“Ich bin keine Politikerin”, erklärte die Sängerin, die auf Einladung einiger EU-Mandatare für ein Konzert vor dem Parlament in Brüssel weilt.
“Bin lieber Künstlerin – Narrenfreiheit”
Sie sei lieber Künstlerin als Politikerin, falle es ihr so doch leichter, ihre Botschaft zu vermitteln: “Man hat größere Narrenfreiheit.” Entsprechend sei die Chance, im EU-Parlament vor der versammelten Presse des Kontinents und mit Parallelübersetzung in Französisch und Englisch zu sprechen, doch etwas Besonderes. Ihre Message sei dabei seit ihrem Triumph beim ESC im Mai noch dieselbe geblieben: “Ich habe mit nichts Neuem aufzuwarten, weil sich an den grundsätzlichen Umständen nichts verbessert hat: Das Ziel ist noch lange nicht erreicht, dass jeder mit jedem respektvoll umgeht.”
Conchita Wurst will Entscheidungen
Sie kenne sich mit dem Politbetrieb ja nicht aus, aber es sei für sie schlicht unbegreiflich, dass Themen wie die gleichgeschlechtliche Ehe noch immer diskutiert würden oder man darüber erst langsam nachdenken wolle: “Ich brauche niemanden, der nachdenkt – ich brauche Entscheidungen.” Sicher sei das Leben eines Politikers nicht leicht: “Aber diese Menschen haben sich ihren Job genauso ausgesucht, wie ich mir meinen. Und ich erwarte Ergebnisse.”
Politische Botschaft vor EU-Parlament
“Ich werde alles geben, um Menschen zu unterstützen, die von mir unterstützt werden wollen”, zeigte die bärtige Diva sich im Gegenzug engagiert. Entsprechend freue sie sich über die Einladung zu dem Konzert vor dem Parlament, die von fünf Abgeordneten aus ebenso vielen Fraktionen ausgesprochen wurde, darunter Parlamentsvize Ulrike Lunacek, die österreichische Delegationsleiterin der Grünen.
“Conchita Wurst hat eine wichtige politische Botschaft, die nichts mit Parteien zu tun hat”, untermauerte die Politikerin Wursts Worte. Es gehe um das Recht, in Frieden und Freiheit zu leben, was nicht nur, aber natürlich auch für die lesBiSchwule-Community gelte. Kritik von konservativen Kollegen an den Kosten für die Veranstaltung ließ Lunacek deshalb nicht gelten.
Kein Honorar für Brüssel-Reise
Wurst erhalte kein Honorar, und die Kosten von rund 18.000 Euro kämen aus ihrem Pouvoir und dem der Grünen-Fraktion. “Ich denke, das ist es wert, eine so wichtige Botschafterin hierher zu bekommen.” Man könne so den Bürgern klarmachen, dass auch das Europaparlament für diese Inhalte stehe.
Dass Conchita Wurst selbst eines Tages als Politikerin ins Europaparlament zurückkehren könnte, hält die Sängerin selbst für nicht wahrscheinlich – aber auch nicht für ausgeschlossen: “Ich kann es mir nicht vorstellen – aber vielleicht sehen wir uns hier in 20 Jahren aus einem anderen Grund wieder.”
Mittagspauseneinlage für EU-Mitarbeiter
Hunderte EU-Mandatare, Beamte und “einfache” Brüsseler haben am Mittwoch ihre Mittagspause im Regen verbracht – um Song-Contest-Queen Conchita Wurst zu sehen. Die ESC-Gewinnerin hatte auf Einladung einen halbstündigen Auftritt – im wörtlichen Sinne – vor dem EU-Parlament. Denn de facto sang Wurst auf einem mit Europaflaggen dekorierten Partyzelt am Platz vor dem Abgeordnetenhaus.
Wurst: “Dann sind wir unstoppable”
Je kleiner die Bühne, desto größer die Geste. Nachdem sie am Vormittag der Presse Rede und Antwort gestanden hatte, hielt Wurst im weißen Hosenanzug der Menge eine Rede zu Europa. Sie verwies dabei auf die Parallelen zwischen dem 1956 erstmals ausgestrahlten Eurovision Song Contest und den ein Jahr später als Vorläufer der EU begründeten Europäischen Gemeinschaften. In beiden Fällen gehe es um Variantenreichtum und ein vielfarbiges Europa: “Und ich bevorzuge eine komplizierte Demokratie gegenüber einem System, in dem einer alleine entscheidet.”
Das Konzert in Brüssel
Wenn jeder für ein vielgestaltiges Europa eintrete, gelte ihr bereits sprichwörtliches Motto: “Dann sind wir unstoppable.” Nach dem politischen Appell kehrte Conchita wieder zu ihren Wurzeln zurück: “Ich bin Musikerin, und deshalb bin ich hier.” Mit Coverversionen von Chers “Believe” und Joe Cockers “Unchain my heart” sowie ihren eigenen Nummern “That’s what I am”, ihrem “Die große Chance”-Finalsong “Unbreakable” sowie ihrem Song-Contest-Siegerlied “Rise like a Phoenix” bezirzte die Drag-Diva daraufhin die schirmbewehrte Menge vor der Bühne.
Zuvor sah sich bereits das Parlamentsmuseum “Parlamentarium” mit einem wahren Besucheransturm konfrontiert, gab die bärtige Lady doch dort ihren Fans Autogramme. Selfies waren aus Zeitgründen allerdings verboten – dafür stand den Bildwilligen ein Profifotograf samt anschließender Downloadmöglichkeit zur Verfügung (http://go.apa.at/9UinuK4Y).
Dafür steht Conchita Wurst
“Conchita Wurst ist ein Symbol dafür, dass man zu sich selbst stehen kann”, freute sich die niederländische Abgeordnete Sophie In’t Veld von den Liberalen über den Auftritt, zu dem sie unter anderen die Einladung ausgesprochen hatte. Aber auch Mandatare der Sozialdemokraten, der Europäischen Volkspartei, der Linken und nicht zuletzt der Grünen rund um die österreichische Delegationsleiterin Ulrike Lunacek hatten Wurst nach Brüssel gebeten.
Und dort blieb das im Vorfeld von einigen rechtsgerichteten Politikern geäußerte Missfallen aus. Dies dürfte vielleicht auch damit zusammenhängen, dass sich das Parlament derzeit in der Hochphase der Entscheidung über die neue Kommission befindet.
Freude auf Twitter
Umso mehr Raum nahmen die Befürworter via Twitter ein. Noch-Kommissarin Viviane Reding konstatierte: “Europa von seiner besten Seite: Kreativ, tolerant und vielfältig!” NEOS-Mandatarin Angelika Mlinar beschied via Twitter: “Ich freue mich, Sie als Symbol der Offenheit und Freiheit begrüßen zu dürfen.”
Und die deutsche Grüne Terry Reintke frohlockte: “Die wunderbare Conchita Wurst kommt zu uns.” Der österreichische Sozialdemokrat Josef Weidenholzer sah sogar himmlische Zeichen: “Dafür hat sogar der Regen aufgehört”, während sich Pawel D. Wisniewski, ein Mitarbeiter der Europäischen Volkspartei, wunderte: “Conchita Wurst hat mehr Journalisten angezogen als UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.”
(apa/red)
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