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Berlin: Zwei Kieze voller Energie

Was Kreuzberg und Friedrichshain zu Berlins spannendsten Vierteln macht.

Zwischen Spree und Oberbaumbrücke liegt ein Stück Berlin, das nie stillsteht. Auf den Straßen mischen sich Sprachen, Gerüche und Musik, in den Hinterhöfen wachsen neue Ideen, während die alten Backsteinfassaden Geschichten aus Industriejahren und Hausbesetzerzeiten erzählen. Hier treffen improvisierte Bars auf Designerläden, Streetfood auf Sterneküche, und an fast jeder Ecke hängt ein Stück Kunst an der Wand. Einer dieser Orte, an dem sich viel davon bündelt, ist das RAW-Gelände. Die ehemaligen Bahnhallen sind heute ein offenes Areal für Kunst, Kultur und Nachtleben. Tagsüber rollen Skateboards über Rampen, Künstler arbeiten an Wandbildern, in den Werkstätten klirren Werkzeuge. Abends verwandeln sich die Hallen in Clubs, Bars und Konzertbühnen, und die Luft füllt sich mit Bass und Stimmen.

©Beate Rhomberg

Kreativität an den Hauswänden

Hier beginnt auch unsere Street-Art-Tour mit Amanda, die uns von diesem kreativen Zentrum aus durch Kreuzberg und Friedrichshain führt. Zwischen bunten Murals, politischen Slogans und versteckten Arbeiten in Hinterhöfen erzählt sie von den Menschen hinter den Bildern, den wechselnden Stilen und den Geschichten, die in Farbe auf den Wänden bleiben – oder nach wenigen Tagen wieder verschwinden. Amanda selbst ist auch kreativ. Sie macht Straßenmusik, produziert Songs und führt regelmäßig Interessierte durch Berlin. Selbst Fassaden zu besprühen, das kommt für sie aber nicht in Frage. „Ich bin da nie dabei, das Risiko eine Strafe zu zahlen ist für mich viel zu hoch“, erzählt die sympatische Wahlberlinerin. Weniger hoch sind die Strafen allerdings für die kleinen Männchen, die man, wenn man genau schaut ab und zu auf Straßenschildern oder an Hausfassaden sieht oder auch die Sticker mit politischen Aussagen, die gerne an Mülleimern, Hauswänden oder Stromkästen angebracht werden. „Hier werden nur 25 Euro für Verschmutzung fällig. Das ist für viele verkraftbar“, erzählt sie.

Von der Oranienstraße zur Spree

Die Tour endet schließlich am Kottbusser Tor. Zwischen Marktständen, Spätis und dem stetigen Kommen und Gehen der U-Bahn zeigt sich ein Stück Kreuzberg in seiner ganzen Vielfalt: laut, dicht, manchmal rau, aber immer lebendig. Von hier aus ist es nur ein kurzer Weg in die Oranienstraße. Erst kürzlich wurde diese vom „Time Out“-Magazin zu den „coolsten Straßen der Welt“ gekührt. Nicht zur Freude der Einheimischen, der wer hier wohnt, hat nicht unbedingt Lust auf neugierige Touristengruppen oder darauf, dass dadurch alles noch teurer wird.

Wer die Spree überquert, taucht wieder in Friedrichshain ein. Am Ufer liegt mit dem Holzmarkt 25 ein völlig anderes Stück Stadt. Auf dem Gelände, das einst als temporäre Nutzung begann, ist ein kleines Dorf entstanden – mit Cafés, Bars, und kleinen Shops. An sonnigen Tagen sitzen hier Berliner und Touristen gleichermaßen an der Spree und genießen das Leben. Gleich dahinter befindet sich einer der berühmten Clubs für elektronische Musik, der „Kater Blau“. Berliner Techno wurde inzwischen schließlich ganz offiziell zum Unesco-Kulturerbe ernannt.

Liebhaberinnen und Liebhaber dieser Musik finden unweit des Holzmarktes eine weitere Institution der Berliner Musikgeschichte: Das Hard Wax. Seit den späten 1980er-Jahren ist der Plattenladen Anlaufpunkt für DJs und Fans elektronischer Musik aus aller Welt. In den Regalen stapeln sich rare Pressungen, Dub-Techno und House, Verkäufer und Gäste fachsimpeln über die neuesten Veröffentlichungen. Der Laden ist mehr als ein Geschäft, er ist ein Stück Clubkultur zum Anfassen.

Blick auf den Sonnenuntergang von der Warschauerstraße. ©Beate Rhomberg

Mehr als nur eine Unterkunft

Unser Quartier während dieser Tage liegt inmitten des Trubels der Warschauer Straße: das Michelberger Hotel. Von außen ein schlichtes ehemaliges Fabrikgebäude, innen ein Ort voller Ideen. Javier zeigt uns ein paar der Zimmer und erzählt dabei von der hauseigenen Farm in Brandenburg, die das Restaurant mit saisonalem Gemüse versorgt, von recycelten Materialien beim Umbau und davon, wie es dazu kam, dass es im Hotel hauseigenes Bio-Kokoswasser zu trinken gibt (in Vorarlberg gibts dieses übrigens im befreundeten Honolulu in Bregenz zu probieren). DIe Zimmer sind individuell gestaltet – die meisten schlicht und reduziert, andere aber auch mit ungewöhnlichen Details. Das Michelberger ist damit nicht nur eine Unterkunft, sondern ein Statement: kreativ, nachhaltig, unkonventionell und nicht zuletzt perfekt für alle, die die Berliner Nächte auskosten wollen. Gleich um die Ecke befindet sich mit dem Berghain der wohl bekannteste Club. Nicht umsonst steigen die DJs gerne im Michelberger ab. Aber auch die Wilde Renate ist nicht weit. Leider einer der Clubs, die demnächst schließen müssen, denn die Szene steht vor großen Herausforderung. Nicht mehr bezahlbare Mieten oder große Bauprojekte machen den Clubbesitzern zu schaffen. Der Begriff „Clubsterben“ steht nicht nur für einzelne Fälle, sondern für einen Trend, der sich in Berlin längst etabliert hat: Gewerbliche Verdrängung durch Gentrifizierung, hohe Betriebskosten und abnehmende Clubbesuche setzen die Szene unter Druck. Und doch wirkt Berlin nicht müde. Solange auf den Fassaden neue Bilder entstehen, an der Spree improvisierte Bühnen aufgebaut werden und in alten Hallen noch immer Basslinien wummern, bleibt die Szene lebendig. Kreuzberg und Friedrichshain verändern sich zwar, doch ihre kreative Energie findet stets neue Räume.

BERLIN

Unterkunft: Für alle, die es unkonventionell mögen: Das Michelberger Hotel in Friedrichshain.
www.michelbergerhotel.com
Essen: Markthalle 9 (z. B. Tempehhof, Do. – Sa.), Michelberger (auch für Externe tolles Frühstück), Ora Berlin
Drinks: Holzmarkt 25, Kaffee bei Classic Speciality Coffee


Kunst im ehemaligen Tacheles

©Beate Rhomberg

Die Fotografiska Berlin hat 2023 im früheren Kunsthaus Tacheles an der Oranienburger Straße eröffnet. Der Bau mit seiner bewegten Geschichte – einst Kaufhaus, später Symbol der Berliner Subkultur uns das letzte besetzte Haus der Stadt – wurde von den Architekten Herzog & de Meuron umgestaltet. Wer den Ort aus früheren Zeiten kennt, wird ob des charakterlosen Konsumtepels erstmal nicht jubeln. Immerhin aber gibt es mit der Fotografiska einen kreativen Ort, an dem, zumindest im Treppenhaus, auch die graffitiversehrten Wände erhalten blieben. Gezeigt werden internationale Ausstellungen mit einem Schwerpunkt auf gesellschaftlich relevanten Themen, etwa Diversität, Identität oder Nachhaltigkeit. Die Öffnungszeiten bis spät in den Abend machen die Fotografiska zu einem Ort, der klassische Museumsgrenzen überschreitet.


Geschichte auf 1,3 Kilometern

Die East Side Gallery in Friedrichshain ist das längste noch erhaltene Stück Berliner Mauer. Auf 1,3 Kilometern haben internationale Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten geschaffen. Klassiker wie der „Bruderkuss“ von Dimitrji Vrubel oder Birgit Kinders Trabant-Motiv sind längst zu beliebten Fotomotiven geworden.


Moderner Genuss im alten Gemäuer

Die Kreuzberger Markthalle Neun wurde 1891 eröffnet und gehört zu den wenigen historischen Markthallen der Stadt, die bis heute erhalten sind. Besonders beliebt ist der „Street Food Thursday“, wenn Köche aus aller Welt ihre Spezialitäten anbieten. Besonders empfehlenswert: Der Tempehhof gleich beim Eingang.


Übernachtungstipp: Michelberger

Ein individuelles, kreatives Hotel mit einer entspannten, künstlerischen Atmosphäre. Die Zimmer sind keine langweilige Standard-Hotelästhetik, sondern echte Unikate – mal minimalistisch, mal verspielt.

Dazu kommt das großartige hoteleigene Restaurant, das auf frische, regionale Zutaten setzt. Vieles kommt sogar von der eigenen Farm in Brandenburg. Viele vegane und vegetarische Optionen, dazu eine entspannte Atmosphäre, ohne zu gewollt zu wirken. Die Lage? Perfekt. Direkt an der Warschauer Straße, mit Clubs, Bars und Cafés in Gehweite. Nachhaltigkeit wird im Hotel - so gut das in einem Hotel eben geht - großgeschrieben. Zum Frühstück gibts deshalb im Sommer beispielsweise keinen Orangensaft, das tut diesem allerdings keinen Abbruch. Auch wer nicht dort übernachten, kann im Michelberger brunchen oder im schönen Innenhof Mittagessen oder Drinks bestellen.

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