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Der große Basar in Brüssel - Wer bietet weniger?

Es geht um sehr viel Geld.
Es geht um sehr viel Geld. ©ORF Screenshot
Brüssel ist Schauplatz eines gewaltigen Kräftemessens, bei dem die nationalen Interessen der nunmehr 27 EU-Mitgliedsstaaten heftig aufeinanderprallen.

Es geht um mehr als 1.000 Milliarden Euro für den Budgetrahmen der nächsten sieben Jahre. Darüber diskutieren bei Claudia Reiterer: Karoline Edtstadler, Martin Selmayr (Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich), Harald Vilimsky (EU-Abgeordneter), Claudia Gamon (EU-Abgeordnete NEOS), Theodoros Paraskevopoulos (Ökonom und Vorstandsmitglied der SYRIZA-Progressive Allianz, Griechenland).

"Habe nur Geld für einen Opel"

Nach einer langen Verhandlungsnacht brachte ein EU-Diplomat die Lage am Freitag auf den Punkt: "Das ist so, als wenn man in ein Autohaus geht, sich umsieht und sagt: "Oh, dieser Range Rover gefällt mir, den möchte ich haben!" Und dann stellt man fest, "ich habe nur Geld für einen Opel". Und dann geht man zu Mutti und sagt: "Gib mir das Geld für den Range Rover!" Aber Mutti sagt Nein."

Brüssel. Der Autokäufer in dieser kleinen Geschichte, das sind die EU-Staaten und ihre Bürger, die im Schaufenster der EU-Kommission und des Europaparlaments die glänzenden Pläne für ein besseres Europa bestaunen: Weltpolitisch aktiv sollte es sein, sozial und hilfreich, resolut umwelt- und klimafreundlich, mit zufriedenen Bauern und Wissenschaftlern, bürgernah und verteidigungsbereit, technologisch ein Gegengewicht zu China und den USA. Doch das kostet Geld, mehr als eine Billion Euro in den nächsten sieben Jahren. Und Mutti hält das Portemonnaie geschlossen.

Kanzler Kurz blieb hart

Fünf Regierungschefs waren es, die in der entscheidenden Nacht in Brüssel hart blieben: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte eine überproportionale Erhöhung des deutschen EU-Beitrags ebenso ab wie dies Bundeskanzler Sebastian Kurz und die Ministerpräsidenten der Niederlande, Dänemarks und Schwedens für ihre Länder taten. Die Dänin Mette Frederiksen wagte deshalb schon Freitag früh die Prognose, man werde einen zweiten Anlauf brauchen. Sie sollte Recht behalten.

Das ist für sich genommen keine Katastrophe: Das die Staats- und Regierungschefs zwei Gipfeltreffen für einen Haushaltsbeschluss brauchen, hat in der EU Tradition. Aber die Zeit ist diesmal fortgeschritten. Selbst wenn sich die 27 im zweiten Anlauf einigen, muss der Rat seinen Budgetplan für die Jahre 2021 bis 2027 noch mit dem Europaparlament abstimmen. Wenn nicht alles bis zum Jahresende geregelt ist, beginnt 2021 für die EU mit einem Nothaushalt.

Nervenaufreibende Verhandlungen

Merkel hatte noch ein zusätzliches Interesse an einer baldigen Einigung: Im zweiten Halbjahr übernimmt Deutschland den EU-Vorsitz, muss dann einen EU-China- und einen EU-Afrika-Gipfel organisieren und die voraussichtlich nervenaufreibenden Verhandlungen über das künftige Verhältnis der Briten zur EU zu einem guten Ende bringen. Weiterer Streit um die EU-Kasse käme da höchst ungelegen.

Wobei der Brexit bereits den Finanzstreit verschärft hat: 60 bis 75 Milliarden Euro fehlen in der Kasse für die kommenden sieben Jahre, weil die Briten keinen Beitrag mehr zahlen. Wenn die Lücke so geschlossen würde, wie EU-Ratspräsident Charles Michel das in einem abgelehnten Plan vorgeschlagen hatte, würde das vor allem die fünf größten Nettozahler treffen. 13 statt bisher 8 Milliarden Euro müssten dann beispielsweise die Niederländer bezahlen, von denen sie aber nur 2,5 zurückbekämen, rechnet ein Diplomat vor.

"Europa braucht mehr Ehrgeiz"

Wegen des Brexits versuchen viele EU-Politiker aber auch, der europäischen Idee neues Leben einzuhauchen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist mit enormem Elan in ihr Amt gestartet. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird nicht müde, für größere Gemeinsamkeit zu werben: "Unser Europa braucht mehr Ehrgeiz!" Und im Europaparlament sitzen seit dem Sommer 60 Prozent neue Abgeordnete, von denen viele den Wunsch nach Veränderung mitbringen.

Die meisten Parlamentarier wollen sich nicht mit weniger Europa zufriedengeben. Sie rechnen gerne vor, dass allein der gemeinsame Markt den reichen Mitgliedsstaaten viel mehr einbringt, als der EU-Beitrag diese Länder kostet. Frieden, Freiheit, Demokratie, soziale und innere Sicherheit seien sowieso unbezahlbar. Diese Abgeordneten müssen einem EU-Haushalt zustimmen, damit er in Kraft treten kann. Sie fordern mehr Geld als selbst Michels abgelehnter Vorschlag vorsah. Neben dem Range Rover und einem Opel müssten dann womöglich noch ein paar schicke E-Bikes ins Schaufenster.

(red.)

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