Ägypten: Armee übernimmt die Kontrolle - Mursi abgesetzt

Er kündigte zudem neue Präsidentschaftswahlen und die Aufhebung der im Vorjahr beschlossenen, von den Islamisten ausgearbeiteten Verfassung an. “Die Armee will nicht an der Macht bleiben”, versicherte Al-Sisi.
Feuerwerk am Tahrir-Platz
In Kairo wurde die Ankündigung mit Freudenkundgebungen begrüßt. Feuerwerksraketen stiegen in den Himmel, hupende Autokorsos kreuzten durch die Stadt. Auf dem Tahrir-Platz, wo sich Zehntausende Mursi-Gegner versammelt hatte, feierten die Menschen schon in den frühen Abendstunden den Abgang des Präsidenten. Die Islamisten wollen hingegen seine Entmachtung nicht hinnehmen.
Der Ankündigung des Armeechefs war ein Krisentreffen der Militärführung mit den Spitzen der Opposition und hohen kirchlichen Würdenträgern vorausgegangen. Unter ihnen waren der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, Vertreter der Protestbewegung “Tamarud”, der Großscheich der Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyib, und der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. Sie waren mit im Bild zu sehen, als Al-Sisi die Erklärung verlas, die bei dem Treffen vereinbart wurde.
Ultimatum am Mittwoch abgelaufen
Das Militär hatte Mursi bis Mittwochnachmittag Zeit gegeben, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Millionen Menschen hatten bei Kundgebungen in den vergangenen Tagen den Rücktritt Mursis gefordert. In einer ersten Reaktion nach der Erklärung der Streitkräfte rief der entmachtete Präsident seine Anhänger zum friedlichen Widerstand auf. Sie sollten mit friedlichen Mitteln gegen den “Staatsstreich” des Militärs aufbegehren, sagte ein enger Vertrauter Mursis.
Fernsehsender der Islamisten abgeschaltet
Unmittelbar nach der vom Militär verkündeten Entmachtung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi sind auch Fernsehsender der Islamisten offenbar abgeschaltet worden. Beim Sender “Misr25” der Muslimbruderschaft wurde die Ausstrahlung schlagartig unterbrochen, berichteten Augenzeugen am Mittwoch. Auch der Islamistensender “Al-Hafes” und der Salafistensender “Al-Nas” seien betroffen, berichtete die staatliche Zeitung “Al-Ahram” in ihrer Online-Ausgabe.
Live-Stream vom Tahrir-Platz in Kairo:

Hunderte Soldaten vor Präsidentenpalast
Zwei Stunden nach Ablauf des Ultimatums am Mittwochnachmittag beobachteten Augenzeugen, wie gepanzerte Fahrzeuge und Mannschaftstransporter in der Nähe einer Versammlung von Mursis Anhängern in Kairo Stellung bezogen. Am Präsidentenpalast marschierten Hunderte Soldaten auf und demonstrierten Stärke. Vor dem Staatsfernsehen waren bereits am Nachmittag gepanzerte Fahrzeuge aufgefahren. Mitarbeiter, die nicht mit aktuellen Sendungen beauftragt waren, wurden nach Hause geschickt.

Armee versuchte zu vermitteln
“In diesen Tagen kann kein Staatsstreich angesichts einer großen Menschenmenge ohne schweres Blutvergießen ablaufen”, warnte vorab Sicherheitsberater Haddad. Anhänger und Gegner Mursis waren bereits in der Nacht zum Mittwoch aneinandergeraten. Dabei starben mindestens 16 Menschen. Armeechef Abdel Fattah al-Sisi hatte kurz vor Ablauf des Ultimatums demonstrativ das Gespräch mit Vertretern der Parteien und der Religionsgemeinschaften gesucht. Die Muslimbrüderschaft, die Mursi nahesteht, boykottierte das Treffen allerdings.
Ausreiseverbot gegen Mursi
Gegen Mursi wurde ein Ausreiseverbot erlassen, wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Sicherheitskreisen erfuhr. Auch eine Reihe führender Mitglieder der Muslimbrüderschaft darf das Land nicht verlassen. Die Anordnung stehe im Zusammenhang mit ihrer mutmaßlichen Verwicklung in einen Gefängnisausbruch im Jahr 2011. Vertreter des Flughafens in der Hauptstadt Kairo bestätigten, es gebe eine Anordnung, Mursi und führende Muslimbrüder, darunter ihren Obersten Führer Mohammed Badie und seinen Stellvertreter Khairat al-Shater, an Auslandsreisen zu hindern. Mursis Kommunikationsberater Yasser Haddara sagte Reuters, es sei unklar, ob der Präsident die Kaserne der Republikanischen Garden verlassen und in den Präsidentenpalast zurückkehren könne. Er habe den Tag über keinen Kontakt mit der Führung der Streitkräfte gehabt.
Mursi von Ultimatum unbeeindruckt
Am Dienstagabend hatte Mursi in einer Fernsehansprache noch einmal seinen Rücktritt abgelehnt und das mit der Legitimität seiner Wahl begründet. Er ist der erste frei gewählte Präsident des Landes. Auch am Mittwoch zeigten weder Mursi noch Armeechef Sisi oder Vertreter der Opposition die Bereitschaft zum Einlenken. Kurz vor Ablauf des Ultimatums bot der Präsident erneut die Bildung einer Koalitionsregierung an. Diese Regierung könne vorgezogene Parlamentswahlen vorbereiten und Verfassungsänderungen ausarbeiten. Denselben Plan soll aber auch das Militär haben, sollte es die Regierung tatsächlich absetzen. Mursis Angebot könnte also ein Versuch sein, die Generäle zu beschwichtigen.

Armee sprach von den “letzten Stunden
Mursi sei bereit, im Kampf für die Demokratie notfalls auch zu sterben, sagte sein Sprecher Ayman Ali. Der Präsident ziehe den Tod einem schlechten Ruf in der Geschichte vor. Auch Vertreter der Muslimbruderschaft zeigten sich zum Märtyrertod bereit. Die Armee warnte wiederum in einer Erklärung mit der Überschrift “Die letzten Stunden”, sie sei zum gewaltsamen Einschreiten bereit. Bei dem Treffen Sisis mit Vertretern der Opposition, des Islam und der koptischen Christen forderte Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei ein Einschreiten der Armee, um weiteres Blutvergießen zu verhindern.
Der Plan: Übergangsregierung und neue Verfassung
Nach nicht bestätigten Berichten ägyptischer Medien soll nun ein aus drei Mitgliedern bestehender Präsidialrat gebildet werden, an dessen Spitze der Vorsitzende des Verfassungsgerichts stehen soll. Zudem solle eine neutrale Übergangsregierung gebildet werden, angeführt von einem Militärvertreter. In einer neun- bis zwölfmonatigen Übergangszeit würde dann eine neue Verfassung erarbeitet und der Weg zu Präsidentschaftswahlen geebnet. Aus Militärkreisen verlautete dagegen, bei Berichten über den Zeitplan handle es sich nur um Prognosen.
Tausende auf dem Tahrir-Platz in Kairo
Am Mittwoch waren den ganzen Tag über Mursis Gegner auf den Tahrir-Platz in Kairo geströmt. In Volksfeststimmung ließen sie das Ultimatum auslaufen, jubelten und schwenkten ägyptische Fahnen. Die Proteste richteten sich gegen Pläne Mursis, das Leben in Ägypten strengen islamischen Regeln zu unterwerfen, und gegen die schlechte wirtschaftliche Lage.
USA: “Lage ist unübersichtlich”
Während der vergangenen Tage telefonierte Sisi, der einen Teil seiner Ausbildung in den USA absolviert hatte, mehrmals mit Verteidigungsminister Chuck Hagel. Das teilte das Verteidigungsministerium in Washington mit, machte aber wegen der aus seiner Sicht sensiblen Lage keine weiteren Angaben. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte, die Lage in Ägypten sei derzeit unübersichtlich. Man könne nicht bestätigen, dass das Militär einen Putsch begonnen habe.
International zeigte man sich besorgt über die Lage in Ägypten: EU-Außenbeauftragte Cathrine Ashton rief zum Dialog auf, ebenso wie das deutsche Auswärtige Amt. Der saudi-arabische Großmufti Abdulaziz Al al-Scheich rief die Ägypter zur Zusammenarbeit und zur Vermeidung schwerer Auseinandersetzungen auf.
Börse reagiert mit steigendem Ölpreis
Die Krise schlug auch auf die Märkte durch: Der Leitindex der Kairoer Börse fiel um 1,5 Prozent, das ägyptische Pfund gab gegenüber dem Dollar nach, und auch der Ölpreis zog auf ein 14-Monatshoch an. Die ägyptische Zentralbank ordnete die Schließung aller Banken bis Donnerstag an.

Fast hundert sexuelle Übergriffe auf Tahrir-Platz
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