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Betancourt - Kraft aus Glauben geschöpft

Eine Woche nach ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft im kolumbianischen Dschungel bemüht sich Ingrid Betancourt um Vergebung für ihre Peiniger. "Ich bin im Prozess des Verzeihens", sagte die Politikerin in einem Interview.

Daher wolle sie sich auch noch nicht über Details ihrer Zeit in der Gewalt der FARC-Guerilleros äußern.

“Wenn ich zu früh darüber spreche, könnte ich Gefühle der Wut vermitteln, was ich nicht will”, sagte die ehemalige Präsidentschaftskandidatin, die 2002 während einer Wahlkampfreise verschleppt wurde. Während ihrer Gefangenschaft habe sie Kraft aus ihrem Glauben geschöpft, sagte Betancourt. Demnächst wolle sie katholische Kirchen in Frankreich besuchen und vielleicht auch den Vatikan, “um dem Papst Hallo zu sagen”.

Während des Gesprächs in einem Pariser Hotel sagte Betancourt, am schwersten sei nicht der körperliche Schmerz, sondern die psychische Qual zu ertragen gewesen. Um die Monotonie der Gefangenschaft zu bewältigen und einen kleinen Rest an persönlicher Autonomie zu behaupten, habe sie sich an Routinehandlungen geklammert. Mit Hilfe von Meditationen und dem Schreiben habe sie sich “einen kleinen Raum” verschafft, “in der man etwas Sauerstoff bekommen kann angesichts einer derart aggressiven, bestrafenden Welt”.

Am Wachstum ihrer Haare habe sie das Verstreichen der Zeit gemessen, sagte die 46-Jährige. “Als sie mich entführten, dachte ich, dass es drei Wochen dauern würde. Dann ging Jahr um Jahr vorbei, und ich sah an meinen immer längeren Haaren, wie die Zeit verstrich.” Jetzt erinnere sie ihr langes Haar daran, “dass jeder Zentimeter dieser Haare Leiden bedeutet”. Sie werde sich erst dann die Haare schneiden lassen, wenn alle Geiseln in Kolumbien frei seien. Dies sei ihre Art der Botschaft an die verbliebenen Geiseln, dass sie sie nicht vergessen habe.

Sie habe seit ihrer Freilassung viel geweint, fühle sich aber psychisch stabil, sagte Betancourt. In ihrer neuen Freiheit seien es die kleinen Dinge des Alltags, die oft am schwersten zu verkraften seien. Das fange schon damit an, dass sie den Geruch eines Parfüms rieche und von dessen Intensität überwältigt werde.

“Dann hatte ich fast sieben Jahre lang kein heißes Wasser mehr erlebt”, sagte Betancourt. “Es war ein merkwürdiges Gefühl, weil es wehgetan hat.” Die erste Dusche sei für sie wie “ein spirituelles Bad” gewesen, “um alle bösen Erinnerungen loszuwerden, die ich wegspülen wollte”.

Ihre erste Woche wieder in Freiheit habe sie als ein “unglaubliches Überschäumen von Glück” erfahren, erklärte die Mutter einer inzwischen 22-jährigen Tochter, Mélanie, und eines 19-jährigen Sohns, Lorenzo. Die Ärzte hätten sie gewarnt, sie solle auf Hinweise von Schwierigkeiten achten, wenn sie sich wieder an ein ziviles Leben gewöhne, sagte Betancourt, fügte aber hinzu: “Es ist einfach, in die Zivilisation zurückzukommen”.

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