Ziel eines neuen Hilfsprogramms müsse sein, die Belastungen für die Bevölkerung gerechter zu verteilen. “Arbeitnehmer und Rentner können keine zusätzlichen Lasten akzeptieren”, sagte Tsipras. Die bisherigen Programme seien zur Rettung der Banken verwendet worden. “Sie kamen nicht beim Volk an”, sagte er. “Mit keiner Reform wurde die Funktionsfähigkeit der Staatsmaschine verbessert.”
Laute Proteste im EU-Parlament
Tsipras erster öffentlicher Auftritt vor dem Europaparlament spaltete wie erwartet das Plenum. Vor allem von Linkspolitiker wurde der Grieche betont herzlich empfangen und mit Applaus bedacht, zahlreiche Abgeordnete hielten “Oxi”-Schilder (griechisch für “Nein”) in die Höhe. Andere Parlamentarier, vorwiegend aus dem konservativen Lager, bedachten Tsipras hingegen mit lautstarkem Protest.
Arbeitslosigkeit soll bekämpft werden
Die griechische Regierung werde “in den nächsten Tagen die entscheidenden Fragen beantworten”, versprach der griechische Premier, der in seinen Reformvorschlägen auch vor dem EU-Parlament einmal mehr vage blieb. Entscheidend sei, dass die “Lasten der Reformprogramme gleich verteilt werden”, forderte er: “Die Arbeitnehmer und Pensionisten vertragen keine zusätzlichen Lasten mehr”, vielmehr müssten die mittleren und oberen Schichten sowie die Unternehmen beitragen. Es brauche “ein zukunftsgerichtetes Wachstumsprogramm”, höchstes Ziel sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
“Sind Versuchslabor für Sparpolitik”
Bisherige Reformvorschläge der Gläubigerinstitutionen hätten jedoch nichts dazu beigetragen, dieses soziale Ungleichgewicht zu beheben, monierte Tsipras. Zudem seien die Gelder nie bei den griechischen Bürgern angekommen, “sie wurden zur Rettung der griechischen und europäischen Banken verwendet”. Griechenland sei “zum Versuchslabor für die Sparpolitik geworden, dieser Versuch ist fehlgeschlagen”, sagte er. Einmal mehr forderte Tsipras Verhandlungen über einen griechischen Schuldenschnitt. Griechische Medien, die im Vorfeld des Referendums “Druck ausgeübt haben” bezichtigte er des “Terrorismus”.
Zugleich signalisierte der griechische Premier aber Handlungsbereitschaft: Man sei aber durchaus “interessiert an realistischen Reformen”, sagte er. Diese müssten vor allem an der Korruption und dem Klientelismus ansetzen, “auf dem der griechische Staat aufgebaut ist”. Er versprach ein “effizientes Vorgehen” mit einer verbesserten Steuereintreibung, der Bekämpfung von Kartellen und einer verbesserten öffentlichen Verwaltung als “Prioritäten”.
Juncker gibt sich zurückhaltend
EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gaben sich zu Beginn der Sitzung betont zurückhaltend. Juncker erklärte lediglich das Beispiel Griechenland dürfe nicht “dazu führen, die Hände in den Schoß zu legen, nein im Gegenteil, wir müssen die Wirtschafts- und Währungsunion vertiefen”. Tusk betonte wie bereits nach Ende des Euro-Gipfels am Dienstagabend, die Frist für Griechenland verstreiche “diese Woche” und forderte alle zur Zusammenarbeit auf, um ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zu verhindern.
“Haben kein Vertrauen mehr in Sie”
Härter Gegenwind schlug Tsipras von einem Teil der EU-Parlamentarier entgegen: Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, warf dem Griechen angesichts fehlender, konkreter Reformvorschläge vor, das Vertrauen in Europa zu zerstören. Auch “der Rest Europas hat kein Vertrauen mehr in Sie”, fügte er hinzu. “Sie spalten Europa und wir lieben Europa, ich hoffe, dass Sie zur Vernunft zurückkehren und endlich ein Programm vorlegen.” Auch der Vorsitzende der Liberalen (ALDE) Guy Verhofstadt rief Tsipras auf, “in den nächsten 48 Stunden ein glaubwürdiges Reformprogramm und einen Zeitplan” vorzulegen und endlich Steuerprivilegien für Reeder, das Militär, die orthodoxe Kirche aber auch die griechischen Inseln oder politische Parteien abzuschaffen.
Enttäuscht gaben sich auch die Grünen. Sie sei mit dem “naiven Wunsch” hierhergekommen, “der Tsipras kommt jetzt und wird sagen, so wird ein gerechteres Rentensystem aussehen, so wird ein gerechtes Steuersystem aussehen, so wird das Gesundheitssystem aussehen, damit wir keine Armenklinken mehr brauchen, so hätten Sie dafür sorgen können, dass die Europäer mit Ihnen mitgehen”, sagte die Grünen-Vorsitzende Rebecca Harms.
Le Pen: “Endlich Zeit, den Euro aufzulösen”
Verständnis zeigte hingegen die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen: Kein Volk hätte fünf Jahre lang den Weg akzeptiert, den das griechische Volk hinter sich habe, betonte sie. Tsipras müsse jedoch erkennen, dass Euro und Sparpolitik “siamesische Zwillinge” seien: “Sie können nicht die Sparpolitik bekämpfen, wenn Sie nicht aus dem Euro austreten”. In Wahrheit habe Europa nur deshalb Angst vor einem Grexit, weil dann sichtbar würde, das ein Austritt aus der Eurozone möglich wäre und es “endlich Zeit ist, den Euro aufzulösen”, unterstrich Le Pen.
“Wir Sozialisten werden niemals einen Grexit akzeptieren”, widersprach hingegen Gianni Pittella, Fraktionsvorsitzender der europäischen Sozialdemokraten. Stattdessen müsse man an eine europäische Kreditgeberkonferenz denken, “wo wir auch den Schuldenschnitt ansprechen”.
(APA)
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