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Der seidene Faden - Trailer und Kritik zum Film

Figuren, die zutiefst an sich selbst verzweifeln, dabei aber in ihrem Auftreten gleichermaßen selbstsicher wie auch rücksichtslos agieren, sind ein Steckenpferd von Regisseur Paul Thomas Anderson. In "Der seidene Faden" offeriert der Filmemacher einmal mehr eine meisterhafte Charakterstudie dieser Art, in der Daniel Day-Lewis sein Publikum zu verzücken weiß.

Bereits vor elf Jahren konnten die beiden Koryphäen ihrer Zunft mit dem Drama “There Will Be Blood” eindrucksvoll vorführen, welches Potential eine Kollaboration dieses Kalibers in sich birgt.

Während Day-Lewis mit seiner Performance im Musik-Drama “Nine” und als titelgebender (Abraham) “Lincoln” unter der Regie von Steven Spielberg zwischenzeitlich und trotz Preisregen eher unterfordert schien, stürzte sich Anderson einerseits in “The Master” auf eine weitere komplexe Darstellung einer enigmatischen Figur und andererseits in “Inherent Vice” auf die bis dato unmögliche Umsetzung eines Thomas Pynchon-Romans. Nun finden die beiden in einem ungewöhnlichen Drama wieder zueinander und ringen sich scheinbar auf gegenseitigen Druck hin jeweils eine Meisterleistung ab.

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Der seidene Faden – Die Handlung

Auf den ersten Blick erscheint die Handlung von “Der seidene Faden” recht einfach gestrickt zu sein: Day-Lewis mimt den zu seiner Kundschaft hin talentiert-charmanten, abseits davon jedoch stets überaus akribischen wie besessen an seiner Routine festhaltenden Schneidermeister Reynolds Woodcock, der im London der 1950er Jahre ein Modehaus für die Upper-Class betreibt. Gelangweilt von seiner aktuellen Muse zieht es den überzeugten Junggesellen zu seinem Landhaus in der Provinz, wo er zufällig auf die junge Kellnerin Alma (überragend: Vicky Krieps) trifft, die ihn mit ihrem natürlichen Charme zu verzaubern und mit neuer Energie auszustatten weiß.

Schon wenig später wird Alma die neue Muse im Hause Woodcock, durch ihre Eigenwilligkeit gerät jedoch der penibel durchchoreographierte Tagesablauf des Schneiders und damit auch seine überragende schöpferische Veranlagung aus der Balance.

Der seidene Faden – Die Kritik

So elegant wie der Titel selbst präsentiert sich “Der seidene Faden” schon in seinen einleitenden Minuten: Ein absoluter Meister mit absoluter Kontrolle über seine Angestellten wandelt auf lange zuvor ausgetretenen Wegen durch sein Haus, seine Arbeitswelt, sein Leben. Platz für Fehler findet sich inmitten all jener durch schiere Obsession geschaffene Kreativität nicht, die falsche Süßspeise am Frühstückstisch oder zu laut auf Toast aufgestrichene Butter rückt den gesamten nachfolgenden Tagesverlauf irreversibel schon in ein schlechtes Licht. Die Ursache jenes scheinbar oftmals wiederkehrenden Übels wird kurzerhand von der gleich gesinnten Schwester (famos: Lesley Manville) ausgemerzt.

Mit einer gewohnt brillanten Darstellung lässt Daniel Day-Lewis seine Zuseher fragend zurück, wer sonst diesen Charakter mit derart viel Energie und emotionaler Schattierung zu beleben vermag. Dem Briten, hier endlich mit seinem eigenen Dialekt im Original zu hören, scheint die Rolle – man verzeihe die Wortwahl – auf den Leib geschneidert worden zu sein. Jedes Kompliment verzückt das Publikum ebenso wie die Adressatin, jeder bissige Kommentar schmerzt, sein oft sehr trockener Humor vermag zu überzeugen.

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Umso überraschender die Tatsache, dass sich sowohl Vicky Krieps als auch Lesley Manville nicht hinter dem Schauspielerschwergewicht verstecken müssen, sondern im Gegenteil mit grandiosen Leistungen dem Mann in vielerlei Hinsicht die Stirn bieten können. “Der seidene Faden” lebt von der schwierigen Beziehung zwischen den Hauptfiguren: Das offenherzige, liebevolle Wesen von Alma trifft auf die unterkühlte und anspruchsvolle Präsenz von Reynolds.

Eine ständige Wechselwirkung beider Einflüsse könnte bei so manch anderem Filmemacher mitsamt einem kitschigen Ende schon für ein fertiges Werk ausreichen. Nicht so bei Paul Thomas Anderson: Dem Verhalten des peniblen Hauptcharakter folgend – Stichwort: Ästhetik – setzt der Regisseur sein neuestes Werk mit viel Liebe zum Detail in Szene (auch als Kameramann anstelle seines langjährigen DP Robert Elswit), in Hinsicht auf das Kostümdesign dürfte wohl die überaus verdiente Oscar-Nominierung aussagekräftig genug sein. Das Besondere an “Der seidene Faden” ist jedoch die Paul Thomas Anderson-typische Ausarbeitung der Charaktere.

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Alle handelnden Akteure werden als vielschichtige, komplexe Bausteine eines großen Ganzen dargestellt, wobei der Regisseur hier über eine Psychogramm-gleiche Auslegung der Figuren hinaus geht (man denke dabei etwa an “There Will Be Blood” oder “The Master”) und es schafft, die emotionale Distanz vor allem zum Hauptcharakter meist über Humor zu verringern. So kann zweifellos behauptet werden, dass “Der seidene Faden” sicher Andersons bisher gefühlvollstes Werk darstellt.

Der wunderbare Soundtrack von Jonny Greenwood (Mitglied von Radiohead und mehrmals bereits für Anderson im Einsatz) hinterlässt ebenso wie das fulminante Ende des Films bleibenden Eindruck. Ob nun Daniel-Day Lewis’ letzter Film oder nicht, “Der seidene Faden” stellt das erste große Highlight des Filmjahres 2018 dar und kann ausnahmslos jedem auch nur ansatzweise an Film interessierten Kinobesucher empfohlen werden. Absurd, elegant, mitreißend und über alle Maßen stilvoll: Ein Mix, der seinesgleichen sucht.

>> Alle Filmstartzeiten zu “Der seidene Faden”

(Red / Alle Bilder: Focus Features, UPI)

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