AA

Alte Kultur neu inszeniert

Andelsbuch - Der 150 Jahre alte Stadel eines Bregenzerwälderhauses hat eine einzigartige Metamorphose durchlaufen. Architekt Ingomar Reumiller erfand den „nicht mehr gebrauchten Stall“ neu.
Zauber der Zwischenräume: Zuhause bei Familie Reumiller

Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Sagt Kafka. Der Verwandlung, die hier vor sich ging und die von Architekt Ingomar Reumiller als „Stadelmetamorphose“ bezeichnet wird, geht ebenfalls die Entscheidung voraus, eine Richtung einzuschlagen. Einfamilienhaus, Wohnung in der Stadt oder der Umbau des elterlichen Hinterhauses. Gemeint ist der Stadel eines gut 150 Jahre alten Bregenzerwälderhauses, ungenutzt und großteils marode. Doch gerade darin sah Reumiller die Herausforderung. „Beim Bauen im und am Bestand bieten sich alternative Möglichkeiten und Lösungen an“, schildert der 41- Jährige den besonderen Reiz. Und seinem Ökologiebewusstsein entsprechend kommt das Nutzen alter kulturträchtiger Bausubstanz sowieso entgegen.

Ställe und Stadel sind schließlich aus der landwirtschaftlichen Historie nicht wegzudenken. Ihr – sozusagen der Urform des Gebäudes – neue Funktion zu geben, ist ein Stück geschriebene Geschichte neu aufgelegt und damit Zukunft gestaltet. Sich dieser Aufgabe bewusst, wurde der intakte Teil des Stadels erhalten. Er befindet sich direkt zwischen dem Vorderhaus und dem neu gebauten Hinterhaus und wird auch als Zwischenzone genutzt. „Hier haben wir Platz zum Spielen und Basteln, wir haben eine Leinwand um unser persönliches Kino zu veranstalten oder wir stellen uns als Feststätte für den Werkraum zur Verfügung“, so Reumiller über die vielseitige Funkionalität der „Zwischenzone“. Die sogenannte „Intimzone“ – sprich der Neubau -– ist durch eine großzügige Glaswand von der Zwischenzone abgetrennt. Einblicke sind durchaus erlaubt und natürlich gleichzeitig Ausblicke auf Erinnerungen vor allem für Elisabeth Reumiller, die hier – in der ehemaligen Bäckerei – gelebt hat und aufgewachsen ist. Die Verschmelzung bietet ein Spannungsfeld, das in sich raffiniert die Vergangenheit und Gegenwart preisgibt. Die Fassade wurde stadeltypisch als stehender Schirm verlegt in einer Arrhythmie der Latten von zwölf, 15 und 18 Zentimetern. Im Rhythmus einer klingenden Melodie der fünfköpfigen Familie, die in einem „nicht mehr gebrauchten Stadel“ ihr neues Zuhause bewohnt.

Der Neubau stand außerdem ganz im Zeichen der Ökologie. So besteht das Haus größtenteils aus Holz, schätzungsweise zu 80 Prozent. Als Dämmmaterial verwendete Ingomar Reumiller Stroh. Insgesamt 15 Tonnen. Was sonst auf Heinzen vor dem Haus trocknet, sorgt innen für wohlige, warme und angenehme Atmosphäre. Selbst die Böden hat der umweltbewusste Architekt mit Splitt und Holzfaserdämmung als Trittschallschutz aufgebaut, um dann Weißtanneriemenböden sägerau oder geschliffen und geölt zu verlegen. Auch die alten Bretter aus dem Abbruch findet man wieder. Sie leben in den Rollen als Sitzbänke, Gartentische, Hochbeete und Sandkiste neu auf. Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Sagt auch Reumiller. Der ins seiner Konsequenz und Kreativität ein Kulturgut erhält. Für sich, seine Familie und für die Heimat, die in ihrer Verbundenheit zum Vergangenen gerade Familien eine perfekte Zukunft bietet.

DATEN & FAKTEN

,,Stadelmetamorphose”, Neuinterpretation des Stadels eines Bregenzerwälderhauses in Andelsbuch,

Elisabeth und Ingomar Reumiller mit Katharina (11), Pius (8) und Gabriel (5).

Wohnfläche: 150 m² und 21 m² Büro

Grundstück: 1000 m²

Architektur: DI Ingomar Reumiller

Holzbau: Sohm Holzbautechnik in Alberschwende

Planung: 2007 Bauzeit: Frühjahr 2008 bis 2010

Energie: Stampflehmofen als Ganzhausheizung mit solarer Unterstützung; Komfortlüftung mit Erdkollektoren

Konstruktion: Im Haus befand sich ehemals eine Bäckerei. Es handelt sich um ein für die Region typisches, rund 150 Jahre altes Bregenzerwälderhaus direkt im Kreuzungsbereich der Dorfstraße. Während die elterliche Familie von Elisabeth Reumiller im Wohnhaus blieb, entschied sich die junge fünfköpfige Familie für den Umbau des teilweise maroden Stadels. Erhalten blieb der intakte Bereich, der jetzt einen räumlichen Zwischenbereich zwischen Altbestand und Neubau darstellt. Der Neubau stand ganz im Zeichen der Ökologie. Zum Einsatz kam Holz, Stroh als Dämmmaterial und viel Lehm. Der Wohnbereich wurde aufgrund der befahrenen Straße nach oben verlegt. Zur Straße hin befindet sich das Büro.

Konstruktion: Die ,,Stadelmetamorphose”, wie Architekt und Bauherr Ingomar Reumiller seine Interpretation des Stadels nennt, ist auch in der aktuellen Ausstellung des vai – Vorarlberger Architektur Institut ,,Der nicht mehr gebrauchte Stall” zu sehen. Die Ausstellung kann von Dienstag bis Freitag, 14 bis 17 Uhr und am Samstag von 11 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung in der Marktstraße 33 in Dornbirn besichtigt werden. Weiter Infos unter www.v-a-i.at

 

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Schöner Wohnen
  • Andelsbuch
  • Alte Kultur neu inszeniert