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Daniel Kehlmanns Pandemie-Stück "Ostern" enttäuscht

Kehlmann zeigt Szenen aus dem Corona-Alltag
Kehlmann zeigt Szenen aus dem Corona-Alltag ©APA/Josefstadt/Moritz Schell
Klopapier ohne Ende, die tägliche Regierungspressekonferenz und natürlich das vom Nachwuchs gekaperte Zoom-Interview: Daniel Kehlmann hat ein Stück über die Corona-Pandemie geschrieben, in dem er sich der alltäglichen Machtlosigkeit der Menschen im Frühjahr 2020 widmet. Die Uraufführung in der Regie von Stephanie Mohr in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt am Samstag war ernüchternd und zeigte: Für eine ungebrochene Aufarbeitung der Ereignisse ist es zu früh.

Wie viel Zeit muss vergangen sein?

In einem Brief des Autors, der in der zweiten Szene des mehr als zweieinhalbstündigen Abends aus dem Schnürboden flattert und von Robert Joseph Bartl verlesen wird, wendet sich Kehlmann direkt ans Publikum. Den ersten Teil des Stücks habe er damals, unter direktem Eindruck der Ereignisse, geschrieben und an Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger geschickt. "Das machen wir", habe dieser geantwortet. Jedoch mit dem Nachsatz, nach der Wiedereröffnung der Theater noch zu warten, bis genug Zeit vergangen ist. "Weil das so funktioniert mit der Kunst. Die kommt nicht sofort. Die kommt mit der Distanz." Nun, was Kehlmanns Text (und sicherlich auch dem Publikum) fehlt, ist Abstand. Um genau das vorgespielt zu bekommen, was man ohnehin gerade erst erlebt hat, fehlt auch dem zweiten, laut Kehlmann erst kürzlich geschriebenen zweiten Teil das reflexive Potenzial.

Als Motto für den 55 Minuten dauernden ersten Teil des Abends hat Kehlmann ein Merkel-Zitat gewählt: "Die ganze Welt ist mittlerweile ein Risikogebiet." Und so erlebt man einen Lockdown-Nachmittag im Wohnzimmer der Familie Flatscher, in dem Alexandra Krismer als bissige Ehefrau durch das Fenster die Nachbarin beobachtet, um deren zahlreiche Ausgänge ins Freie zu dokumentieren, während Bartl als ihr polternder Ehemann zum Hörer greift, um die Polizei über das Brechen der Ausgangssperre zu informieren und Sohn Vito (Julian Valerio Rehrl) mit Kopfhörern und Tablet auf der Couch hängt, um sich statt der täglichen Regierungspressekonferenz die dritte "Sopranos"-Staffel anzusehen.

Alltagsabsurditäten mit Wiedererkennungswert

Man erlebt ein Zoom-Interview mit einem Autor (Ulrich Reinthaller), der einer gelangweilten Journalistin (Katharina Klar) erzählt, welche Bücher die Menschen im Lockdown lesen sollen, während seine Frau daran scheitert, die beiden Kinder aus dem Raum zu zerren (man erinnert sich an die legendär gewordene Szene eines BBC-Reporters in einer Live-Schaltung aus dem Homeoffice). Man erlebt Polizisten, die eine junge Frau aus ihrem Zweitwohnsitz werfen wollen oder einen lesenden Mann von einer Parkbank vertreiben. Und einen Security-Mitarbeiter am Flughafen, der den Business-Class-Reisenden "wegen Corona" ein zweites Stück Handgepäck verweigert und so einmal in seinem Leben Macht ausüben kann.

Kurzum, Szenen, wie wir sie alle kennen, deren theatrale Absurdität aber nicht durch die Überspitzung des Autors entsteht, sondern dem damaligen Wahnsinn geschuldet ist. Da muss man schon lachen, bevor die Sätze überhaupt ausgesprochen werden, weil man ohnehin weiß, was jetzt gleich kommt. Auch ein Telefonat zwischen dem österreichischen Bundeskanzler (Julian Valerio Rehrl in Radlerhosen und Sakko auf dem Ergometer) und dem Ministerpräsidenten von Bayern (Bartl standesgemäß hinter dem Schreibtisch) über die gegenseitige Androhung von der Entsendung des Militärs an die deutsch-österreichische Grenze birgt zwar einiges an Komik, bildet jedoch auch nur die damaligen Zustände ab. Als hätte Kehlmann einfach ein Youtube-Video transkribiert, wirkt auch jene Szene, in der das Ehepaar Flatscher in einem Interview mit einem Alternativ-Sender die Corona-Leugner und Impfgegner verkörpert.

"Die entscheidende Woche"

Und so steigt im Laufe des Abends, an dem auch zahlreiche Klopapierrollen zum Einsatz kommen, die Erwartung an den zweiten Teil des Stücks. Dieser ist mit knapp eineinhalb Stunden nicht nur länger als der erste Teil, sondern fühlt sich auch länger an. Als Motto wird Sebastian Kurz' Zitat "Die Osterwoche wird eine entscheidende Woche für uns sein und ausschlaggebend dafür, ob die Wiederauferstehung nach Ostern auch stattfinden kann" eingeblendet. Zu erleben ist der Schauspieler Jodok Americh (Raphael von Bargen), der in der Quarantäne in seinem Hotelzimmer langsam aber sicher wahnsinnig wird. Das Internet funktioniert nicht und das einzige Buch, das er in seinem Koffer hat, sind Goethes "Wahlverwandtschaften". Und so ergeht er sich in Erinnerungen an die Zerrissenheit zwischen seiner Frau und seiner Geliebten, seinen mutmaßlichen Mord an einer Ferienbekanntschaft als Zwölfjähriger oder den Höhepunkt seiner bisherigen Karriere als "der bestimmende Hamlet", wie die "FAZ" damals schrieb. Als er dann auf einen im Hotel untergebrachten Obdachlosen stößt, der seine tote Ex-Frau sieht, kippt die Szene in eine "Sixth Sense"-Stimmung, bevor der Abend abrupt endet.

Stephanie Mohr hat die vielen kurzen Szenen in "Ostern" mit der ihnen inhärenten Absurdität umgesetzt, das Ensemble punktet mit raschen Kostümwechseln und pointierten Darstellungen der schablonenhaften Protagonisten. Doch am Ende ist "Ostern" nicht mehr als ein dokumentarisches Stück, das künftigen Generationen einmal vor Augen führen kann, welcher Wahnsinn sich in den Wohn-, Hotel- und Hinterzimmern der Macht abgespielt hat. Alle anderen können am Ende des Abends bestätigend nicken: Ja, so war es. Und gut, dass es vorbei ist.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Ostern" von Daniel Kehlmann, Uraufführung in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt. Regie: Stephanie Mohr, Bühne: Florian Parbs, Kostüme: Tanja Liebermann. Mit Raphael von Bargen, Robert Joseph Bartl, Katharina Klar, Alexandra Krismer, Julian Valerio Rehrl und Ulrich Reinthaller. Kommende Termine: 7., 13., 14., 17., 20., 21. und 30. September. )

(APA)

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