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Athen und Gläubiger erzielen Einigung zu drittem Rettungspaket

Weiteres Sparpaket und Privatisierungen "winken"
Weiteres Sparpaket und Privatisierungen "winken"
Griechenland und seine Geldgeber haben sich im Grundsatz auf ein weiteres Reformpaket geeinigt, bestätigen am Dienstag Regierungsvertreter in Athen und eine Sprecherin der EU-Kommission. Das sollte die Basis für eine weitere Finanzhilfe sein. Laut Vertretern der griechischen Regierung wird die Hilfe 85 Mrd. Euro innerhalb von drei Jahren betragen.

Außerdem sollen die Banken des Landes kurzfristig mit zehn Mrd. Euro gestützt werden, sagte ein Vertreter des Finanzministeriums in Athen. Die Rekapitalisierung der Banken soll Ende 2015 abgeschlossen sein.Griechenland hat zugesagt, heuer einen “Primärüberschuss”, also einen Budgetüberschuss ohne Zinszahlungen, von 0,25 Prozent des BIP zu erwirtschaften. Dieser Überschuss soll 2016 auf 0,5 Prozent steigen und in den Folgejahren auf 1,75 und 3,5 Prozent. Ein unabhängiger Privatisierungsfonds soll entstehen, in den 50 Mrd. Euro fließen sollen. Drei Viertel dieser Mittel sollen für die Rekapitalisierung der Banken und den Abbau von Staatsschulden verwendet werden.

Athen muss lange Liste von Forderungen erfüllen

Bauern sollen weniger Steuerausnahmen erhalten, Steuerschulden sollen rascher zurückfließen, Steuervorauszahlungen sollen beschleunigt, Reeder höher besteuert werden. Die Solidarsteuer von Besserverdienern (50.000 bis 100.000 Euro im Jahr) soll von 4 auf 6 Prozent steigen.

Auch sollen Frühpensionen eingeschränkt werden. Geschäfte sollen künftig an Sonntagen offen haben, Ausverkaufsperioden eingeführt werden. Die Liberalisierung des Gasmarktes, aber auch von Apotheken, Bäckereien und dem Milchmarkt steht auf dem Programm.

Weitere Punkte sind eine Modernisierung der Regeln für Tarifverhandlungen, Streiks und Massenkündigungen, die Beseitigung der politischen Einflussnahme im Finanzsektor, die Modernisierung und Entpolitisierung der griechischen Verwaltung und eine Senkung der Kosten.

Bei Investoren kam die vorläufige Einigung gut an. Griechische Staatsanleihen sind stark gestiegen. Im Gegenzug ging es mit den Renditen deutlich nach unten. Am späten Vormittag fiel die Rendite für Staatspapiere mit einer Laufzeit von zehn Jahren um 0,86 Prozentpunkte. Der Zinssatz erreichte bei 10,25 Prozent den tiefsten Stand seit Mai.

Parlamentsabstimmung voraussichtlich Donnerstagabend

Die Maßnahmen werden am Dienstag ab 18.00 Uhr in den EU-Gremien beraten. Sie müssen – voraussichtlich Donnerstagabend – im griechischen Parlament beschlossen werden. Auf dieser Basis könnten die Finanzminister der Euro-Länder am Freitag grünes Licht geben. In einigen Mitgliedsländern sind noch nationale Beschlüsse nötig – im österreichischen Nationalrat könnte am Montag der ESM-Unterausschuss einberufen werden, wenn alle Entscheidungen davor glatt über die Bühne gehen.

Arbeit an Details nötig

Für das dritte Hilfspaket für Griechenland ist noch Arbeit an Details nötig, sagte Finnlands Finanzminister Alexander Stubb am Dienstag auf Journalistenfragen. “Wir müssen einen Schritt nach dem anderen machen. Einigung ist ein großes Wort”. Die finnische Regierung werde im Laufe der Woche über ihre Position nachdenken. Finnland hatte vorige Woche gedroht, das Hilfspaket nicht mitzufinanzieren. Stubb verlangte, dass der Internationale Währungsfonds IWF am Hilfspaket teilnimmt. Griechische Anleihenlaufzeiten könnten verlängert werden, ein Schuldenschnitt komme aber nicht in Frage.

Griechenland kann bereits auf zahlreiche Sparmaßnahmen in den vergangenen Monaten verweisen. Das Mehrwertsteuersystem wurde gestrafft, die Steuerbemessungsgrundlage erweitert. Das Pensionssystem wurde bereits nachhaltiger gestaltet. Das Statistikamt Elstat ist nun unabhängig.

Fiskalpakt-Regeln ermöglichen quasi automatisch Ausgabenkürzungen bei Abweichungen von den Sparplänen. Auch Gerichtsverfahren wurden beschleunigt und kostengünstiger gemacht, die EU-Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten wurde umgesetzt.

Kern des Hilfspakets: Primärüberschuss, Schuldentragfähigkeit

Mit der Rettung finanzschwacher Mitgliedsstaaten haben die Europäer inzwischen Erfahrung. Die Liste umfasst Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Zypern – wobei Griechenland die Europäer seit 2010 immer wieder neu beschäftigt. Beim Aushandeln von Hilfskonzepten kommt einem “magischen Dreieck” von Zielgrößen eine zentrale Rolle zu: Primärsaldo, Schuldentragfähigkeit und Wachstum:

Primärüberschuss

Allen Krisenländern ist gemein, dass sie aus eigener Kraft finanziell nicht mehr über die Runden kommen. Als wichtiger Maßstab für die Beurteilung der Staatsfinanzen eines Landes hat sich bei Geldgebern der Primärsaldo im Budget eingebürgert. Er gibt an, wie sich die Einnahmen eines Landes zu den Ausgaben verhalten – ohne Einberechnung der Zinsausgaben auf Kreditschulden.

Ein Primärüberschuss weist die Fähigkeit eines Landes aus, daraus zumindest einen Teil seiner Kreditzinsen zahlen zu können, ohne sich dafür weiter zu verschulden. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Schuldenentwicklung unter Kontrolle zu bringen. In welchem Maße das gelingt, ist allerdings von zahlreichen Faktoren abhängig, etwa von der Höhe der Schulden und auch der Zinsen selbst.

Griechenland hat sich nach Angaben seiner Regierung mit den Geldgebern darauf einigt, einen Primärüberschuss von 0,5 Prozent im nächsten und 1,75 Prozent 2017 zu schaffen. Ob es bei den zuletzt geplanten mittelfristig anvisierten 3,5 Prozent bleibt, ist noch unklar. Einen Primärüberschuss in dieser Höhe erreicht momentan kein einziges EU-Land. Auch Deutschland, das sich gerne als Musterknabe gibt, schaffte das in den vergangenen fünf Jahren nicht und erreichte 2014 eine Quote von 2,4 Prozent. Für den Weg aus den Schulden haben die Griechen jedenfalls zumindest kurzfristig etwas Luft erhalten.

Schuldentragfähigkeit

Ein zweiter Schlüsselbegriff bei allen Rettungsbemühungen ist die Schuldentragfähigkeit. Eine allgemeingültige Zahl dafür, bis zu welcher Schuldenhöhe man davon ausgehen kann, dass ein Land die Zinsen und Rückzahlungen dafür verlässlich und auf Dauer leisten kann, gibt es nicht. Das hängt immer vom Einzelfall ab. Denn dafür ist nicht nur wichtig, wie hoch die Schulden eines Landes und seine Schuldendienste gemessen an seiner Wirtschaftsleistung sind. Eine Rolle spielen auch die Exporterlöse eines Landes, seine Wachstumschancen, die Entwicklung am Arbeitsmarkt und die Struktur der Wirtschaft.

Für Griechenland bejahte der Internationale Währungsfonds (IWF) im Rahmen des zweiten Hilfskonzeptes die Schuldentragfähigkeit auf Basis der Ziele, dass die Schulden bis 2022 von einem Spitzenwert von knapp 180 Prozent auf unter 110 Prozent gedrückt werden können. Inzwischen fürchtet der Fonds einen Spitzenwert von rund 200 Prozent und eine Schuldenquote von 170 Prozent 2022. Nicht mehr tragfähig, lautet daher sein Urteil. Gelöst ist das Problem noch nicht. Dafür gibt es auf den ersten Blick nur zwei Optionen: entweder die Gläubiger erlassen dem Land die Rückzahlung auf einen Teil der Kredite oder sie strecken Rückzahlung zeitlich derart lange und verbilligen die Zinsen, dass Griechenland das leisten kann.

Wachstum

Am Ende führt der Weg aus der Malaise für Krisenländer nach Meinung der überwiegenden Zahl von Experten nur heraus, wenn sie wieder auf Wachstumskurs kommen, neue Jobs entstehen und die staatlichen Einnahmen wieder mehr Spielraum geben. Griechenland belegt gerade, weshalb. Ohne Wirtschaftswachstum wird das Verhältnis von Schulden zur Wirtschaftsleistung ungünstiger, selbst wenn sich sonst gar nichts ändert. Dass das Land, das bereits beispiellose Sparrunden hinter sich hat, nun weiter kürzen muss, hängt vor allem daran, dass die Wirtschaft nach einem kleinen Zuwachs 2014 in diesem und im nächsten Jahr wohl wieder schrumpft. Damit muss das fragile Krisenhilfe-Konzept neu justiert werden. Was an Schulden gestern noch von den Geldgebern als tragfähig gesehen wurde, ist es heute nicht mehr. Erst wenn das Land wieder auf Wachstumskurs kommt, rücken solche Perspektiven etwas näher. (APA/dpa)

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