Aserbaidschan sieht große Chancen für Frieden mit Armenien

Sein Besuch sei Teil jenes laufenden Dialogs, den Aserbaidschan auf allen Gebieten mit Österreich pflege, und 2025 sei diesbezüglich bereits sehr intensiv gewesen, erklärte Amirbayov und verwies unter anderem auf Konsultationen der beiden Außenministerien sowie auf ein Treffen der Wirtschaftsminister Mikayil Jabbarov und Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) im Juni. Er selbst habe in den letzten Tagen mit dem Sonderbeauftragten des Bundeskanzlers für globale Fragen, Peter Launsky, dem Generalsekretär des Außenministeriums, Nikolaus Marschik, sowie mit Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) gesprochen, erzählte er in der aserbaidschanischen Botschaft, der ehemaligen Villa von Schauspieler Hans Moser, in Wien-Hietzing.
Unterzeichnung von Friedensvertrag nach Änderung der armenischen Verfassung
"Nach der Initiierung eines Friedensabkommens zwischen Aserbaidschan und Armenien in Washington vergangenen Monat treten wir in der Region (Südkaukasus, Anm.) in eine neue historische Ära, und wir haben es deshalb für lohnenswert erachtet, unsere österreichischen Kollegen und Freunde über den Stand der Dinge zu informieren", begründete Karrierediplomat Amirbayov seine Reise nach Österreich. Vor der Unterzeichnung des fertigen Friedensabkommens selbst, müsse jedoch sichergestellt werden, dass die legalen Rahmenbedingungen in beiden Ländern im Einklang mit dem Geist des Abkommens seien. Dies sei auch mit der armenischen Seite vereinbart worden.
Konkret nannte er "Probleme" mit der aktuellen armenischen Verfassung, deren Präambel Gebietsforderungen in Bezug auf Berg-Karabach beinhalte. Diese Region, die seit dem Zerfall der Sowjetunion völkerrechtlich stets als Teil des aserbaidschanischen Staates galt, war seit einem Krieg 1994 von armenischen Einheiten kontrolliert worden - damals war es zur Vertreibung von ansässigen Aserbaidschanern gekommen. 2020 und 2023 hatte Aserbaidschan jedoch das Gebiet in zwei Schritten zurückerobert und damit gleichzeitig auch einen Exodus der lokalen armenischen Bevölkerung ausgelöst.
"Sehr große Chancen für langfristigen Frieden"
Das zu unterzeichnende Friedensabkommen sehe einen wechselseitigen Verzicht auf territoriale Ansprüche vor, erläuterte der Mitarbeiter Aliyevs. "Wir haben sehr große Chancen für einen langfristigen Frieden und Stabilität in der Region", gab er sich optimistisch. Da Armenien und Aserbaidschan seinerzeit diesen Konflikt von der Sowjetunion geerbt hätten und auch seit ihrem Zerfall 1991 nie in Frieden miteinander gelebt hätten, fehle es zwischen den beiden Ländern einstweilen freilich an Vertrauen. Daran müsse man arbeiten.
Als wichtigen Schritt charakterisierte Amirbayov die auf armenischem Territorium geplante Errichtung einer 43 Kilometer langen Straßen- und Eisenbahnverbindung, die den Westen Aserbaidschans mit der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan verbinden soll. "Die Rede ist hier nicht nur von einer Verbindung von zwei Teilen Aserbaidschans, sondern auch zwischen Armenien und Aserbaidschan und zwischen Asien und Europa", charakterisierte er das traditionell "Sangesur-Korridor" genannte Projekt, das in Washington kürzlich in "Trump-Route für internationalen Frieden und Wohlstand" umgetauft wurde. "Das ist ein Friedensprojekt, von dem bei politischem Willen alle in der Region profitieren können", kommentierte er Kritik aus dem Iran. Im Umfeld der Regierung in Teheran war zuletzt Unmut über eine potenziell von den USA kontrollierte Route unmittelbar an der iranisch-armenischen Grenze zum Ausdruck gebracht worden, die auch eine wichtige iranische Exportverbindung über Armenien tangiert.
Zurückhaltung bei Spannungen mit Russland
Keinen Zweifel ließ der Diplomat indes, dass Aserbaidschan die nach der Unabhängigkeit 1991 begonnene "multivektorale" Außenpolitik fortsetzen will. "Es liegt in unserem Interesse in guten nachbarschaftlichen und stabilen Beziehungen nicht nur mit unseren unmittelbaren Nachbarn, sondern auch mit großen internationalen Stakeholdern zu sein", erläuterte er. Aserbaidschan nehme zwar seit 1994 am Partnership for Peace-Programm der NATO teil, sein Land habe aber nie den Wunsch geäußert, der NATO auch beizutreten. Zurückhaltend kommentierte er auch aktuelle Spannungen zwischen Baku und Moskau, die in beiden Staaten zur wechselseitigen Verhaftung von Staatsbürgern führten. Zu Erklärungen russischer Fernsehpropagandisten, die Aserbaidschan zuletzt einen Militäreinsatz androhten, wollte er nichts sagen. Für sein Land sei lediglich die Position des russischen Präsidenten und der russischen Regierung relevant.
Zu in Österreich laufenden Diskussionen über die Zukunft der "immerwährenden Neutralität" meinte Amirbayov, dass Aserbaidschan hier sich lediglich als äußerer Beobachter sehe. "Wir sind mit Österreich befreundet und wünschen ihm alles Gute", sagte er. Das letzte Wort in dieser Frage habe aber das österreichische Volk und dessen Einschätzung von Sicherheitsinteressen.
"Minsk-Gruppe" der OSZE versagte 28 Jahre lang
In der Geschichte der Beziehungen zur Europäischen Union seien Energiefragen der Eckstein gewesen, Aserbaidschan habe nicht nur weitere Öl- und Erdgasfelder erschlossen, sondern seit 2006 auch Infrastruktur geschaffen, um diese Rohstoffe zu westlichen Märkten zu transportieren. Zehn Länder in Europa, darunter acht EU-Mitgliedstaaten, erhielten aserbaidschanisches Erdgas. Nach Österreich, das nicht an den Südlichen Gaskorridor angeschlossen sei, würde lediglich Öl geliefert. Es wäre jedoch ein Fehler, die Beziehungen zwischen Baku und Brüssel auf Energiefragen zu reduzieren, erläuterte Amirbayov und sprach von einem wachsenden Interesse der EU etwa bei Transportfragen.
Kritisch kommentierte er indes die in Wien angesiedelte Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE): Die mit Beschluss vom 1. September aufgelöste "Minsk Gruppe" habe 28 Jahre lang bei Vermittlungsbemühungen im Konflikt um Berg-Karabach versagt. Derzeit sei es in der auf Konsens basierten Organisation angesichts von geopolitischen Konfrontationen unter Teilnehmerstaaten fast unmöglich, sich auf etwas zu einigen, konstatierte Amirbayov. Er wolle zwar optimistisch bleiben, aber "wenn es keine gemeinsame Sichtweise aller Mitgliedstaaten geben sollte, wie diese Organisation überleben kann, fallen mir Prognosen zu ihrer Zukunft schwer", betonte er. Potenzial für die OSZE sehe er lediglich bei Wirtschafts-, Umwelt-, Energie- und Verkehrsfragen.
Kein Problem mit Medienfreiheit
Zu häufiger Kritik westlicher NGOs am mangelnder Pressefreiheit in Aserbaidschan - "Reporter ohne Grenzen" sah das Land zuletzt etwa auf Platz 167 von 180 berücksichtigten Staaten -, zweifelte der Diplomat an der Objektivität dieser Einschätzungen. "Manchmal werden diese Berichte von Personen geschrieben, die Aserbaidschan noch nie besucht haben", erklärte er und beklagte, dass Vorwürfe oftmals aus dem Internet kopiert würden. "Zu einem Zeitpunkt haben wir verstanden, dass Menschenrechte als Vorwand verwendet wurden, um den Druck auf uns zu erhöhen. Und nicht aus dem ehrlichen Wunsch, dem Land zu helfen", erklärte der Diplomat.
Er denke nicht, dass es bei der Medienfreiheit in seinem Land ein Problem gebe: Das Internet sei frei wie auch oppositionelle, regierungsnahe und neutrale Medien. Jeder, der seine Meinung zum Ausdruck bringen wollte, könne dies auch tun. Dass sich Journalisten in Aserbaidschan im Gefängnis befänden, begründete der Diplomat mit Verbrechen, die nichts mit ihrer professionellen Aktivität zu tun gehabt hätten. Sechs Mitarbeiter des Internetportals "Abzas Media" und ein Journalist des US-finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty waren am 20. Juni in Baku wegen "Schmuggel von Fremdwährungen" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das in den USA beheimatete NGO "Komitee zum Schutz von Journalisten" (CPJ) hatte die Causa als den Versuch aserbaidschanischer Behörden beschrieben, die Überreste von unabhängigem Journalismus im Land zu beseitigen.
(Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA)
(APA)
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