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An der Hand durch die Traurigkeit

©Vorarlberger Kinderdorf
Für Trauer nicht zu klein: Wie wir Kinder gut begleiten können, wenn für immer alles anders ist. Aus der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs.

von Christine Flatz-Posch

Bis zum letzten Platz besetzt war der Publikumssaal von Russmedia, wo diesmal die Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs gastierte. Gute Gründe für das Leben seien gute Gründe für die Trauer, erklärte Mechthild Schroeter-Rupieper zu Beginn ihres Vortrags. Stattdessen würden Schmerz, Trauer und Tod jedoch unterdrückt, verdrängt und tabuisiert. „Was sind wir für eine Gesellschaft, in der wir nicht trauern dürfen?“, stellte die Trauerbegleiterin in den Raum. Dabei sei Trauer nicht auf den Tod beschränkt. Gründe zu trauern gäbe es viele – über die Trennung der Eltern, die verlorene Heimat, aber auch über ein verlorenes Fußballmatch.

Wenn das Herz bricht

„Kinder werden in ihrer Trauer nicht gesehen“, so Schroeter-Rupieper. Für Kinder sei es lebensentscheidend, dass wir ihnen Schmerz und Tränen zugestehen. „Wir haben die Kraft mitbekommen, damit ein zerbrochenes Herz wieder heilt, auch wenn dies manchmal lange dauert.“ Kinder an der Hand durch die Traurigkeit zu begleiten, bedeutet auch, keine Angst vor ihrem Weinen als „ganz normale und wichtige Reaktion“ zu haben. Immer wieder würde sie gefragt, wann Kinder einen toten Menschen sehen dürfen oder ab wann man ein kleines Kind mit auf eine Beerdigung nehmen kann. „Ab sofort, ganz egal wie alt das Kind ist, aber es darf dabei nicht alleine sein“, so die Antwort der gelernten Erzieherin.

Klartext statt Floskeln

Wenn für immer alles anders ist, wirkt auch Information als Schutzfaktor. „Man kann nur über etwas trauern, das man auch versteht“, spricht die Leiterin des Instituts für Trauerbegleitung in Gelsenkirchen aus ihrer reichen Erfahrungsschatzkiste. Das Verstehen des Todes kann je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes sehr unterschiedlich sein. Klartext reden sei weit hilfreicher als gängige Floskeln. „Ein Toter ist nicht über den Jordan gegangen oder eingeschlafen“, so die Trauerbegleiterin. „Wer eingeschlafen ist, wacht wieder auf, wer irgendwo hingegangen ist, kommt auch wieder zurück.“ Mechtild Schroeter-Rupieper rät zu konkreten Beschreibungen und wahrheitsgemäßen Erklärungen. „Wenn man tot ist, schlägt das Herz nicht mehr und hört das Blut auf zu fließen, der Körper wird kalt und starr.“ So könnten Kinder besser mit ihren Ängsten oder bedrohlichen Vorstellungen umgehen. „Ich hab‘ gedacht, wenn Mama tot ist, liegt in ihrem Bett ein Skelett“, meinte beispielsweise ein kleines Mädchen, dessen Mutter sterbenskrank war. Information hilft Kindern, den Tod zu begreifen. „Deutet nicht die Trauer eurer Kinder, sprecht mit ihnen, nehmt sie mit statt sie außen vor zu lassen“, so der Appell der Trauerbegleiterin.

Jeder trauert anders

Bei alldem könne sie keinen Leitfaden für „richtiges Trauern“ anbieten. „Gefühle haben viele Facetten. In einer Familie trauern nicht alle gleich.“ Trotz der eigenen Betroffenheit können Eltern gute Begleiter für Kinder in einer schweren Zeit sein. Mit Kindern sprechen, auch wenn man nicht auf alles eine Antwort hat, sie begreifen lassen, sie mit Ritualen unterstützen und ihre Trauer bestätigen, gebe Kindern Sicherheit und helfe ihnen dabei, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Auch über Selbstmord solle offen geredet werden. „Wie kriegt man eigentlich Suizid“, fragte ein Junge, dessen Mutter sich das Leben genommen hatte. Wenn Selbstmord in der Familie verschwiegen werde, dann würden wir damit eigentlich sagen: Wir schämen uns dafür.

Gute Gründe für das Leben

Der Vortrag von Mechthild Schroeter-Rupieper war ein eindringliches Plädoyer für mehr Offenheit, ehrliche Information und die Enttabuisierung eines Themas, das wir gerne verdrängen. Dabei gehört Trauern unabdingbar zum Leben – auch damit wir die guten Gründe spüren, für die es sich zu leben lohnt.

 

Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird gemeinsam mit dem ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/Fachbereich Kinder und Jugend finanziert. Sämtliche Vorträge können in der Vokithek des Vorarlberger Kinderdorfs unter www.vorarlberger-kinderdorf.at nachgehört werden.

Der nächste Wertvolle-Kinder-Vortrag findet am 27. 2. statt: „Vergiftete Kindheit entgiften“ des Kölner Suchtforschers und Psychotherapeuten Prof. Michael Klein.

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