Das Oberhaupt der tibetischen Buddhisten gilt als Inbegriff von Freundlichkeit und Güte – dabei hat er nach der Vertreibung aus seiner Heimat durch die chinesischen Besatzer und nach Jahrzehnten im indischen Exil allen Grund, verbittert zu sein. Am Mittwoch feiert der Dalai Lama seinen 70. Geburtstag. Ob er jemals wieder in seine Heimat zurückkehren kann, ist ungewiss. Aber in seinem Kampf für die Rechte seines Volkes lässt der Hoffnungsträger der Tibeter auch im hohen Alter nicht nach.
Schließlich ist der Dalai Lama schon das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter, seitdem er denken kann: Bereits als vierjähriges Kleinkind wurde der am 6. Juli 1935 als Lhamo Dhondrub geborene Sohn armer Kleinbauern als Inkarnation des 13. Dalai Lama entdeckt und zu dessen Nachfolger erklärt. Im Februar 1940 zog der 14. Dalai Lama in den riesigen Potala-Palast in Lhasa ein und wurde fortan auf seine Rolle als buddhistisches Oberhaupt vorbereitet. Dabei hatte er durchaus Interesse an weltlichen Dingen. In jungen Jahren soll er sich für Autos interessiert und sogar einen Wagen gegen das Palasttor gefahren haben. Bis heute soll er ein Faible für Uhren haben.
Doch der Ernst des Lebens holt den Dalai Lama bald ein. Nach dem Einmarsch der chinesischen Armee in 1950 wurde der 15-Jährige eiligst auf den Thron gehoben. In den folgenden neun Jahren versucht er, die Tibeter vor den Besatzern zu schützen. Aber 1959 schlägt China einen Aufstand nieder und bricht sein Versprechen, den Tibetern Autonomie zu garantieren. Für den Dalai Lama wird es gefährlich. Als Soldat verkleidet flieht der 24-Jährige über das Himalaya-Gebirge nach Indien und lässt sich mit seinem Gefolge in der Stadt Dharamsala nieder.
Unermüdlich organisiert er seitdem von dort aus den friedlichen Kampf für die Anerkennung der Tibeter als eigenständiges Volk. Dabei geht dem Buddhisten die Gewaltfreiheit über alles. Für sie hat er bereits vor langer Zeit auf die Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit Tibets verzichtet. Während unter den Tibetern die einen für eine Annäherung an Peking werben und andere jegliche Zusammenarbeit ablehnen, strebt der Dalai Lama einen pragmatischen Mittelweg an: Er verlangt lediglich eine begrenzte Autonomie. Selbst will er dabei nur spiritueller Führer sein und nicht an der Regierung teilhaben.
Hoch angerechnet wird dem Dalai Lama von allen Tibetern, dass er das weltweit verstreute Fünf-Millionen-Volk über die Grenzen hinweg zusammenhält. Seine Vision einer Welt mit weniger Grenzen und eines Lebens in Harmonie hat die Tibeter zusammengeschweißt. Er ist der Weiseste, sagt B. Thering von der tibetischen Frauenorganisation. Der stets in in ein dunkelrotes Mönchsgewand und einen safrangelben Umhang gehüllte Dalai Lama wird nicht müde, die Belange der Tibeter öffentlich zu vertreten. Dazu nutzt der Autor von 40 Büchern die Macht der Medien; im Fernsehen ist der freundliche und humorvolle Mönch ein gern gesehener Gast. Auch Staats- und Regierungschefs zeigen sich gern an seiner Seite.
Auf seinen Spaziergängen durch Dharamsala begrüßen junge Buddhisten den Dalai Lama respektvoll mit einem Lächeln und einer Verbeugung. So manchem Pilger, der das tibetische Oberhaupt leibhaftig zu Gesicht bekommt, treibt die Begegnung Tränen in die Augen. Auch die US-Filmindustrie ließ sich von der Aura des Mönchs beeindrucken und widmete ihm mit Kundun und Sieben Tage in Tibet zwei große Kinofilme. Für seine Bemühungen um eine friedliche Lösung der Tibet-Frage wurde der Dalai Lama 1989 mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
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