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Afghanistan: Hoffnung auf Gerechtigkeit

Taxis drängeln sich durch die Straßen der afghanischen Hauptstadt Kabul, die Läden haben geöffnet, Menschen gehen ihren Geschäften nach: Auf den ersten Blick ist in Afghanistan gut drei Jahre nach dem Sturz der Taliban so etwas wie Normalität eingekehrt.

Doch die Bewohner leiden noch heute unter den Folgen von nahezu einem Vierteljahrhundert Gewalt und Krieg, und sie wollen Gerechtigkeit für das erlittene Unrecht.

Viele Afghanen haben ihr halbes Leben oder gar mehr in einem Klima der Gewalt verbracht: Zuerst während der sowjetischen Besatzung (1979 bis 1989), im anschließenden Bürgerkrieg (1992 bis 1996) und unter der brutalen Herrschaft der radikalislamischen Taliban (1996 bis Ende 2001). Wen man auch trifft auf den Straßen Kabuls – es gibt nicht einen Erwachsenen, der sich nicht an Gräueltaten und Misshandlungen erinnert. „Während des Bürgerkrieges habe ich Soldaten gesehen, die ein 19-jähriges Mädchen vergewaltigen wollten“, berichtet der 27-jährige Abdul Hakim, der eine Immobilienagentur betreibt. „Sie wollte ihre Ehre retten, also hat sie sich umgebracht.“

Taxifahrer Mohammed Nasir erzählt, wie er zur Zeit der Taliban einen mit Stacheldraht erhängten jungen Mann sah und wie im Kabuler Zentralstadion Taliban Frauen köpften. Auch der frühere Beamte Ghulam Sachi hat schlimme Erinnerungen: „Während des Bürgerkrieges sah ich eine rennende Frau. Ich fragte sie, was los ist. Sie berichtete, dass es weiter entfernt Kämpfe gebe und ihre ganze Familie dabei getötet wurde. Ihr kleines Kind, das sie auf dem Rücken trug, wurde tödlich getroffen.“

Kriegsverbrechen wurden von allen Konfliktparteien während der sowjetischen Besatzung, dem Bürgerkrieg und der Taliban-Herrschaft begangen, darunter Massen-Vergewaltigungen, groß angelegte Massaker, Massen-Hinrichtungen und wahllose Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung. Einer jüngst veröffentlichten Studie der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission zufolge entging nahezu niemand den weit verbreiteten Gewalttaten völlig unangetastet. Von den 4.151 für die Studie befragten Afghanen sagten 69 Prozent, sie selbst oder ein direkter Angehöriger seien in den 23 Jahren Opfer schwerer Menschenrechtsverbrechen geworden.

Ein Viertel der Befragten hatten mindestens ein getötetes Familienmitglied zu beklagen, rund ein Zehntel berichteten, sie selbst oder enge Verwandte seien gefoltert oder verhaftet worden. „Dies sind Schwindel erregende Zahlen verglichen mit anderen Konflikten in der Welt“, urteilten die Autoren der Studie.

Die Menschenrechtsorganisation Afghanistan Justice Project (AJP) dokumentierte in einem Bericht einige der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der vergangenen Jahrzehnte. Laut AJP sind auch der Nach-Taliban-Verteidigungsminister Mohammed Kassim Fahim und sein Stellvertreter Abdul Rashid Dotum möglicherweise in diese Verbrechen verwickelt, wenn auch vielleicht nur wegen mangelnden Eingreifens. Ebenfalls von den Menschenrechtlern als schuldig benannt wurde der Führer der Ittihad-i-Islami-Partei, Abuld Rasul Sajjaf, sowie der Führer der verbotenen Hesb-i-Islami-Partei, Gulbuddin Hekmatjar. Sie alle sind bisher vor kein Gericht gestellt worden.

„Die Regierung muss die Kriegsherrn und die Verbrecher fragen, warum sie diese Verbrechen begangen haben“, fordert Taxifahrer Nasir. Der frühere Beamte Sachi stimmt zu: „Sie müssen ein Sondergericht bilden, um diese Leute zur Verantwortung zu ziehen.“ „Ich hoffe, dass eines Tages alle diese Kriminellen vom Volk vor Gericht gestellt werden“, sagt der Textilienhändler Mohammed Jakub.

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