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D: Sturm der Entrüstung über Unionspläne

Das Wahlprogramm von CDU und CSU hat in Politik und Interessenverbänden Deutschlands einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Im Mittelpunkt stand dabei am Montag die schroffe Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung.

Als „Generalangriff auf Arbeitnehmerrechte” werteten die Gewerkschaften die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 18 Prozent und vor allem geplante Einschränkungen beim Kündigungsschutz und andere Arbeitsrechts-Reformen, die das Lager der Arbeitgeber wiederum begrüßte.

Der deutsche Finanzminister Hans Eichel rechnete der Union vor, sie produziere ein 40-Milliarden-Loch in den öffentlichen Haushalten. Bundeskanzler Gerhard Schröder (beide SPD) erklärte: „Das Programm ist in keiner Weise finanzierbar. Das sind Weihnachtswünsche, die nicht in Erfüllung gehen werden.”

„Bei Frau Merkel wird alles teurer, aber nichts besser”, sagte der Bundeskanzler in Eckernförde an der Ostsee. Die Anhebung der Mehrwertsteuer träfe „vor allem Menschen mit Renten und kleinen Kindern”. Auch Eichel sprach von „ungedeckten Schecks” und nannte das Wahlprogramm der Union sozial ungerecht. „Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer würde die noch fragile Binnenkonjunktur weiter bremsen.” Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) nannte das Programm untauglich. Würden die Pläne umgesetzt, käme es in der Rentenversicherung zu „Kürzungen von wenigstens zehn Prozent”. Und zur Finanzierung der Gesundheitsprämie müsse die Mehrwertsteuer weit über 18 Prozent hinaus angehoben werden.

Auch die FDP als potenzieller Koalitionspartner im Falle eines Unionswahlsieges wandte sich gegen wichtige Teile des Programms wie den Einsatz der Bundeswehr für die Terrorabwehr im Inland oder die Mehrwertsteuererhöhung. „Dafür werden wir unsere Hand nicht reichen”, sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel in Berlin. Konkrete Konsequenzen für die Koalitionsbildung ließ er aber nicht durchblicken. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach von einem Wahlprogramm „nach der Melodie Tarnen, Tricksen, Täuschen”.

IG-Metall-Chef Jürgen Peters erklärte, offensichtlich habe sich die Union aus der Tradition der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet. Arbeitnehmer sollten zudem mit der Mehrwertsteuer die Entlastung von Unternehmen und Spitzenverdienern finanzieren. Er kündigte entschlossenen Widerstand gegen die Änderung des tarifvertraglich gesicherten Günstigkeitsprinzips und gegen betriebliche Bündnisse an.

Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, sagte: „Was hier unter dem Motto „Vorfahrt für Arbeit” daher kommt, führt in die Sackgasse.” Beschäftigte und Betriebsräte würden durch die Arbeitsrechtsreformen erpressbar. Bei deren Verwirklichung will der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wie DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer in der „Neuen Ruhr- Zeitung” (Dienstag) ankündigte. Die Unionsforderungen seien auch ein „Freibrief zur Lohnsenkung”.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, nannte die arbeitsmarkt- und tarifpolitischen Pläne mutig und richtig, kritisierte aber scharf eine höhere Mehrwertsteuer. „So steht jetzt die Steuererhöhung am Anfang und nicht die Strukturreformen in der Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung”, kritisierte er. Ähnlich äußerte sich der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen R. Thumann. Ansonsten weise das Programm in die richtige Richtung.

Auch nach Aussage von Handwerkspräsident Otto Kentzler fehlt wegen der Mehrwertsteuererhöhung der Druck zu konsequenten Sozialreformen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt begrüßte die angekündigten Arbeitsmarktreformen. Angesichts der schleppenden Konjunktur rechnen Wirtschaftsforschungsinstitute wie das Berliner DIW oder das Hamburger HWWA – anders als der Einzelhandel – nicht mit Preiserhöhungen in Folge einer höheren Mehrwertsteuer.

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