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Das "Covergirl" von Abu Ghraib im Wiener Kosmos Theater

Bregenz - Ich war Covergirl!" Wonach sich die meisten anderen amerikanische Mädchen sehnen - Lynndie England hätte es sich gerne erspart.

Ihre in Abu Ghraib in Siegerpose neben gedemütigten nackten Gefangenen aufgenommenen Fotos sind noch fünf Jahre nach ihren ersten Veröffentlichungen so sehr im kollektiven Bewusstsein eingebrannt, dass Autorin und Regisseurin Barbara Herold darauf verzichten kann, sie zu zeigen. Es genügt, davon zu sprechen. Jeder kennt sie. In ihrem Stück “Covergirl” bittet Herold die junge Ex-Soldatin, die zum All-American-Monster wurde, auf die Bühne und lässt sie erzählen. Im Juni 2008 hatte der Monolog in Bregenz seine Uraufführung, seit gestern, Mittwoch, gastiert die Produktion im Wiener Kosmos Theater.

Der nur 80-minütige Abend beginnt und endet mit Projektionen: Zu Beginn belegen Karikaturen die umfassende mediale Reaktion auf die Fotos, die im Frühjahr 2004, ein halbes Jahr nachdem sie aufgenommen worden waren, innerhalb weniger Tage durch die Welt gingen. Am Ende zeigt die Regisseurin im Web kursierende Fotos: “Doing a Lynndie” ist ein beliebtes Gesellschaftsspiel geworden, bei dem Menschen in absurden Zusammenhängen die Pose der schließlich zu drei Jahren Haft verurteilten Frau nachstellen. Dazwischen liegt der Versuch des auf der Bühne als lebendes Ausstellungsstück präsentierten “Covergirls”, sich zu rechtfertigen und der von Politik und Medien diktierten Geschichtsschreibung ihre eigene, private Geschichte entgegenzusetzen.

Die in Wien lebende Vorarlberger Schauspielerin Maria Fliri versucht als Lynndie den Balanceakt zwischen Rechtfertigungstour, Selbstmitleid und Offenherzigkeit. Auch wenn Barbara Herold viel recherchiert hat, ist klar, dass es hier mehr um einen paradigmatischen Vorgang als um die “echte” Biografie geht. Natürlich könnte es so gewesen sein, denkt man sich unwillkürlich zwischen Sätzen wie “Ich wollte meinem Land dienen”, “Wir haben ganz schlimme Dinge gemacht” und “Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort” – aber war es wirklich so?

Obwohl Fliri leichtfüßig die Situationen wechselt und auch immer wieder – etwa als Talkmasterin oder die eigene Mutter – in andere Rollen schlüpft, findet sich der Zuschauer letztlich doch immer wieder in der Rolle des Geschworenen oder des Richters. Wollte die damals knapp 21-Jährige wirklich nur ihrem damaligen Freund, dem schließlich zu zehn Jahren verurteilten Charles Graner, gefallen? Wie hoch war der Druck, dem sie sich ausgesetzt sah, und wie widerwillig machte sie mit? Geschah alles tatsächlich mit Wissen, ja sogar der Billigung der Vorgesetzten?

All’ dies kann “Covergirl” naturgemäß nicht klären. Aber die Produktion stellt sich in vorbildlicher Weise wichtigen Fragen, agiert mit großem Engagement am Schnittpunkt zwischen Theater, Politik und Zeitgeschehen, und verzichtet auch nicht auf Betroffenheit. Nach 521 Tagen, knapp vor Absitzen der Hälfte ihrer Strafe, wurde Lynndie England entlassen. Seither ist sie auf Jobsuche. Bewerbungen könnte sie bestenfalls anonym abgeben, ohne Name und Foto. – Viel Applaus für eine außergewöhnliche Produktion, die noch bis 16. Mai in Wien gastiert.

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