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Der neue Purismus

Die Stimmung schlägt um. So temperamentvoll und vibrierend die Mode in den vergangenen Jahren war, so kühl und streng zeigt sie sich im Herbst/Winter 2006/07.

Die Designer haben ihre Kleidungsstücke von allem Zierrat und Aufputz befreit und definieren ein neues, sachliches Frauenbild. Feiern es die einen als Rückkehr von Selbstbewusstsein und Emanzipation, fürchten andere um den Verlust des Spaßfaktors.

Purismus? Dieses Wort flüstert die Branche bisher nur hinter vorgehaltener Hand. Zu sehr erinnert es an die Phase der radikalen Vereinfachung, mit der Designer wie Jil Sander, Helmut Lang oder Miuccia Prada den neunziger Jahren ihren Stempel aufdrückten. Diese Freudlosigkeit will eigentlich keiner mehr. Und dennoch sind sie wieder da, die dominierenden Elemente jener Tage: die hochgeschlossene weiße Bluse, die schmale schwarze Hose, die maskulin-strengen Jacken und Mäntel.

Nicht nur die üblichen Verdächtigen wie etwa Raf Simons bei seinem Debüt als Chefdesigner Jil Sanders knüpfen dort an, auch eher dekorative Kollegen wie der Belgier Dries van Noten oder das italienische Label Marni gehen den Weg in die Reduktion mit. „Es beruhigt sich. Das beunruhigt“, titelte kürzlich die in Frankfurt/Main erscheinende Fachzeitschrift TextilWirtschaft.

Während eine hochmodische Klientel dem Dekorierten längst abgeschworen hat und neue Stimulans sucht, ist im kommerziellen Segment die Lust auf Farbe, Rüschen und Stickerei längst noch nicht gesättigt. Der Übergang wird dort also eher fließend ablaufen. Die Rückkehr zu mehr Ordnung in der Mode setzte allerdings bereits im vergangenen Herbst ein, als plötzlich ganz viel Schwarz und dezente Ton-in-Ton-Ornamente die internationalen Laufstege dominierten.

Fachleute gehen davon aus, dass es sich hierbei nicht um eine kurzlebige Laune handelt, sondern dass das eher Schlichte wohl längere Zeit den Takt vorgibt. Ohnehin lässt das neue Modegefühl mehr Spielarten zu als den asketischen Look. Wolfgang Joop etwa ließ sich für seine Kollektion Wunderkind von der Neuen Sachlichkeit inspirieren. Jene Kunstströmung der zwanziger Jahre also, die einen eher prosaischen Blick auf die Wirklichkeit warf. Joop nahm hochwertige, reiche Materialien wie Pelz, Leder oder Samt und schuf aus ihnen eine farbdezente, aufgeräumt wirkende und dennoch glamouröse Garderobe.

Auch Gabriele Strehle setzt für Strenesse auf die Kombination aus edler Stofflichkeit und eher spartanischer Ausgestaltung. Sie nennt ihre Herbst-Winter-Mode romantischer Minimalismus. Andere, wie etwa Max Mara aus Italien, kommen zu einem Mehr an Vernunft in der Kleidung über den Einfluss traditionell männlicher Elemente und kombinieren zum Beispiel ein Nadelstreifensakko zum Satinkleid. Radikaler ging Miuccia Prada ans Werk. Mit Parkas im Technogewebe, überschnittenen, groben Strickoberteilen und dem demonstrativen Verzicht auf alles Zarte, liegt in ihrer Mode eine politische Botschaft: Schluss mit der passiven Femininität, Schluss mit dem Konformismus, agitierte die Mailänderin.

Zur Deutung des Wandels vom schmückenden Weibchen zur selbst bestimmten Frau kursieren derzeit verschiedene Theorien. Man beruft sich einerseits auf den gestiegenen Einfluss der Frauen auf das politische Weltgeschehen, zitiert Namen wie Condoleezza Rice oder Angela Merkel. Eine gewagte These bezieht sich auf das züchtige, hochgeschlossene der neuen Kollektionen und spricht von einer Islamisierung der Mode. Doch banaler gilt: Nach eine Phase der Exzesse folgt immer eine Nulldiät.

So war auch der Purismus der neunziger Jahre eine logische Folge auf die überdrehten Siebziger und Achtziger. Und wer sich mit all der Gedecktheit noch nicht anfreunden mag, kann den Designern ganz leicht ein Schnippchen schlagen: einfach eine glitzernde Brosche an das schwarze Revers heften.

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