Assistierter Suizid: Kritik an Alternativlosigkeit in Medien
Eine Kritik, die Thomas Niederkrotenthaler teilt. "Die Geschichte, die hier erzählt wird, zeigt ja doch den assistierten Suizid als eigentlich alternativlos und vor allem als einzige Möglichkeit, würdevoll zu sterben", kritisierte der Suizidforscher am Zentrum für Public Health an der MedUni Wien das am Dienstag publizierte Interview mit Glattauer. Es gebe viele Beispiele, wo auch andere Wege gefunden wurden, um würdevoll zu sterben. Solche würden sich etwa im Buch "Gut gelaufen" finden, in dem die Palliativmedizinerin Eva Masel von ihrem Arbeitsalltag berichtet.
Berichte und Statements vonseiten der Palliativmedizin oder der Hospizbewegung vermisst aktuell auch Marboe, wie er im Gespräch mit der APA sagt. Denn gerade im Qualitätsjournalismus müsse die andere Seite ebenso Gehör finden, denn grundsätzlich sei nichts gegen die Thematisierung der Option assistierter Suizid einzuwenden, noch würde er diese Option ablehnen. Werde sie aber wie in diesem Fall mehr oder weniger als die Lösung angeboten, dann entstehe ein "Nachahmungseffekt", so der Mitautor des 2021 erschienenen "Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid" des Vereins Kriseninterventionszentrum. Zudem könne die aktuelle Berichterstattung den Eindruck entstehen lassen, es gebe eine pauschale Antwort auf die substanzielle Frage nach Leben und Tod.
Leitfaden für medialen Umgang
Der angesprochene Leitfaden nimmt jedenfalls Stellung zum medialen Umgang mit dem assistierten Suizid und stellt dabei grundsätzlich fest, dass die "gleichen Prinzipien wie generell in der Berichterstattung über Suizid" gelten würden. Zu Berichten über den assistierten Suizid heißt es weiter, wenn diese einen solchen als "verständlichen Schritt und geeignete Lösung" beschreiben, berge dies die Gefahr, "andere Menschen in gänzlich anderen Lebenssituationen zur Nachahmung zu motivieren", wie auch die Gefahr, so einen sozialen Druck zu generieren.
Eine mögliche Ambivalenz ortet Niederkrotenthaler, ebenfalls Mitautor des Leitfadens, im Fall Glattauer mit der (von diesem gewünschten, Anmerkung) Veröffentlichung des Interviews vor der Durchführung des assistierten Suizids. Daraus ergebe sich die potenzielle Problematik, dass hier eine "Tür zugemacht" werde - nämlich hinsichtlich der Möglichkeit, diese Entscheidung zu revidieren. Aus Österreich liegen hier zwar keine Zahlen vor, da dieser Weg erst seit 2022 rechtlich geregelt ist, jedoch würden im US-Bundesstaat Oregon, wo die Suizidbeihilfe seit 1997 legalisiert ist, "46 Prozent der Personen die letal wirkende Substanz nicht zu sich nehmen", so der Experte.
Marboe kritisierte auch die "detaillierte Beschreibung der Art und Weise, wie man sich das Leben nimmt" - ein Aspekt, der in der Suizidberichterstattung als grundsätzlich kritisch gesehen wird und dessen negative Wirkung auch wissenschaftlich belegt ist. Es sollte stattdessen das Gegenteil des "Werther-Effekts" vermittelt werden - wie etwa den Umstand, dass es Menschen gibt, "die sich ganz bewusst anders entscheiden".
Monokausale Sichtweisen vermeiden
Diese Ansicht deckt sich auch mit einer Empfehlung des österreichischen Presserats, der die Suizidberichterstattung 2012 in seinem Ehrenkodex verankert hat. Dieser empfahl 2022 unter anderem "in einem Suizidbericht Informationen anzuführen, wie eine suizidale Krise überwunden werden kann." Das sei ein Beitrag, um gefährdete Personen von einem Suizid abzuhalten ("Papageno-Effekt"). Grundsätzlich gelte es, eine monokausale Sichtweise auf multikausale Problematiken zu vermeiden, forderte Marboe. Das Leben sei vielschichtig und vielfältig und biete unterschiedliche Perspektiven an. Und so sollte man sich auch dem aktuellen Fall annähern.
Niederkrotenthaler hielt zudem fest, dass beim Thema assistierter Suizid in den Medien nicht auf die Angehörigen vergessen werden sollte - und deren Zerrissenheit zwischen der Solidarität mit dem Betroffenen und dessen Todeswunsch und dem eigenen Wunsch nach einer anderen Möglichkeit. Hier gelte es, auf spezielle Hilfsangebote aufmerksam zu machen, die etwa das Kriseninterventionszentrum Wien anbietet.
(S E R V I C E - Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter . Kriseninterventionszentrum Wien: - Leitfaden unter: )
(APA)
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