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D: Mahnmal für Lynchmord an US-Gefangenen

Es war ein grausamer Mord an wehrlosen Kriegsgefangenen. Doch die Täter waren keine SS-Leute. „Normale“ Bürger der deutschen Stadt Rüsselsheim knüppelten am 26. August 1944 mehrere US-Piloten zu Tode - mit Hämmern, Milchkannen und Flaschen.

60 Jahre später soll ein Mahnmal an die lange Zeit verdrängte Lynchtat erinnern. Doch das Vorhaben stieß in Rüsselsheim nicht nur auf Zustimmung. Der Enthüllung an diesem Donnerstag waren Auseinandersetzungen um die Gedenk-Inschrift vorangegangen.

Die acht jungen Soldaten waren zwei Tage zuvor mit ihrem Bomber bei Osnabrück abgeschossen worden. Auf dem Weg in ein Gefangenenlager bei Frankfurt mussten sie die unmittelbar zuvor von der britischen Luftwaffe zerstörte Stadt Rüsselsheim durchqueren.

Zwei Frauen schreien: „Schlagt sie tot!“. Ein hundertköpfiger Mob hetzt die Soldaten durch die Stadt. An einer Backsteinmauer brechen die acht unter den Hieben zusammen. Ein Gestapo-Geheimpolizist schießt vier der bereits leblosen Amerikaner in den Kopf.

Zwei andere überleben, weil sie sich tot stellen. Sie können später fliehen. Einige Täter kommen nach Kriegsende vor Gericht. Fünf werden zum Tod verurteilt, fünf weitere bekommen lange Haftstrafen.

„Man hat 57 Jahre lang nicht öffentlich darüber sprechen können“, sagt Mahnmal-Initiatorin Dagmar Eichhorn. Die Todesmauer wurde in den 80er Jahren abgerissen – obwohl einige Rüsselsheimer sie bewahren wollten. Noch 1995 ließ die damalige Oberbürgermeisterin Otti Geschka ein Bild, das auf den Lynchmord anspielte, aus dem Rathaus entfernen.

Doch dann begann die Aufarbeitung. Eichhorns Geschichtsinitiative organisierte Diskussionen und Ausstellungen, lud Historiker und Zeitzeugen ein. Zu einer großen Gedenk-Veranstaltung vor drei Jahren reiste sogar der letzte Überlebende aus den USA an. „Das war so etwas wie eine Versöhnung“, sagt Eichhorn.

Das Mahnmal soll diese Arbeit nun fortsetzen. An der Stelle des Lynchmords entstand eine Klinkermauer. In die Rückseite sind die Porträts der Opfer eingefräst. Texttafeln auf Deutsch und Englisch berichten, dass an dieser Stelle „am 26. August 1944 nach einem britischen Luftangriff auf Rüsselsheim acht amerikanische Flieger (…) von einer aufgebrachten Menge gejagt und gelyncht“ wurden.

Der Text ist ein Kompromiss, der einen in der Rüsselsheimer Öffentlichkeit mit Leserbriefen und Radio-Talkrunden geführten Streit beenden soll. Eichhorns erste Fassung hatte statt von einem Luftangriff von „nächtlichem Bombenterror“ gesprochen. Gegen diese Formulierung gab es von zwei Seiten Protest. Manche Rüsselsheimer sahen in ihr eine Relativierung der Bluttat. Andere fanden dagegen, dass das Leid der Bomben-Opfer zu kurz komme.

Erst zwei Wochen vor der Enthüllung des Mahnmals einigte man sich auf den endgültigen Wortlaut, der auf den deutsch-englischen Theologen Paul Oestreicher zurückgeht. Eichhorn hätte ihre Formulierung vorgezogen: „Es ist wichtig, die konkreten Bedingungen der Tat zu kennen, um zu wissen, wie es dazu kommen konnte. Wir wollten die Situation berücksichtigen, aber nichts relativieren.“ Doch sie willigte ein, um den Enthüllungstermin nicht zu gefährden.

NS-Gedenkstätten führen in Deutschland regelmäßig zu Kontroversen. Um das derzeit zur Hälfte fertige monumentale Holocaust-Mahnmal in Berlin gab es ein jahrelanges Hin und Her. Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden plant seit fast zwei Jahrzehnten einen Erinnerungsort. Aber Uneinigkeit über die Details hat das Vorhaben immer wieder verzögert. Ein Baubeginn ist derzeit nicht abzusehen.

Das Rüsselsheimer Mahnmal ist dagegen fertig. Wenn es am Donnerstag enthüllt wird, ist auch Sidney Brown dabei. Der 79-jährige US-Amerikaner kehrt zum zweiten Mal an den Ort zurück, an dem er an einem Spätsommermorgen vor 60 Jahren fast ermordet worden wäre.

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