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Corona-Demo eskalierte: Nehammer und Kickl schieben sich gegenseitig die Schuld zu

Ein Bild aus einer Wärmebildkamera eines Polizeihubschraubers zeigt Demonstranten vor dem Gebäude der "Wiener Städtische" Versicherung im Anschluss an eine FPÖ-Demo in Wien am Samstag, 6. März 2021
Ein Bild aus einer Wärmebildkamera eines Polizeihubschraubers zeigt Demonstranten vor dem Gebäude der "Wiener Städtische" Versicherung im Anschluss an eine FPÖ-Demo in Wien am Samstag, 6. März 2021 ©APA/BMI
Im Zuge der Corona-Demos am Samstag drang ein wütender Mob in das Gebäude einer Versicherung in Wien ein. Mehrere Dutzend Demonstranten waren involviert. Ein Sicherheitsmitarbeiter verletzte sich dabei schwer. Der aktuelle Innenminister Karl Nehammer und der frühere Innenminister Herbert Kickl schieben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation zu.
Kickl poltert auf Corona-Demo
Corona-Demos in Wien

Ähnlich wie wütende Trump-Fans im Januar das Kapitol in Washington stürmten, stürmte am Samstag ein wütender Mob das Gebäude einer Versicherung in Wien.

Nach vielen aggressiven Auseinandersetzungen schon vorher kam es zur Eskalation: "Eine größere Zahl an Demonstrationsteilnehmern" drang, so die Landespolizeidirektion, in die Tiefgarage eines nahen Gebäudes (der Wiener Städtischen-Versicherung) ein. Laut APA-Beobachtungen waren es mehrere Dutzend Demonstranten, die durch das Tor stürmten. Ein dortiger Sicherheitsmitarbeiter wurde (mit Beinbruch) schwer verletzt. Die Polizei nahm 22 Personen wegen des Verdachts "diverser strafrechtlicher Delikte" (u.a. Hausfriedensbruch) fest. Vier Polizisten wurden bei ihrem Einsatz am Samstag verletzt.

Zur Eskalation kam es, als nach dem offiziellen Ende der FPÖ-Kundgebung im Prater - wo FPÖ-Klubchef Herbert Kickl mit einer zweiten scharfen Rede gegen die Corona-Politik die Stimmung angefeuert hatte - hunderte Maßnahmen-Gegner (darunter auch wieder Hooligans, Rechtsextreme und Identitäre) weiter durch die Leopoldstadt zogen. Am Donaukanal bei der Unteren Augartenstraße wurden sie von der Polizei eingekesselt und die Identitäten der Teilnehmer aufgenommen.

Die am Samstagabend teils ausgeuferten Demonstrationen von Corona-Maßnahmen-Gegnern in Wien haben so viele Anzeigen und Festnahmen zur Folge wie bisher noch keine zuvor: 42 Festnahmen, mehr als 3.000 verwaltungsrechtliche und 60 Strafanzeigen meldete die Landespolizeidirektion am Sonntag.

Bilder aus der Überwachungskamera zeigen die verstörenden Szenen vor dem Gebäude im 2. Bezirk.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wirft der FPÖ vor, eine "Stimmung von Gewalt" aufbereitet zu haben. Die FPÖ konterte, die Polizeiführung habe die Eskalation bewusst herbeigeführt.

Nehammer: "Eine NR-Partei hat Stimmung der Gewalt aufbereitet"

Für das Ausufern der Proteste nach der Prater-Veranstaltung macht Innenminister Nehammer die FPÖ mitverantwortlich.

"In unserem demokratischen Österreich werden Konflikte nicht auf der Straße, sondern im Parlament ausgetragen. Eine in den Nationalrat gewählte Partei und allen voran ein ehemaliger Innenminister haben eine Stimmung der Gewalt und der Missachtung des Rechtsstaates aufbereitet. Wenn völlig unbeteiligte Sicherheitsmitarbeiter und Sicherheitsmitarbeiterinnen von einer aufgepeitschten Menschenmenge überrannt und schwer verletzt werden, sind Grenzen überschritten worden."

So poltert Innenminister Nehammer am Sonntagmittag auf den Sozialen Medien in Richtung Corona-Demonstranten und Ex-Innenminister Kickl.

Kickl kontert mit "Fake-News-Karli"

Kickl postete kurz darauf seine eigene Meinung zu den Vorfällen.

"Nach dem „Sturm aufs Parlament“ wird diesmal der „Sturm auf ein Versicherungsgebäude“ herbeiphantasiert. In Wahrheit haben der Innenminister und seine Parteifreunde in der Polizeiführung die Eskalation am Abend selbst herbeigeführt, indem sie die Leute am heimgehen gehindert und in einen Kessel getrieben haben, um dort noch schnell möglichst viele Anzeigen für die Statistik zu produzieren. Das schreibt Herbert Kickl am Sonntagmittag in den Sozialen Medien als Antwort auf die Nehammer-Kritik.

Insgesamt waren 37 Versammlungen für den Samstag angezeigt, zwölf hat die Polizei angesichts der epidemiologischen Gefahren im Sinn des Gesundheitsschutzes untersagt. Dennoch versammelten sich zu Mittag tausende Menschen am Ring auf Höhe des Äußeren Burgtors, diese Versammlung wurde am frühen Nachmittag von der Polizei aufgelöst. Im Bereich der Hofburg hielt Kickl unangekündigt eine Rede, in der er die Corona-Politik scharf kommentierte ("Corona-Stahlhelme in den Regierungsbüros", "Schmuddel-Typen" in den Ministerien). Anschließend zogen die Maßnahmengegner in mehreren Zügen in den Prater zu einer FPÖ-Veranstaltung. Sicherheitsabstände und Maskenpflicht wurden auch dort großteils ignoriert, nach Kritik von Kickl an Israel im Zusammenhang mit dessen Impfstrategie waren auch antisemitische Kommentare zu hören.

Mahrer geht Kickl an

ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer hatte Kickl schon am Samstagabend vorgeworfen, sich "mit seinem heutigen Demo-Auftritt selbst zum Rädelsführer der hartgesottenen Corona-Leugner ernannt" zu haben. "Mit seiner abscheulichen Rhetorik" habe der blaue Klubchef "offenbar mutwillig" rechtsextreme Ausschreitungen "erzwingen" wollen, meinte Mahrer in einer Aussendung. Die Polizei habe "alle Hände voll zu tun" gehabt, um diese zu verhindern. "Kickl führt die FPÖ immer mehr ins rechtsextreme Eck", befand Mahrer.

Amesbauer sieht Nehammer verantwortlich

FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer sah hingegen die Polizeiführung - namentlich Nehammer - verantwortlich für die "abendliche Eskalation gegen Besucher der gestrigen FPÖ-Kundgebung". In einer "völlig unnötigen Aktion am Ende eines durch und durch friedlichen Protesttags" seien "hunderte Menschen bewusst in eine Falle gelockt, eingekesselt und dort sogar mit Pfefferspray attackiert" worden, legte er in einer Aussendung seine Sicht dar. Den Menschen sei nach der FPÖ-Kundgebung der Heimweg "massiv erschwert" worden, weil die Polizei die Brücken über den Donaukanal gesperrt habe - was zu einem "gemeinsamen Spaziergang" geführt habe. "Mehrere Zeugen", auch FPÖ-Abgeordnete, hätten wahrgenommen, dass Polizisten an den gesperrten Brücken die Menschen dorthin geschickt hätten, wo sie dann eingekesselt worden seien. Deshalb seien Anzeigen wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung "absurd", ebenso wegen Verletzung der Abstandsregel, meinte Amesbauer - und kündigte eine parlamentarische Anfrage an.

FPÖ dankt Polizei

Aus der FPÖ kam am Sonntag aber auch Dank an die Polizei: Generalsekretär Michael Schnedlitz bedankte sich per Aussendung für den "extrem professionellen Job", mit dem "die Sicherheit der friedlichen Teilnehmer zu jedem Zeitpunkt gewährleistet" worden und "Störversuche der regierungstreuen Gewalt-Antifa" verhindert worden seien. Aber auch er hielt "der Spitze des Innenministeriums" vor, am Ende "mit sinnloser Einkesselung und Pfefferspray-Einsatz" auf bewusste Eskalation gesetzt zu haben.

Anzeige gegen Kickl wegen Verstoß gegen Schutzmaßnahmen?

Kickl, aber auch andere FPÖ-Abgeordnete wurden übrigens - nach APA-Informationen - wegen Verstoßes gegen die Corona-Schutzmaßnahmen angezeigt. Martin Rutter, einer der Rädelsführer der Corona-Skeptiker, wurde am Samstag - vorübergehend - einmal mehr wegen Verwaltungsübertretungen festgenommen.

Kickl schreibt heute diesbezüglich: "Im Übrigen hat gestern auch niemand meine Personalien aufgenommen oder mich angezeigt. Das nur als Gradmesser für den Wahrheitsgehalt der Berichte in den regierungsabhängigen Medien."

Kritik der Grünen an der Polizeiführung

Ebenfalls Kritik an der Polizeiführung übten den Grünen, aber aus gegenteiligem Grund. Gemeinderat Niki Kunrath und der stellvertretenden Bezirksvorsteher Bernhard Seitz empfanden die Geschehnisse in der Leopoldstadt Samstagabend als "unerträglich". Die Polizei habe offenbar vor der "Minderheit" der Demonstranten kapituliert - nämlich "Pandemie-Leugner*innen, darunter deutlich sichtbar viele Rechtsextreme", die durch den Bezirk marschiert seien. "Wenn Reichsflaggen geschwungen werden und Judensterne in unserer Leopoldstadt oder überhaupt in Wien getragen werden, dann hat die Polizei gemeinsam mit den Demonstrierenden nicht verstanden, wo sie sich befinden. So etwas ist unserer Stadt unwürdig", stellte Kunrath fest. Es sei, so Seitz, "unerträglich", wenn "rechtsextreme Gruppen mit Symbolen, die den Holocaust verhöhnen, durch die jüdischen Viertel ziehen" - oder Betrunkene andere anpöbeln bzw. durch Missachtung des Corona-Abstandes gefährden. Die Polizeiführung habe großteils nur zugesehen und gewähren lassen, kritisierte er.

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(APA)

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