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Darf man sich von Jesus ein Bild machen?

Es ist tröstlich: Auch wenn die Filmbranche seit 90 Jahren auf Leinwandheld Jesus setzt, ist die Ausbeute künstlerisch wie finanziell nicht gerade beeindruckend.

Als Mel Gibsons umstrittene „Passion“ im März 2004 in unseren Kinos anlief, war das auch ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen: Was hat das Genre Jesus-/Bibel-Film künstlerisch eigentlich zu bieten?

Die Bilanz fiel (und fällt) ernüchternd aus. Auch Regisseuren wie Nicholas Ray („König der Könige“ (1961, ein passables Bilderbuch) und John Huston („Die Bibel“, 1965, ein Desaster) gelang es nicht, dem Stoff mehr als einige attraktive Szenen abzugewinnen. Da halfen Starbesetzungen und riesiger Aufwand nichts.

Aber der Reihe nach. Schon früh blieb das einstmals zweite der zehn Gebote unbeachtet: „Du sollst dir kein Bildnis machen“. Maler, Zeichner und Bildhauer machten sich und uns ein Bild. In jedem neuen Medium wurde Gottes Sohn rasch zum Star. Auch in der Fotografie, natürlich im Film. Schon 1898 stellte Alice Guy „Jesus vor Pilatus“, 1912 wurde das Leben Christi in Hollywood „Von der Krippe bis zum Kreuz“ verfilmt. 1916 war die Passion Bestandteil von D. W. Griffiths Epos „Intolerance“, 1927 porträtierte Cecil B. DeMille, Großmeister des biblischen Monumentalfilms, den „König der Könige“, wie 34 Jahre später Nicholas Ray (siehe oben).

Dazwischen spielte Christus zumindest ideell Hauptrollen, so im allerersten Cinemascopefilm „Das Gewand“ (Henry Koster, 1953) und in „Ben Hur“ (William Wyler, 1959, eine Stummfilmversion kam 1926 in die Kinos). Auch in Richard Fleischers Verfilmung von Pär Lagerkvists Roman „Barabbas“ (1961). Die Passion ist in diesen aufwändigen Streifen zentrales Moment der Bekehrung von Richard Burton, Charlton Heston und Anthony Quinn.

Es folgten unter anderem: „Die größte Geschichte aller Zeiten“ (George Stevens, 1965, mit Max von Sydow als Christus), „Jesus von Nazareth“ (Franco Zeffirelli, 1977, Titelrolle: Robert Powell), „Jesus“ (Roger Young, 1999, mit Jeremy Sisto) und der Zeichentrickfilm „The Miracle Maker“ (Hayes & Sokolov, 2000, mit Ralph Fiennes als Jesu Stimme). Alles biedere Bebilderungen, wie letztlich auch die Musical-Verfilmungen „Jesus Christ Superstar“ (Norman Jewison, 1973) und „Godspell“ (David Greene, 1973).

Anspruchsvollere Filme

Ambitioniertere Zugänge suchten Pier Paolo Pasolini und Martin Scorsese. Pasolini stützte sich in seinem Papst Johannes XXIII. gewidmeten „Il Vangelo secondo Matteo“ („Das 1. Evangelium – Matthäus“, vormals „Menschenfischer“, 1964) auf das Matthäus-Evangelium und schuf einen von Linken und Rechten heftig diskutierten Film.

Erregung

Bei Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ (1988, mit Willem Dafoe), Adaption eines Romans von Nikos Kazantzakis, war die Erregung vorprogrammiert, ging es doch um die Verknüpfung Jesu mit Sex. Wie übrigens schon in den 1970 er-Jahren der Däne Jens J¯rgen Thorsen („Stille Tage in Clichy“) mit dem Projekt „Das Sexleben Jesu Christi“ für helle Empörung sorgte. Thorsen realisierte den Film 1992 und blieb damit außerhalb Skandinaviens völlig unbeachtet.

Immer wieder versetzten Regisseure Jesus in die Gegenwart. Was einige der bemerkenswertesten Beispiele des Genres zur Folge hatte. So setzte Jules Dassin ebenfalls eine literarische Vorlage von Alexis-Sorbas-Schöpfer Kazantzakis um: „Der Mann, der sterben muss“ (1956) – aus einem Passionsspiel wird blutiger Ernst. Denys Arcand heftete sich 1989 auf die Spuren des „Jesus von Montreal“ und Hal Hartley spürte 1998 Jesus (Martin Donovan) und Maria Magdalena (P. J. Harvey) im New York vor dem Jahrtausend- und Weltende auf.

Urkomische Akzente

Zwei ganz spezielle Jesus-Filme seien nicht unerwähnt: Terry Jones’ Kultfilm „Das Leben des Brian“ (1979), in der die Monty Pythons zeigen, wie man selbst der Passion urkomische Akzente abgewinnen kann. Und Herbert Achternbuschs „Das Gespenst“ (1982), in dem Christus – „Mir langt’s!“ – von seinem bayrischen Kreuz steigt. Übrigens der einzige Film, für den in Österreich nach wie vor gilt: „Die Vorführung wird mit einer Strafe bis zu einem halben Jahr Haft bedroht.“

Unterm Strich bleibt also ein einziger Film, der sich eng an die Vorlage hält und dennoch mehr ist als eine platte Bebilderung: Pasolinis Matthäus-Evangelium. Ein „armer“ Film in Schwarzweiß, mit Laiendarstellern, Verbeugung vor dem Geist des Zweiten Vatikanums. Pasolini griff von Piero della Francesca bis Georges Rouault auf die Kunstgeschichte zurück, verwendete Musik von Bach bis Billie Holliday. Das Resultat ist eine demütige, intelligente, sensible Vision.

Und damit ganz das Gegenteil von Gibsons obszöner Gewaltorgie zwischen billigem Splatter-Horror und pathetischen Special Effects. Ausgezahlt hat sich der Christus-Schocker für seinen Regisseur und Produzenten jedenfalls. Das Werk des als „Mad Max“ berühmt gewordenen Oscar-Preisträgers („Braveheart“) rangiert auf der Liste der ertragreichsten Filme auf Platz 31. In Zahlen bedeutet das bis jetzt einen weltweiten Umsatz von rund 620 Millionen Dollar. Platz eins nimmt mit der ziemlich genau dreifachen Einspielsumme James Camerons „Titanic“ ein.

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