rollen könnte, nicht verhindern", sagt er dem Portal "t-online". Die Linke werde "einen heißen Herbst gegen die soziale Kälte" organisieren. Auch die AfD hat bereits zu Demonstrationen im Herbst aufgerufen. Kanzler Scholz zeigte sich dagegen überzeugt, dass die Menschen sehr wohl sehen würden, dass Russlands Angriff auf die Ukraine diese Versorgungs- und Preiskrise ausgelöst habe.

Fratzscher äußerte scharfe Kritik an Teilen des Pakets

DIW-Präsident Marcel Fratzscher äußerte scharfe Kritik an Teilen des Pakets. "Das Aussetzen der Anpassung des CO2-Preises ist ein katastrophales Signal für den Klimaschutz", sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Überwiegend zustimmend äußerten sich dagegen Achim Wambach, Präsident des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZWE), und Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).

(APA/Red)

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