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CZE: Koalition droht Untergang

Keine einzige Stimme ist bei den ersten Wahlen Tschechiens zum Europäischen Parlament (EP) offiziell ausgezählt worden. Trotzdem schrillen bereits jetzt die Alarmglocken.

Das „Koalitionsschiff” des sozialdemokratischen (CSSD) „Kapitäns” Vladimir Spidla hat gleich drei schwere Torpedotreffer erlitten.

Die Wahlprognosen, die sich nach Ansicht von Meinungsforschern mit einer Fehlerquote von ein bis zwei Prozent bestätigen sollten, waren aussagekräftig: Vor allem die vorausgesagten Erfolge der beiden Oppositionsparteien – die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) und die Kommunisten (KSCM) – könnten für Spidlas Schiff den Untergang bedeuten.

Der Vorsprung der ODS vor dem Erzrivalen CSSD ist so groß, dass man die Niederlage der Regierungspartei als schmählich bezeichnen könnte. „Ein dritter Platz ist auf keinen Fall ein Erfolg”, kommentierte Ministerpräsident Spidla den vorhergesagten Wahlausgang. Seine Partei dürfte nur mit drei Sitzen im Europaparlament vertreten sein – das ist die Hälfte dessen, womit die CSSD gerechnet hatte, und entspricht einem Drittel der für die ODS prognostizierten Stimmen. Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2002 bedeuten die erwarteten 10,5 Prozent für die Sozialdemokraten einen Verlust von rund 20 Prozent.

Den zweiten Schlag erlitt Spidla durch die Kommunisten, die die CSSD erstmals überholt haben und sich nun als stärkste Linkspartei in Tschechien präsentieren können. „Das, was die CSSD betreibt, ist keine Linkspolitik”, verlautet schon seit Monaten aus der Prager KSCM-Zentrale, vor allem in Anspielung auf die „Zugeständnisse” der CSSD gegenüber der mitregierenden rechtsliberalen Freiheitsunion (US-DEU) von Vizepremier Petr Mares.

Diese hat Spidlas „Schiff” wiederum den dritten Schlag versetzt, indem sie laut Prognosen tief unter der Fünf-Prozent-Wahlhürde geblieben ist und damit den Einzug ins EP nicht schaffen dürfte. Mares hat unterdessen seinen Rücktritt von der Parteispitze angekündigt.

Paradoxenweise haben den Prognosen zufolge jene Parteien gewonnen, die eine sehr reservierte bis ablehnende Haltung gegenüber der EU einnehmen. Im Wahlkampf hatten sie auf die „Verteidigung der tschechischen nationalen Interessen” in Europa gesetzt. Die Europapolitik scheint bei dem Urnengang aber ohnehin keine große Rolle gespielt zu haben. Die tschechischen Wähler haben den Volksvertretern eher die Rechnung für die heimische Politik präsentiert, die viele schmerzhafte Reformen mit sich gebracht hat. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors weist nach Auffassung von Experten eine gefährlich steigende Tendenz auf, die ernste Folgen haben könnte, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird.

Spidla sieht darin einen der Gründe für seine Niederlage. „Die Regierungsparteien haben zur Halbzeit ihrer Legislaturperiode immer Probleme”, meinte der Premier. Deshalb denke er zunächst nicht an politische Konsequenzen. Die Regierung sei aus anderen Wahlen hervorgegangen und werde bis zum Ende der Legislaturperiode 2006 im Amt bleiben, versicherte der Regierungschef, der nicht einmal um seinen CSSD-Vorsitz bangt.

Inwieweit dies ein Wunsch oder eine realistische Einschätzung ist, bleibt jedoch abzuwarten. Ein erstes politisches Opfer gibt es offenbar bereits: Der parteilose Justizminister Karel Cermak hat seinen Rücktritt angekündigt. Er sei mit der kürzlich getroffenen Entscheidung des Kabinetts, die 13. und 14. Gehälter von Staatsbeamten abzuschaffen, nicht zufrieden, lautete die offizielle Begründung. Offen bleibt, warum die Nachricht über Cermaks Rücktritt ausgerechnet zwei Stunden nach der Veröffentlichung der für die Koalition vernichtenden Wahlprognose an die Öffentlichkeit gedrungen ist.

Entscheidende Bedeutung für das Schicksal der Koalition dürfte aber auch die Entwicklung ihres schwächsten Glieds, der rechtsliberalen Freiheitsunion (US-DEU), haben. Noch im Juni soll ein Parteitag stattfinden, wo sehr wahrscheinlich der Verbleibs der Partei in der Regierung in Frage gestellt wird. Immer mehr Parteimitglieder kritisieren die Regierungs-Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten und treten aus der US-DEU aus.

Schon vor der Europawahl verlautete aus ODS-Kreisen, dass sich der Parlamentsklub der Partei vergrößern könnte. Eventuelle Überläufer aus der US-DEU seien in der ODS willkommen, hieß es. Glaubt man manchen Stimmen in Prag, so könnten die Europawahlen auch der Anfang vom Ende der Regierungskoalition sein.

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