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Bagdad: Trotz Leichenfotos wilde Gerüchte

Die Hoffnung von US-Verteidigungsminister Rumsfeld, die blutigen Fotos würden die Iraker vom Tod der Hussein-Brüder überzeugen, hat sich noch nicht erfüllt.

Über schwarzem Kaffe, einer glimmenden Wasserpfeife und einer Partie „Tawila“, der arabischen Variante von Backgammon, ordnen Ali und Nasser im trauten Gespräch ihre Welt, die in den vergangenen Wochen so Besorgnis erregend in Unordnung geraten ist. Die Nachricht vom Tod der verhassten Präsidentensöhne Udai und Kusai Hussein ist zu bedeutend, als dass die beiden Bagdader Schiiten ihr leichtfertig Glauben schenken können – Leichenfotos hin oder her. „Da gibt es viele Möglichkeiten“, raunt Ali seinem Freund Nasser im Kaffeehaus Umm Kulthum vielsagend zu.

Wie den beiden Männern geht es vielen Irakern: Sie glauben nicht, was die Amerikaner sagen. Die Hoffnung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die blutigen Fotos würden die Iraker vom Tod der Hussein-Brüder überzeugen, hat sich noch nicht erfüllt. Die PR-Strategien der Washingtoner Mediendemokratie funktionieren nicht im Irak. Dort haben es Gewissheiten dieser Tage schwer: Bagdad ist die Hauptstadt der Gerüchte.

Wortreich gibt Ali seine Deutungsvariante zum Besten: Die Amerikaner haben Udai und Kusai heimlich außer Landes gebracht. Der ganze Krieg war ein abgekartetes Spiel zwischen Saddam Hussein und George W. Bush, ist der 52-Jährige überzeugt – der schnelle Fall Bagdads beweise das doch ganz klar. Nun zahlen die Amerikaner fürstliche Apanagen an Saddam Hussein, damit dieser den Widerstand gegen die US-Truppen schürt und ihnen damit einen Vorwand zum Bleiben verschafft. Für Ali geht die Gleichung glasklar auf: Saddam bekommt Geld, und die Amerikaner bekommen Öl.

Dass viele Iraker solchen obskuren Theorien Glauben schenken, ist eine Spätfolge der Diktatur. Denn in den Staatsmedien fand jahrzehntelang kein freier Meinungsaustausch statt: Die Menschen wussten, dass sie belogen werden und dass Wahrheit etwas anderes ist, als in offiziellen Verlautbarungen verkündet wird. In dieser Situation des Misstrauens gegenüber staatlich verordneter Realität verbreiten sich Gerüchte in der Gesellschaft so leichtfüßig wie die Wanderdünen in der irakischen Wüste – und so kommt kaum eine politische Diskussion in den Kaffehäusern, Basaren oder Straßen des Irak und anderer autoritär regierter Länder der arabischen Welt ohne den überzeugt vorgebrachten Verweis auf „el Muamara“ aus, auf die „Verschwörung“ dunkler Mächte, die im Hintergrund zum Nachsehen des Volkes die Fäden ziehen.

Die Geschichte der großen Verschwörung zwischen Bush und Saddam hat auch den Weg in das Haushaltswarengeschäft von Fallahan Hassan im Bagdader Stadtteil Karrada gefunden. Für gutes Geld verkauft Fallahan in der derzeitigen Sommerhitze Kühlschränke und Wasserkühler. Politische Kommentare zur aktuellen Lage gibt er seinen Kunden gratis mit auf den Weg. „Saddam ist ihr Geheimagent“, flüstert er, nachdem gerade zwei US-Soldaten seinen Laden verlassen haben. „Warum ist Bagdad in 20 Tagen gefallen, und Saddam nach drei Monaten immer noch nicht verhaftet?“

Die US-Soldaten haben es schwer, gegen die Gerüchte anzukommen. Auf dem Nährboden des Misstrauens breitet sich der gewalttätige Widerstand immer weiter aus. Beschränkten sich die Angriffe gegen US-Soldaten zunächst auf das „sunnitische Dreieck“, das Bollwerk der Saddam-Hussein-Anhänger zwischen den Städten Bagdad, Ramadi und Tikrit, griffen die Gewalttätigkeiten nun auch auf das kurdische Nordirak über. Drei Soldaten starben am Donnerstag bei einem Überfall nahe Mossul, einer Stadt, deren kurdische Bevölkerung unter der Herrschaft Saddam Husseins besonders gelitten hat. Mossul spielt auch eine prominente Rolle im jüngsten Gerücht: Saddam Hussein soll sich dort versteckt halten, wie die türkische Zeitung „Hürriyet“ berichtete.

Bericht: Von mehr als 20 Kugeln getroffen

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