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Das Geheimnis der alten Dame

©Christian Schramm
Im Bregenzer Stadtteil Vorkloster hat Architekt und Bauherr Gerold Strehle mit seiner Familie ein Siedlerhaus aus dem Jahr 1926 erworben und behutsam Altes alt sein lassen.
Das Geheimnis der alten Dame

Eine kleine Seitenstraße führt inmitten dichter Bebauung zu einer Situation, die kulturell nicht dichter sein könnte. Die eine Straßenseite wird gesäumt von den Häusern der ersten Vorarlberger Reihenhausanlage, geplant von Willibald Braun. In den letzten Jahren sind sie schrittweise saniert worden und zeugen von ganz anderen Zeiten, in denen neue Wohnformen mit Neugier und positiver Spannung begegnet wurde – zumindest manchmal. Gegenüber stehen fünf Siedlerhäuser, ähnlich in ihrer Gestalt und allesamt mit vorgelagerten Gärten versehen, haben sie scheinbar nichts an Aktualität verloren. Der Blick aus den Fenstern dieser Häuser wird bestimmt von ringsum in die Vertikale wie in die Horizontale wachsenden Wohnbebauungen. Es gibt kaum eine Situation in Vorarlberg, in der eine solche Vielfalt von Wohnerfahrungen auf engstem Raum aufeinandertreffen.

Zu Beginn der 1920er-Jahre fand ein mehrfacher Wandel statt, der sich auch in Bautypologien ablesen lässt. Die neuen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Zwischenkriegszeit führten auch zu veränderten Wohnformen. Eine davon sind die Siedlerhäuser der 1920er- und 1930er-Jahre an den ehemaligen Stadtrandgebieten – die heute und so auch im vorliegenden Fall eingebettet sind in neue Stadtlandschaften. Diese Häuser sind kleinräumig, aber von hoher Wohnqualität, mit einfachen, aber multifunktionalen Grundrissen und prägen auch heute noch Wohngebiete in vielen Städten Mitteleuropas. Nach ersten mühsamen Erfahrungen als Wohnungswerber auf dem Markt hatte Familie Strehle einfach Glück: „Wir waren zu Besuch bei Freunden, haben erzählt, dass wir dringend eine Wohnung suchen und dachten dabei zunächst wirklich an eine Wohnung. Ein anwesender Gast hat dabei aus dem Fenster gezeigt und gemeint – „das wär doch was!“ Das Haus stand seit Kurzem zum Verkauf und wir haben binnen zwei Tagen ein Kaufangebot gemacht. Mit so einer Gelegenheit hatten wir einfach nicht gerechnet.“

Die Sanierung und Revitalisierung des Gebäudes war für die Beteiligten eine schöne Aufgabe und ob der familieninternen Kompetenz, vor allem aber der Haltung zu alter Bausubstanz, weniger problematisch, als vielfach angenommen wird. „Das Haus war grundsätzlich in einem guten Zustand. Wir hätten es sonst auch nicht gekauft.“

Sowohl in der Außengestaltung wie auch im Innenausbau wurde bei der baulichen Adaptierung auf Authentizität geachtet. „Letztendlich führt das Bewahren und Ergänzen alter Bausubstanz zwangsweise zur Auseinandersetzung mit dem Begriff der Authentizität“, denkt der Planer und Bauherr laut nach. Renoviert wurde, was renovierungsbedürftig war. Der Grundcharakter des Hauses blieb bestehen. Außen achtet Gerold Strehle auf den Erhalt der Proportionen. „Wir haben die beiden Erker mit einer Innendämmung versehen und in einer zweiten Etappe wird die gesamte Fassade gedämmt werden.“ Neu sind schon die Holzfenster, die nun nach einem kleinen Intermezzo wieder eine Sprossenteilung aufweisen – so wie damals vor ca. 90 Jahren. Auch die Kellerdecke musste neu eingezogen werden. Im Erdgeschoß wurde ein Fischgrät-Parkett als Bodenbelag verlegt. Auch dies ist eine Reminiszenz an die Entstehungszeit.

Im Innenbereich war das Wegnehmen zweier Wände ein größerer Eingriff, ansonsten blieb das Raumprogramm erhalten. Im Obergeschoß wurden nur ein Familienbad und ein WC ergänzt. „Mich fasziniert, wie einfach die Räume in diesen Siedlungshäusern angeordnet sind und doch Spielraum für viele Nutzungen lassen. Das liegt unter anderem an Raumgrößen, die mit 15 bis 16 m2 fast alle Nutzungen zulassen.“ Der bereits angelegte Garten mit gut gepflegtem Pflanzenbestand blieb unverändert und wird von der Familie weiter genutzt. Ein Gemüsebeet kam hinzu und der Selbstversorgercharakter, ebenfalls historisch mit den Siedlerhäusern verbunden, wurde auf diese Weise gestärkt. Massivster Eingriff in die bestehende Substanz war der Neubau einer dem Gebäude vorgelagerten Terrasse, in der für die Bewirtschaftung des Gartens eine Regenwasserzisterne verbaut wurde. Auf den ersten Blick ist dieser Zubau ob der Wahl des Geländers kaum als neue Zutat zu erkennen. Erst bei näherem Hinsehen schleicht sich ein kleiner Zweifel ein. „Wir haben uns hier schon den Vorwurf des Historisierens eingehandelt“, erzählt Architekt und Bauherr Gerold Strehle offen. „Ich kann das nachvollziehen, für uns war das aber sehr stimmig.“ Orientiert hat sich Gerold Strehle, der sich beruflich auf Sanierungen und Instandsetzungen spezialisiert hat, an der Ästhetik der Zwischenkriegszeit und deren Hang zum Geometrisieren. „Mich fasziniert – die Expertise, die im Handwerk und in der Materialkenntnis liegt. Als Architekt und Baumeister versuche ich, mir dieses Wissen anzueignen bzw. es weiter leben zu lassen. Ich versuche nicht, das Neue zu betonen, sondern das Alte wieder nutzbar zu machen.“

Daten & Fakten

Objekt Sanierung Siedlerhaus Auf der Matte, Bregenz
Architekt Gerold Strehle, Bregenz, www.geroldstrehle.at
Ingenieure/Fachplaner Statik: DI Johannes Nowotny, Aesch (Schweiz)
Planung 2/2013–6/2013
Ausführung 6/2013–12/2013
Grundstücksgröße 611 m²
Wohnnutzfläche 130 m²
Keller 65 m²
Bauweise: Stampfbetonkeller, aufgehendes Mauerwerk mit Hohlblocksteinen, Holzbalkendecken, zweischichtverglaste Holzfenster mit Wiener Sprossen, Mansarddach mit Tonziegeldeckung
Besonderheiten: Kellerräume sind noch teilweise als gestampfter Erdboden vorhanden, Fischgrät-Parkett aus massiver Eiche im Wohn-Essbereich, Gangbeleuchtung mit Kohlefadenglühlampen, Instandsetzung der alten Stiege bzw. Erhalt der historischen Ausstattungsgegenstände soweit möglich
Ausführung: Baumeister: Erath Bau, Bregenz; Zimmerer: Gebrüder Hehle, Hörbranz; Fenster, Trockenbau, Innenausbau: Formart, Lauterach; Böden: Bruno Oberhauser, Egg Großdorf; Heizung/Sanitär: Bernd Langer, Wolfurt; Elektro: E-Vision, Wolfurt
Energiekennwert: 133 kWh/m² im Jahr (derzeit) 55 kWh/m² im Jahr (nach Dämmung Fassade)
Baukosten ca. 1200 Euro brutto/m² Wohnnutzfläche

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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