Der zweite Weg führt in die entgegengesetzte Richtung, einst durch Obstbaumwiesen, windgeschützt der Mittagssonne zugewandt. Heute zeugt ein alter Nussbaum noch von bäuerlicher Nutzung. Ansonsten haben in den vergangenen Jahrzehnten Wohnhäuser den Platz der Bäume eingenommen. Nur das Grundstück an der Wegegabelung, steil und schmal zwischen Linde und Nussbaum, mit dem Weg oberhalb, blieb frei – zu schwer zu bebauen.
Und doch: Was nun dasteht, scheint hierher zu gehören. Ein langer Baukörper ist zwischen die alten Bäume gespannt. Er ist nicht sehr tief, folgt den Höhenlinien und nutzt das abfallende Gelände, indem ein guter Teil des Untergeschoßes im Gelände verschwindet. Ein wenig gleicht der Weg ins Haus dem Weg hier hinauf – Gerade und Kehre im Wechsel. Nur führt der Weg in die andere Richtung, ins Tal hinab. Der Zugang liegt auf Straßenniveau im Obergeschoß, gradaus betritt man das Haus von hinten, wendet sich nach links in einen lichtdurchfluteten Flur, von dem eine inszenierte Treppe, spalierartig gesäumt, ins Untergeschoß führt. Der ebenfalls von hier abgehende Flur verliert sich im Dämmer und macht deutlich: privat, Schlafräume mit Bad.
Die einläufige Treppe endet auf einem Podest, wo sich abermals die Richtung ändert, nun nach rechts – und nach einer weiteren Stufe steht man im Lebensraum: Essen, Kochen, Wohnen, Heizen. Und an den beiden Kopfseiten: ebenerdige Freisitze mit den beiden Bäumen – unter der Linde, neben der Küche und zum Morgen, der öffentlichere; unter dem Nussbaum, verlängertes Wohnzimmer Richtung Abendsonne, der verborgene. Beide Seiten sind raumhaltig verglast und mit Schiebetüren großzügig zu öffnen. Direkt nach Süden dagegen, ins Tal, geben Fenster mit Brüstungen in Sitzhöhe den Blick frei. Wenige Meter vor dem Haus verläuft hier die Grundstücksgrenze, die Landwirtschaft des Nachbarn ist zum Greifen nah.
Dieser Raum, einem langgestreckten „Tritt“ auf Almweiden gleich, ist etwa in der Mitte des Hauses unterteilt durch einen Ofen. Von hier, aus dem Wohnzimmer, wird das Haus geheizt. Ein hocheffizienter Stückholzofen besorgt, unterstützt durch einige thermische Solarpaneele, die Beheizung von November bis März durch ausgewählte Wand- und Fußbodenflächen. 9-10 Kubikmeter Stückholz aus eigenem Wald reichen hierfür – den Rest besorgt die Sonne, dank großzügiger Befensterung oder Kollektoren für Brauchwasser. Auf Komfortlüftung ist verzichtet, die Belüftung in kalter Jahreszeit ist einfach geführt mit einer Temperierung der Zuluft.
Die Längsausrichtung des Hauses wird je Geschoß durch eine „Service- Wand“ unterstrichen, die reichlich Schrankraum vorhält – „an Stauraum herrscht kein Mangel“, freut sich die Hausfrau. Im Obergeschoß trennt sie Flur von Schlafzimmern. Im Untergeschoß ist sie der Keller- und Lagerzone vorgelagert. Diese ist in den Hang gegraben und, wie die Decken und Wandscheiben, betoniert. Die Wohnräume im Untergeschoß haben daher steinerne Wandscheiben und Decken, was mit einen handgearbeiteten Putz mit Marmormehl betont wird. Die Böden und die Schrankwand dagegen sind aus Fichte, wo möglich aus eigenen Beständen. Ihre räumliche Tiefe zeigt sich in Nischen oder reliefartiger Ausbuchtung.
Über dem Erdgeschoß erhebt sich ein kompletter Holzbau – Holzständer, hinreichend gedämmt, die Hülle mit Weißtanne ausgekleidet, Böden, Schrankwände – hier Leitern zu den Galerien der Kinderzimmer inbegriffen – und Böden aus eigener Fichte, sägerauer Riftschnitt wie im Wald üblich. Lediglich der Flur hat beheizten und geschliffenen Zementestrich.
Ein Haus, das sich in seiner klaren Schichtung entlang dem Hang wenig mit der Struktur des klassischen Wälder Bauernhauses gemeinsam hat. Wieso auch, wo doch die Hausfrau im Ort erfolgreich in Mode macht, während der Hausherr ein Grafikbüro betreibt. Mithin ein bürgerliches Haus, und als solches hat man in Egg seit einem Jahrhundert eigene Bauformen gesucht. Zahlreich sind im Ort die verzierten, geschmückten Bauten im sogenannten Chalet-Stil. Ohne dies wörtlich übernommen zu haben, ist die Erscheinung des Hauses über das bloß Nützliche hinausgetrieben. Es ist in ein Gewebe aus Holzleisten gehüllt, Schutz der Windsperren, aber eben doch mehr – ein Kleid, fein gewebt, verhüllend wie enthüllend, Baukunst. Feinheiten sind es, etwa die wenig hervorstehenden Fensterlaibungen, weiß geölt oder Rhythmus und Proportionierung der Fassade. „Man kann nicht alles hier über den Leisten des Bauernhauses schlagen,“ meint Architekt Sven Matt.
Und doch weiß das Haus, wo es steht, weiß sich zu benehmen als ein Haus auf dem Land. Der Schmuck bleibt dezent und verliert nichts dadurch, dass das Haus klar geschnitten ist, ein steiles Dach hat und sich so praktische Dinge leistet wie Dachüberstände…
Daten & Fakten
Objekt: Haus für Julia Behmann und Björn Matt, 6863 Egg
Architekt: Innauer-Matt Architekten, 6870 Bezau
Statiker: ZTE Leitner, Schröcken
Bauleitung: Jürgen Haller, Mellau
Planung: (Zeit) Februar 2011–August 2012
Ausführung: September 2012–August 2013
Wohnnutzfläche: 148 m²
Keller: 43 m²
Grundstücksgröße: 845 m²
Bauweise: EG: Massivbau Stahlbeton, Dämmung, Holzfassade; OG: vorgefertigter, gedämmter
Holzelementbau, Holzfassade
Innenausbau: Handgearbeiteter Putz mit Marmormehl Einbaumöbel: 3-Schicht-Massivholzplatten Fichte, Holztäfer Weißtanne sägeroh
Fußböden: Dielenböden Massivholz Fichte, Oberfläche geseift, Holz aus eigenem Wald, Trockenaufbau ohne Fußbodenheizung, Teilbereiche mit Heizestrich geschliffen
Heizung: Ganzhausofen zur Warmwassererzeugung und Heizung, Solarkollektoren zur Heizungsunterstützung, Wärmeverteilung über Ofen, Wandheizung und Heizestrich
Fenster: Holzfenster Fichte, 3-fach-Verglasung
Fassade: Holzschirm Weißtanne, kreuzweise verlegt
Ausführung: Baumeisterarbeiten: Hoisl Bau, Au; Zimmerer: Zimmerei Huber, Mellau; Fenster: Tischlerei Alex Beer, Schnepfau; Dach: Roman Moosbrugger, Bezau; Innenausbau: Zimmerei Huber, Mellau; Tischlerarbeiten: Tischlerei Alex Beer, Schnepfau; Böden: Fußbodenprofi Josef Fröwis, Bezau; Estrich: Vigl&Strolz, Schoppernau; Heizung/Lüftung: Der Hausinstallateur, Egg; Elektrik: Strom Fuchs, Au; Ofenbau: Ewald Voppichler, Egg; Treppe: Berchtold Holzbau, Schwarzenberg; Verputzarbeiten: Claudio Mätzler, Andelsbuch I Fetz Color, Alberschwende; Fliesen: Meusburgerfliesen, Bezau; Metallarbeiten: Figer Metall, Bezau
Energiekennwert: 20 kWh/m²a
Fotos: Adolf Bereuter | Roswitha Natter
Quelle: VN/ Leben & Wohnen
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