Während man in Österreich und Deutschland ausschließlich von einer „Vertreibung“ spricht – auch das Wort „Verbrechen“ wird in diesem Zusammenhang verwendet -, ist in Tschechien nur von „odsun“ („Abschiebung“) die Rede. Das Wort für „Vertreibung“ kann man aus dem Munde tschechischer Politiker oder Diplomaten praktisch nicht hören. Akzeptabel ist für sie vielleicht noch der Begriff „Aussiedlung“. In Bezug auf die „Verbrechen“ räumt die offizielle tschechische Politik bloß „Exzesse“ im Laufe der „harten Abschiebungen in den ersten Wochen und Monaten nach Kriegsende“ ein.
Für die tschechische Seite handelt es sich zudem um eine abgeschlossene Angelegenheit, die die künftigen Beziehungen Tschechiens zu Österreich und Deutschland nicht belasten sollte. Die „Dekrete des Präsidenten“ – der Formulierung „Benes-Dekrete“ weicht die offizielle tschechische Diplomatie übrigens aus – seien ein Bestandteil der Gesetzgebung. Deshalb könne man sie nicht aufheben. Allerdings seien sie schon „erloschen“. Und wenn man sie irgendwie beurteilen wollte, dann müsse man berücksichtigen, was davor geschehen sei. Gemeint sind hier das Münchner Abkommen vom September 1938, auf Grund dessen die damalige Tschechoslowakei ihre Grenzgebiete an Deutschland abtreten musste, sowie der Zweite Weltkrieg.
In der Wahrnehmung des gesamten Problems kam es in Tschechien in den letzten Jahren zudem zu einer merkwürdigen Entwicklung: Wenn die Rede von den Sudetendeutschen war, sprach man in den 90-er Jahren in Prag über „Deutschland und Österreich“. Nun ist die Reihenfolge oft umgekehrt: “Österreich und Deutschland“ – eine offensichtliche Reaktion auf den verstärkten Druck aus Wien nach dem Antritt der ÖVP/FPÖ-Regierung.
Was sich in den Köpfen der meisten Tschechen abspielt, wenn man auf die sudetendeutsche Frage zu sprechen kommt, kann man am einfachsten mit dem Satz beschreiben: „Wir haben nicht damit begonnen“. Die „Abschiebung“ sei eine Folge des Krieges gewesen, den die Deutschen entfacht hätten. Die ersten, die aus dem Sudetenland vertrieben worden seien, seien 1938 die Tschechen gewesen. Die Sudetendeutschen hätten doch „Heim ins Reich!“ geschrien – also hätten sie nur bekommen, was sie gewünscht hätten.
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