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Bärengeschichten aus Kanada

Über den Umgang mit den Riesen in den Weiten der kanadischen Nationalparks.
Kanadische Impressionen

Die Geschichte ist kein Witz: Ein Bär tappt in den frühen Morgenstunden in einen Schnellimbiss nahe der westkanadischen Metropole Vancouver. Der vor sich hindösende Verkäufer schreckt auf, rettet sich in einen hinteren Raum und verschließt die Tür. Derweil schnuppert der Bär an den Sandwiches, findet aber offenbar keinen Geschmack daran und verlässt den Laden wieder. Das spricht nicht für die Qualität der amerikanischen Imbisskette mit Tausenden von Filialen. Denn eigentlich ist der Bär ein Allesfresser und verschmäht so gut wie nichts.

Eigentlich ein Allesfresser

„Manchmal fressen sie auch Touristen“, scherzt Terrance Young, der am Rande des westkanadischen Wells Gray Provincial Park wohnt, in dem viele Bären leben. Der Mechaniker macht natürlich nur Spaß. Denn Menschen gehören nicht zur Beute von Bären. In der Regel sind die mächtigen Tiere scheu und gehen Zweibeinern aus dem Weg. Doch immer mehr Straßen, Siedlungen und Campingplätze zerschneiden ihr Reich. Das macht die Suche nach Futter gerade im Frühjahr zu einem Hindernislauf. Dann erwacht der Petz mit einem Bärenhunger aus seiner Höhle und ist nach der Fastenzeit vor allem mit Fressen beschäftigt.Überwiegend ernährt er sich vegetarisch. Gerne vertilgt er junge Triebe, Gras und auch Blumen. Die wachsen vor allem auf den Grünstreifen entlang der Autostraßen. „Bären lieben Löwenzahn. Die Blume ist sehr schmackhaft“, weiß Expertin Anick Cadieux, die im Banff Nationalpark arbeitet. Im Frühjahr und Frühsommer sind Bären in der Dämmerung an den Straßenrändern recht häufig zu beobachten. Auch entlang viel befahrener Verkehrswege wie dem Trans-Canada Highway oder dem berühmten Icefields Parkway. Diese Straße in der Provinz Alberta führt durch die Rocky Mountains und gilt als eine der schönsten Bergstrecken Nordamerikas.

Verkehrsstaus durch Bären

Tausende von Touristen sind hier täglich ab dem Frühjahr unterwegs. Für viele von ihnen ist es das Größte, einen Bären in der freien Natur zu beobachten. Oft kommt es zu „Bear jams“, durch Bären verursachte Verkehrsstaus. Alltäglich wiederholen sich Szenen wie diese: Nahe dem Touristenort Jasper mampft ein Schwarzbär auf einer Wiese nahe der Straße frisches Gras und Blumen. Sofort stoppen mehrere Autos und die Insassen gehen fotografierend auf das Tier zu. Immer wieder linst der Bär zu den immer näher kommenden Menschen hinüber. Dann wird es ihm ungemütlich und er verschwindet genervt im Unterholz. Cadieux warnt vor so einem leichtsinnigen Verhalten. Bären mögen es gar nicht, wenn man ihnen zu dicht auf den dicken Pelz rückt. Vor allem wollen sie nicht beim Fressen gestört werden, schon gar nicht wenn sie Junge haben. Bären sind unberechenbar. Schnell kann aus dem friedlich grasenden Tier ein wutschnaubender Angreifer werden.

100 Meter Abstand halten

Autofahrer sollten einen Abstand von mindestens 100 Metern halten und niemals aussteigen, mahnt Anick. Am besten gleich weiterfahren, um die Tiere nicht zu beunruhigen. Auch wenn es schwerfällt. Wanderer und Radfahrer sollten nur gekennzeichnete Wege benutzen und sich bemerkbar machen. „Lassen sie den Bären wissen, dass Menschen in der Nähe sind“, sagt Anick. Dann hat das Tier Zeit, sich zurückzuziehen. „Viel Lärm machen und rufen, singen oder in die Hände klatschen“, empfiehlt sie. Was aber tun, wenn es zu einer Begegnung mit einem Bären kommt? Man braucht starke Nerven, um die Ratschläge der kanadischen Parkverwaltung umzusetzen: „Sprechen Sie ruhig und bestimmt mit dem Bären. Dadurch merkt er, dass Sie ein Mensch sind und kein Beutetier.“ Man sollte keinen Blickkontakt aufnehmen und langsam rückwärts gehen. Weglaufen ist zumeist zwecklos, da der Bär kurzzeitig schneller rennen kann als ein Pferd. „Angriffe von Bären sind aber selten“, beruhigt Anick Cadieux. Viel häufiger werden Touristen von Hirschen angegriffen und verletzt. Um die Camping- und Rastplätze bärenfrei zu halten, finden sich überall in Kanada einzementierte Müllcontainer, die nur von Menschen geöffnet werden können.

Ein Bad im Schwimmbecken

Manchmal dringen Bären auch in Wohnhäuser ein, wenn es dort lecker riecht. Wie in der westkanadischen Kleinstadt Lillooet. Hier fühlte sich ein Tier vom Duft einer deutschen Bäckerei angezogen. Er verschlang mehrere Vollkornbrote und plünderte die Tiefkühltruhe mit den Rumkugeln. Wohl etwas angesäuselt nahm der schmuddlige Bär danach noch ein Bad im Schwimmbecken. „Das Wasser war danach ganz braun“, erinnert sich Bäckersfrau Elke Sterrmann.

 

Wichtige Verhaltensregeln in Gebieten mit Bären

Camping: Alle (!) Abfälle in bärensicheren Containern entsorgen. Nicht im Zelt kochen und Kleidung nach dem Kochen umziehen. Manche Zeltplätze bieten Container an, in denen Lebensmittel gelagert werden können. Ansonsten Nahrung hundert Meter vom Zelt entfernt vier Meter hoch auf einen Baum hängen.
Radfahrer: Besondere Vorsicht an unübersichtlichen Stellen wie Kurven, Kuppen oder bei dichter Vegetation.
Wandern: Auf den markierten Wegen bleiben. Am besten zu mehreren laufen und beieinander bleiben. Laut reden, singen, in die Hände klatschen. Vor allem, wenn Bäche in der Nähe sind. Hunde unbedingt an die Leine. Immer Bärenspray mitführen.
Autofahrer: Verkehrschilder, die Wildwechsel anzeigen, beachten. Tempo reduzieren und erhöhte Aufmerksamkeit. Vorausschauend fahren, die Fahrbahnränder im Auge behalten. Besondere Vorsicht in der Dämmerung. Dann sind besonders viele Tiere unterwegs, nicht nur Bären. Einen Abstand von 100 Metern halten und am besten langsam weiterfahren – auf keinen Fall aussteigen.


REISEINFOS

Saison zur Bärenbeobachtung: Die beste Zeit, um die kanadischen Bären entlang der Straßen zu sehen, sind die Monate Mai und Juni. Im Herbst kann man großen Tiere auch an Flüssen beim Lachsfangen beobachten.
Reise-Tipps: Reisen nach Kanada bieten u. a. Dertour, Meier’s Weltreisen und die Alpinschule Innsbruck – nähere Auskünfte in ihren Reisebüros. Dertours hat zwei mehrtägige Naturexkursionen zur Beobachtung von Bären und anderen Wildtieren im Programm. Ausgangspunkt sind abgelegene, schwimmende Lodges in Westkanada, die mit Wasserflugzeugen zu erreichen sind.
Kombi-Angebote: Eine Autorundreise ist mit einer Bahnfahrt mit dem komfortablen Rocky Mountaineer kombinierbar. Die Strecke zwischen Calgary bzw. Jasper und Vancouver zählt zu den landschaftlich schönsten in Nordamerika.

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