AA

Ausstellung „Geschichte der NS-Euthanasie im Bregenzerwald 1939-1945“

Am 10. April 1938 stimmten 99,73 % der stimmberechtigten Österreicher/innen in einer Volksabstimmung für den sog. Anschluss Österreichs an NS-Deutschland. 99,02 % der stimmberechtigten Deutschen sagten in diesem Plebiszit „Ja“ zum sog. Anschluss. In Vorarlberg stimmten 98,1 % der zur Abstimmung zugelassenen Bürger/innen mit „Ja“. Im Bezirk Bregenz 96,7 %. In Erinnerung an den 70. Jahrestag dieser „Volksabstimmung“ eröffnet das Heimat Egg Museum am 10. April 2008 um 20.00 Uhr im sog. Vereinshaus in Egg (Alte Schule) eine Ausstellung. Diese Ausstellung erinnert an eine der vielen schrecklichen Folgen, welche die NS-Diktatur für Vorarlberg und ganz Europa hatte: Tod und Verstümmelung für tausende psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Menschen.

Opfer der NS-Euthanasie 1939-1945 in Deutschland und Österreich und Vorarlberg

Bis zu 400.000 psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Menschen wurden zwischen 1939 und 1945 zwangssterilisiert. Zumindest 360.000 in Deutschland, zwischen 5.000 und 10.000 in Österreich. Bis zu 100 in Vorarlberg.

Bis zu 300.000 psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Menschen wurden zwischen 1939 und 1945 im Zuge der nationalsozialistischen sog. „Euthanasie“ ermordet. Das Gros davon in Deutschland, mehrere Zehntausend in Österreich.

In Vorarlberg wurden bis zu 400 psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Männer, Frauen und – Kinder durch die NS-Euthanasie, die sog. Aktion T 4 ermordet! Unter diesen Opfern waren 70 Prozent der Patient/inn/en der sog. Gau-Heil- und Pflegeanstalt Valduna in Rankweil. Sie wurden in Niedernhart und Hartheim in Oberösterreich durch Gas oder in sog. Pflegeanstalten in Tirol und in Bayern durch falsche Medikation oder Unterernährung umgebracht.

Intention, Inhalt und Dauer der Ausstellung

Die Ausstellung im Heimat Museum Egg dokumentiert die Geschichte des staatlichen Mordens und Verstümmelns an und von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen in Deutschland und in Österreich. Sie schildert weiters die Ereignisse in Vorarlberg und vor allem im Bregenzerwald. (Siehe dazu die Datentafel zur Geschichte der NS-Euthanasie im Anhang!)

Die Ausstellung ist von 10. April 2008 bis 30. Juni 2008 geöffnet. Sie entstand in Kooperation des Heimat Egg Museum mit dem Institut für Zeitgeschichte der Leopold Franzens Universität Innsbruck, dem Kulturforum Bregenzerwald, dem Vorarlberger Landesarchiv und der Rheticus Gesellschaft – sowie Schulen des Bregenzerwaldes.

Die Schulen des Bregenzerwaldes haben einen wichtigen Teil der Ausstellung, das sog. Bregenzerwälder Opferbuch, gestaltet. In diesem Buch werden die Todesopfer der NS-Euthanasie vorgestellt: Schüler/innen des BORG Egg und der Hauptschulen in Alberschwende, Au und Egg sowie der Allgemeinen Sonderschule Langenegg setzten sich um Zuge eines Projektunterrichtes zur Demokratiepolitischen Bildung mit der Geschichte der NS-Euthanasie und deren Opfern in ihrer Heimatgemeinde auseinander.

Die Opfer der NS-Euthanasie kamen aus 17 der 24 Gemeinden der heutigen Regio Bregenzerwald. Vier dieser 17 Gemeinden wurden bis zur Ausstellungseröffnung in Schulprojekten bearbeitet. Weitere sollen während der Ausstellung erarbeitet werden. Das sog. Bregenzerwälder Opferbuch der NS-Euthanasie ist also ein „offenes“ Buch. Die Kuratoren der Ausstellung hoffen, dass es bis zum Ende der Ausstellung am 30. Juni 2008 ergänzt und neu geschrieben wird.

Opfer der NS-Euthanasie im Bregenzerwald
Von den über 700 Patient/inn/en der ehemaligen „Landesirrenanstalt“ Valduna der Jahre 1938 bis 1941 waren 57 in einer Gemeinde des Bregenzerwaldes geboren.

32 dieser 57 gebürtigen Bregenzerwälder/innen wurden 1941/42 in der NS-Tötungsanstalt in Hartheim ermordet. Sieben weitere dieser Bregenzerwälder/innen starben zwischen 1941 und 1944 im Psychiatrischen Krankenhaus in Hall in Tirol. Zumindest zwei in dessen Außenstelle in Mils. Von Hall ist überliefert, dass dort Menschen durch Unterernährung getötet wurden.

Die hier genannten 41 Bregenzerwälder Valduna Patient/inn/en waren nicht die einzigen Todesopfer der NS-Euthanasie im Bregenzerwald. Weitere kamen in anderen sog. Heil- und Pflegeanstalten um.

Am 27. März 1941 etwa starb ein 38-jähriger Mittelwälder in der NS-Tötungsanstalt Pirna (Sonnenstein) in Sachsen. Am 8. März 1943 starb eine achtjährige Mittelwälderin in der sog. Kinderfachabteilung in Kaufbeuren. Dort wurden hunderte Kinder durch Medikamente oder Unterernährung getötet.

Das Gros der Bregenzerwälder Opfer der NS-Euthanasie kam erst nach einer „Inspektionsreise“ des Leiters der Valduna, Dr. Josef Vonbun, im Februar und März 1941 in die sog. Landesirrenanstalt. Bis dahin wohnten sie in den Versorgungshäusern der Gemeinden.

Über die Hälfte dieser Menschen war zum Zeitpunkt ihrer Abholung zwischen 30 und 60 Jahre alt.

Die häufigste Diagnose unter den Bregenzerwälder Opfern der NS-Euthanasie war mit 28 Nennungen „Schwachsinn“, gefolgt von 18 Nennungen für „Schizophrenie“ und je drei für „Demenz“ und „Epilepsie“.

Derzeit sind 45 Todesopfer der NS-Euthanasie aus dem Bregenzerwald namentlich bekannt. Diese Zahl wird bei weiterer Forschung jedoch nach oben zu korrigieren sein.

17 von derzeit 62 namentlich bekannten Bregenzerwälder Opfern überlebten die NS-Euthanasie.

Kinder als Opfer der NS-Euthanasie in Vorarlberg und im Bregenzerwald

Bis heute ist die Gesamtzahl der im Rahmen der NS-Euthanasie in Vorarlberg ermordeten Kinder nicht bekannt. Von den ermordeten Valduna Patient/inn/en waren acht unter 16 Jahre alt, darunter der fünfjährige Felix aus Andelsbuch.

Felix wurde am 16. Januar 1936 in Schlins als uneheliches Kind geboren. Er war geistig und körperlich behindert. Seine Familie brachte ihn im Marienheim in Bludenz unter. Dieses wurde 1939 geschlossen. Daher wurde Felix 1939 in das Versorgungsheim nach Andelsbuch verlegt. Von dort holte ein Rot Kreuz Auto ihn und einen zweiten Jungen namens Franz am 1. März 1941 ab. Das Auto brachte die beiden in die Valduna.

Am 24. März 1941 wurde Felix in das Psychiatrische Krankenhaus nach Hall in Tirol verlegt. Am 31. August 1942 erhielten die Mutter und die Großmutter von Felix vom Standesamt Hartheim die Mitteilung, dass er „an Lungenentzündung und Herzschwäche“ gestorben sei.

Tatsächlich wurde Felix in der NS-Tötungsanstalt Hartheim ermordet.

Psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Kinder des Bregenzerwaldes wurden nicht nur über die Versorgungsheime an die Valduna abgegeben und später in NS-Tötungsanstalten ermordet. Seit einem Erlass des Reichsministers des Inneren vom 18. August 1939 waren Mediziner/innen und Hebammen verpflichtet, geistig und körperlich behinderte Kinder bei der Behörde zu melden.
Beispiel für die Opfergeschichte eines kleinen Kindes
Am 30. April 1941 zeigte die Hebamme einer Vorderwälder Gemeinde das sechsjährige Mädchen Maria beim Amtsarzt Dr. Theodor Leubner in Bregenz an. Maria war taub und litt angeblich an Schwachsinn. Bereits eineinhalb Jahre zuvor war Maria dem Amtsarzt durch eine andere Person gemeldet worden.

Dr. Leubner leitete die neuerliche Anzeige am 9. Juni 1942 an den sog. Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden in Berlin weiter. Er empfahl die „Aufnahme des Kindes in eine geeignete Anstalt“. Diese Aufnahme sei, so Dr. Leubner, „notwendig und äußerst vordringlich“. Das bestätigte auch der von ihm konsultierte Facharzt Dr. Karl Scharfetter in Bregenz. Am 3. Juli 1942 wurde Maria in die sog. Kinderfachabteilung in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren überstellt.

Am 8. März 1943 teilte der Leiter der Kaufbeurener Anstalt, Dr. Valentin Faltlhauser, Amtsarzt Dr. Leubner schriftlich mit, dass Maria dort an Lungenentzündung gestorben sei.

Tatsächlich wurde Maria in Kaufbeuren Opfer der nationalsozialistischen Kindereuthanasie.

In der sog. Kinderfachabteilung Kaufbeuren wurde weit über das Kriegsende im Frühjahr 1945 hinaus gemordet – bis Anfang Juli 1945.

Eines der letzten Todesopfer der sog. Kindereuthanasie in Kaufbeuren war der Lustenauer Volksschüler Wilhelm. Er starb am 3. Juli 1945 an Unternährung. Bei seiner Einlieferung wog er 47 Kilo. Bei seinem Tod wog er nur mehr 28 Kilo.

Zwangssterilisierung als Teil der NS-Euthanasie – Ein Beispiel aus dem Bregenzerwald

Der Bezirk Bregenz war der erste im sog. Gau Tirol-Vorarlberg, in dem im Frühjahr 1940 Zwangssterilisierung vorgenommen wurden. Bis 1945 traf diese staatlich verordnete Anwendung körperlicher Gewalt mehrere Dutzend Familien in Vorarlberg, bis zu zwei Dutzend davon im Bregenzerwald. Das war nur möglich, weil das medizinische Personal vor Ort mit dem Amtsarzt kooperierte.

Im Juni 1942 etwa erkundigte sich der für den Bregenzerwald zuständige Amtsarzt Dr. Theodor Leubner bei einem Bregenzerwälder Gemeindearzt nach einem angeblich „an erblicher Taubheit“ leidenden 29-jährigen Mann aus einer örtlich angesehenen Familie.

Der Gemeindearzt bestätigte Dr. Leubners Vermutung nicht nur, sondern er verwies auf zwei weitere Mitglieder aus dieser Familie, die behindert seien. Eines war 20 Jahre alt und taub, das andere 18 Jahre alt und „ein Kretin“. Der Gemeindearzt begründete die Behinderungen der drei mit der Verwandtschaft der Eltern. Sie hatten tatsächlich eine gemeinsame Urgroßmutter (sic!).

Dr. Leubner lud die beiden als taub angezeigten Söhne der Familie im August 1942 in das Gesundheitsamt nach Bregenz vor. Nicht jedoch das angebliche „Kretin“. Nach Gutachten der Dorfschule und des Facharztes Dr. Hermann Rösler in Bregenz über die Ursachen der Behinderung beantragte Dr. Leubner beim sog. Erbgesundheitsgericht in Feldkirch die Sterilisierung der zwei jungen Männer. Als Grund führte er „erbliche Taubheit“ an. Am 25. November 1942 wurden die zwei 29 und 20 Jahre alten Männer durch Dr. Hermann Vogl im Spital Mehrerau sterilisiert.

Während diese Bregenzerwälder Familie aufgrund einer Intervention von außen Opfer der nationalsozialistischen „Gesundheitspolitik“ wurde, gab es im Bregenzerwald auch Familien, die sich selbst anzeigten.

Zwangsabtreibung als Teil der NS-Euthanasie – Ein Beispiel aus dem Bregenzerwald

Im September 1942 beantragte eine Bregenzerwälder Mutter beim Amtsarzt in Bregenz die Sterilisierung ihrer 20-jährigen Tochter Elisabeth. Sie war seit der Geburt taub und trotz Besuchs einer Gehörlosenschule in Süddeutschland geistig benachteiligt. Amtsarzt Dr. Leubner hatte bereits ein Jahr zuvor versucht, eine erbliche Taubheit zu konstatieren.

Mittels der Anlegung eines sog. Sippenaktes war Dr. Leubner nun erfolgreich. Neben der Tochter waren auch ein Großvater, ein Onkel und ein Bruder von Elisabeth schwerhörig oder taub. Daher diagnostizierte Dr. Leubner erbliche Taubheit. Das war Voraussetzung dafür, um auf Basis des damals gültigen (und falschen!) Rechtskataloges eine Sterilisierung zu beantragen. Der Facharzt Dr. Hermann Rösler in Bregenz bestärkte den Befund des Amtsarztes. Am 16. September 1942 entschied das sog. Erbgesundheitsgericht in Feldkirch, dem Antrag der Mutter und des Amtsarztes auf Sterilisierung von Elisabeth zuzustimmen. Das Gericht stimmte an diesem Tag noch einem weiteren Antrag der Mutter und des Amtsarztes zu:

Elisabeth war im fünften Monat schwanger. Auf Beschluss des Gerichtes musste sie ihr Kind abtreiben.

Dr. Bruno Rhomberg, Primar am städtischen Krankenhaus in Dornbirn, nahm am 22. September 1942 bei der 20-jährigen Elisabeth die Zwangsabtreibung und Zwangssterilisierung vor. Von Rhomberg ist auch überliefert, dass er an Zwangsarbeiterinnen ebenso staatlich verordnete Abtreibungen vornahmen, so z.B. am 18. April 1944 an der Ukrainerin Klaudia K.

Ein Jahr später wurde einem Bruder von Elisabeth die sog. Eheunbedenklichkeitsbescheinigung untersagt. Denn in der Familie war ja ein Jahr zuvor „erbliche Taubheit“ konstatiert worden. Er beeinspruchte das Eheverbot – und bekam recht. Vater, Mutter und der erstgeborene Sohn dieser Bregenzerwälder Familie waren Mitglied der NSDAP. Der Vater und der erstgeborene Sohn Funktionäre der Ortsgruppe der NSDAP.


Widerstand gegen Mord und Verstümmelung im Zuge der NS-Euthanasie

Zwangssterilisierungen und Mord an psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen konnten nur stattfinden, weil es eine Kooperation zwischen staatlichem, kirchlichem und medizinischem Personal gab. Dasselbe Personal konnte jedoch in einzelnen Fällen Widersetzlichkeiten gegen die NS-Euthanasie zeigen. Durch solche Widersetzlichkeiten wurden Menschen nicht vor Zwangssterilisierungen, aber vereinzelt vor dem Mord in einer NS-Tötungsanstalt bewahrt.

In Andelsbuch wurden Mitte Februar 1941 vom Leiter des Versorgungsheims, Wilhelm Oberhauser, über Auftrag des Bürgermeisteramtes drei Bewohner/innen an das Gesundheitsamt in Bregenz überstellt. Darunter waren die Brüder Konstantin und Peter. Sie wurden durch den Amtsarzt in die Valduna überwiesen.

Wenige Tage später intervenierte Oberhauser in der Valduna für Konstantin. Er wurde daraufhin nach Hause entlassen. Peter hingegen wurde am 17. März 1941 aus der Valduna nach Oberösterreich deportiert. Dort wurde Peter am 10. April 1941 in der NS-Tötungsanstalt Hartheim ermordet.

Der Pfarrer und der Bürgermeister in Schnepfau weigerten sich über ein Dreivierteljahr, dem Amtsarzt in Bregenz die für die Anlegung eines sog. Sippenaktes notwendigen Daten einer Valduna Patientin aus Schnepfau zu übermitteln. Dadurch verhinderten Pfarrer und Bürgermeister die vom Amtsarzt beantragte Zwangssterilisierung der 22-jährigen geistig behinderten Frau kurzfristig. Denn der Amtsarzt benötigte einen vollständigen sog. Sippenakt, wenn er ein Verfahren zur Zwangssterilisierung einleiten wollte.

Nach acht Monaten gaben Pfarrer und Bürgermeister die Daten schließlich doch weiter. Die 22-jährige Schnepfauerin wurde am 14. November 1942 an der Universitätsfrauenklinik in Innsbruck zwangssterilisiert – und anschließend nach Hause entlassen …

Alt-Bürgermeister Josef Moosbrugger aus Bizau, ursprünglich ein überzeugter Nationalsozialist, wurde im Herbst 1941 aus der NSDAP ausgeschlossen. Er hatte die NS-Euthanasie öffentlich verurteilt.

Täter der NS-Euthanasie in und aus Vorarlberg

Die Ausstellung des Heimat Egg Museum schildert nicht nur diese Opfergeschichten, sondern sie stellt auch jene Menschen vor, die dazu beitrugen, dass psychisch kranke, geistig und körperliche behinderte Menschen an die NS-Euthanasie ausgeliefert wurden – die Täter.

Anhand der Biografien je eines Spitals-, Amts- und Gemeindearztes sowie der beiden aus Vorarlberg stammenden Massenmörder erst der Euthanasie und dann des Holocaust, Dr. Irmfried Eberl (Bregenz) und Josef Vallaster (Silbertal), erklärt die Ausstellung, welche Männer hinter diesen Taten steckten.

Im Falle von Josef Vallaster werden dabei auch neue Forschungserkenntnisse über diesen 2007 in Vorarlberg erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordenen Massenmörder vorgestellt.

Anhang – Daten und Fakten zur Geschichte der NS-Euthanasie


30. Januar 1933 Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler.
22. März 1933 Eröffnung des ersten nationalsozialistischen Konzentrationslagers in Deutschland in Dachau bei München.
24. März 1933 Verabschiedung des sog. Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich („Ermächtigungsgesetz“).
14. Juli 1933 Verabschiedung des sog. Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Es tritt mit 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz ist die Grundlage für bis zu 400.000 Zwangssterilisierungen.
18. Oktober 1935 Verabschiedung des sog. Gesetzes zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes („Erbgesundheitsgesetz“).
11. März 1938 Machtübertragung an die NSDAP in Österreich.
12. März 1938 Besetzung Österreichs durch Truppen der deutschen Streitkräfte.
10. April 1938 99,73 % der stimmberechtigten Österreicher/innen befürworten den sog. Anschluss Österreichs an NS-Deutschland in einer Volksabstimmung.
99,02 % der stimmberechtigten Deutschen sagen in diesem Plebiszit „Ja“ zum sog. Anschluss.
In Vorarlberg stimmen 98,1 % der zur Abstimmung zugelassenen Bürger/innen mit „Ja“. Im Bezirk Bregenz 96,7 %.
8. Mai 1938 Weisung von Adolf Hitler zur Errichtung des Konzentrationslagers Mauthausen in Oberösterreich.
25. Juli 1939 Erster dokumentierter Fall der Ermordung eines behinderten Kindes an der Universitätsklinik Leipzig – mit Zustimmung der Eltern. Auftakt der sog. Kindereuthanasie.
10. August 1939 Beginn der Vorbereitungen für die Massentötung von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Erwachsenen in NS-Deutschland, sog. T 4 Aktion.
18. August 1939 Runderlass des Reichsministers des Inneren hinsichtlich der Meldepflicht von Kindern mit angeborener Missbildung und geistiger Unterentwicklung.
Bis 1945 werden den Behörden 100.000 Kinder auf Grundlage dieses Runderlassens gemeldet.
20.000 dieser Kinder sollten ermordet werden.
1. September 1939 Deutscher Überfall auf Polen – Beginn des Zweiten Weltkriegs.
1. September 1939 Verordnung zur Beendigung der Zwangssterilisierungen an psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen.
1. September 1939 Auf diesen Tag rückdatierter sog. Euthanasie-Erlass (Ermordung psychisch kranker, geistig und körperlich behinderter Menschen) von Adolf Hitler vom Oktober 1939.
21. September 1939 Erlass des Innenministeriums zur Verzeichnung aller geistig behinderten Erwachsenen in psychiatrischen Anstalten in NS-Deutschland.
18. Oktober 1939 Erste Massentötungen durch Gas von bis zu 10.000 polnischen psychisch Kranken durch deutsche Besatzungstruppen in den Befestigungsanlagen in Posen (Polen).
ab Oktober 1939 Einrichtung der ersten von rund drei Dutzend sog. Kinderfachabteilungen an deutschen und österreichischen Heil- und Pflegeanstalten sowie Kinderkrankenhäusern.
In diesen werden bis 1945 zwischen 5.000 und 10.000 Kinder durch Injektionen mit Luminal und Morphium-Scopolamin, durch Unterernährung oder Kälte von medizinischem Personal getötet.
14. November 1939 Das sog. Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wird in Österreich per Erlass eingeführt. Es tritt mit 1. Januar 1940 in Kraft.
Auf dessen Basis werden in Österreich bis 1945 zwischen 5.000 und 10.000 Menschen zwangssterilisiert.
Die erste Zwangssterilisierung im Bezirk Bregenz ist für das Frühjahr 1940 dokumentiert.
14. November 1939 Das sog. Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes wird in Österreich per Erlass eingeführt. Es tritt mit 1. Januar 1940 in Kraft.
20. Januar 1940 Beginn der Massentötungen von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen an der seit 12. Oktober 1939 dafür adaptierten Behindertenanstalt Grafeneck in Baden-Württemberg.
8. Februar 1940 Beginn der Massentötungen von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen an der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel.
Leiter der Anstalt ist der in Bregenz geborene Arzt Dr. Irmfried Eberl.
Mai bis Oktober 1940 In Vorarlberg werden insbesondere die Insass/inn/en der Valduna und kommunaler Versorgungshäuser über Meldeblätter erfasst. Diese sind Grundlage für die 1941 beginnenden Deportationen psychisch kranker, geistig und körperlich behinderter Menschen in NS-Tötungsanstalten.
6. Mai 1940 Beginn der Massentötungen von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen an der Tötungsanstalt Hartheim bei Alkoven in Oberösterreich.
Der in Silbertal geborene Josef Vallaster ist dort als „Heizer“ in die NS-Euthanasie involviert.
Juni 1940 Beginn der Massentötungen von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen an der Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna in Sachsen.
19. Juli 1940 Theophil Wurm, evangelischer Landesbischof von Württemberg, protestiert als erster deutscher Bischof in einen Brief an den Reichsinnenminister Wilhelm Frick gegen die NS-Euthanasie.
24. Juli 1940 Errichtung der ersten österreichischen sog. Kinderfachabteilung Am Spiegelgrund in Wien. Bis 1945 werden dort zwischen 700 und 800 Kinder ermordet.
21. November 1940 Beginn der Massentötungen von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen an der Tötungsanstalt Bernburg (Saale).
Leiter der Anstalt ist der in Bregenz geborene Arzt Dr. Irmfried Eberl.
6. Dezember 1940 Der Osservatore Romano berichtet, dass das Heilige Offizium das Töten von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen als verbotene Handlung bezeichnet. Die Nachricht wird auch in der Regionalpresse, etwa am 19. Dezember 1940 im Südtiroler Volksboten, gedruckt.
Januar 1941 Beginn der Massentötungen von psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen an der Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg in Hessen.
10. Februar 1941 Erster Transport von 132 Patient/inn/en der Valduna in Rankweil in die Tötungsanstalt Hartheim in Oberösterreich.
Von den Patient/inn/en der Valduna sterben bis Kriegsende 1945 zwei Drittel, 262 davon werden vergast.
Februar und März 1941 In Vorarlberg werden die von heimischen Ärzten zur Ermordung bestimmten Bewohner/innen der kommunalen Versorgungshäuser in der „Landesirrenanstalt“ Valduna in Rankweil bis Februar 1941 zusammengezogen.
3. August 1941 Der katholische Bischof Clemens August Graf von Galen spricht sich in einer Predigt in Münster öffentlich gegen die Massentötungen an psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen aus.
24. August 1941 Adolf Hitler verfügte die Einstellung der Massentötungen von psychisch Kranken und Behinderten an den hier genannten Anstalten.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden 70.273 Menschen in Deutschland und in Österreich durch die NS-Euthanasie ermordet.
Das Morden ging ab September 1941 unter anderen Decknamen bis 1945 weiter. Ihm fielen weitere rund 200.000 Menschen zum Opfer.
Frühjahr 1942 Die beiden Vorarlberger Dr. Irmfried Eberl und Josef Vallaster werden wie viele andere des Tötungspersonals der NS-Euthanasie beim industriellen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung in Polen eingesetzt.
17. November 1942 Einführung der sog. Hungerkost an vielen Heil- und Pflegeanstalten in Deutschland und in Österreich.
Bis zu 90.000 Menschen sterben an den Folgen dieser staatlich verordneten Unterernährung von Patient/inn/en.
1942-1945 Phase der sog. wilden Euthanasie, in der zehntausende psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Erwachsene und Kinder in Deutschland und in Österreich dezentral durch Medikamente, Unterernährung, Kälte oder im Zuge von Menschenversuchen ermordet werden.
8. Mai 1945 Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa: Zwischen 55 und 60 Millionen Menschen, über die Hälfte davon Zivilist/inn/en, starben in diesem Krieg. Millionen aufgrund der rassistischen Politik der deutschen und österreichischen NSDAP.

Quelle: Univ.-Doz. Mag. Dr. Wolfgang Weber MA MAS Akademischer Politischer Bildner

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Egg
  • Ausstellung „Geschichte der NS-Euthanasie im Bregenzerwald 1939-1945“