AA

Abramovi? glaubt nicht, dass Kunst die Welt verändern kann

Performance-Ikone weilt derzeit in Wien
Performance-Ikone weilt derzeit in Wien ©APA/HELMUT FOHRINGER
Man könnte meinen, Marina Abramović wäre im Stress. Zur Eröffnung ihrer Retrospektive in der Albertina Modern konnte sie nicht kommen, weil ihre Performance "Balkan Erotic Epic" in Manchester Premiere feierte, in zehn Tagen steht mit "Ulay/Marina Abramović. Art Vital" die nächste Schau in Ljubljana an. Von Stress war allerdings wenig zu spüren, als die 78-jährige Performanceikone am Mittwoch in Wien vor Journalisten über ihre Vergangenheit, Vorhaben und Vision sprach.

"Ich bin wie ein Soldat. Ich muss regelmäßig essen und schlafen, dann geht alles. Sie sollten meinen heutigen Terminplan sehen", verrät Abramović ihr Geheimnis. Hinzu kommen regelmäßige Auszeiten, die sie oft in Fuschl verbringt, wie sie erzählt. Die ursprünglich für das Bank Austria Kunstforum in Kooperation mit der Londoner Royal Academy of Arts konzipierte Retrospektive wird sie am heutigen Nachmittag besuchen, gestern Abend hielt sie im ausverkauften Stadtkino eine Lecture, die so ausverkauft war, dass sie eine Gruppe junger Performancestudenten, die keinen Platz bekamen, zu sich auf die Bühne einlud, um in deren Mitte über ihre bekannten Langzeitperformances zu sprechen. "Ich habe mittlerweile ein enorm junges Publikum. Jüngst ist ein 14-Jähriger zu mir gekommen und hat gesagt: 'Sie haben mein Leben verändert.' Und ich dachte: Hey, du bist gerade 14, wie kann ich dein Leben verändert haben?".

"Meine Generation interessiert sich nicht mehr für Neues"

Auch passiere es ihr ständig, dass junge Menschen ihr einen Kaffee ausgeben, weil sie ihre Arbeiten aus Social Media kennen. Umso mehr bedauert sie es, dass die Ausstellung in Wien erst ab 16 Jahren freigegeben ist, was Albertina-Generaldirektor Ralph Gleis jedoch mit gesetzlichen Vorgaben erklärte. "Zur Not sagen Sie einfach, das sind meine Kinder, und ich gehe mit ihnen rein", lachte Abramović. Mit Gleichaltrigen kann sie wenig anfangen: "Meine Generation ist in Pension, sie interessiert sich nicht mehr für Neues und beschwert sich dauernd."

Deshalb umgebe sie sich hauptsächlich mit jüngeren Menschen. Auch sich selbst hat sie für ihr "Avatar"-Projekt, in dem sie dem Betrachter als digitale Replikation begegnet, jünger gemacht. "Ich zeige mich mit etwa 60. Damals bin ich in die Phase der Weisheit eingetreten, die es mir ermöglicht hat, anderen Leuten etwas beizubringen." Mittlerweile gehe es ihr - auch in ihrer Kunst - darum, jeden Tag so zu leben, als wäre es der letzte. Daraus sind ihre kontemplativen Performances wie etwa "Counting the Rice" entstanden, wo auch Ausstellungsbesucher zur Ruhe kommen können.

Begräbnis als letzter performativer Akt

Angesichts ihres nahenden 80. Geburtstags mache sie sich auch manchmal Gedanken, wie viel Zeit ihr noch bleibe. "Vor zwei Jahren wäre ich fast an einer Lungenembolie gestorben", erinnert sie sich. Aber dann denke sie wieder daran, dass ihre Großmutter 103 und ihre Urgroßmutter gar 108 Jahre alt geworden seien. Nichtsdestotrotz hat sie bereits Pläne für ihr Begräbnis. "Es werden drei Körper begraben werden. In Belgrad, New York und Amsterdam. Und niemand wird wissen, wo nun mein echter Körper liegen wird." Ihr Begräbnis soll ein Fest werden, "niemand trägt schwarz, es herrscht ein schmutziger, politisch inkorrekter Humor, viel Musik und Freude."

Dokumentiert wird das Begräbnis von Filmemacher Pablo Larraín, der Abramović für den geplanten Film bereits jetzt begleitet. Dafür habe sie die prägenden Orte ihres Lebens besucht, nächstes Frühjahr steht ihre Heimatstadt Belgrad auf dem Programm. "Das wird der schmerzvollste Teil dieser Dreharbeiten", seufzt die Künstlerin, deren Augen aber gleich wieder aufleuchten: "Und der Witz wird sein - ich werde diesen Film nie sehen, weil er erst nach meinem Tod fertig wird." Und falls der heute 49-jährige Regisseur vor ihr sterben sollte? "Dann drehe ich sein Begräbnis und veröffentliche den Film danach."

Verbindung zum Publikum durch Verletzlichkeit

Am Anfang ihrer Karriere habe sie kein Geld gehabt, um ihre Performances anders als mit Fotografien zu dokumentieren, später kam Video dazu. "Damals war es unter Performancekünstlern verpönt, etwas Bleibendes zu schaffen. Aber ich habe mich dagegen gewehrt", erinnert sie sich. So sei sie auch froh, dass sie alle 736 Stunden ihrer New Yorker Performance "The Artist ist Present" filmisch dokumentiert habe, die nun auch in der Ausstellung für das Publikum erlebbar gemacht wird. "Das ist für mich ein Beweis, dass ich das wirklich gemacht habe", lacht die gebürtige Serbin. In dieser Performance sei sie wirklich in Verbindung mit den Besucherinnen und Besuchern getreten. "In meiner Verletzlichkeit habe ich eine Verbindung zu meinem Publikum geschaffen."

Auf die verschärften Bedingungen für Künstler und Intellektuelle in ihrer Wahlheimat Amerika angesprochen, wo Abramović mittlerweile lebt, hat sie eine klare Antwort: "Ich habe auch in Amsterdam gelebt, aber das Leben dort ist zu einfach. In den USA zu leben, ist schwierig. Aber ich brauche das. Ich arbeite gerne unter schwierigen Umständen." Jungen Künstlern rät sie, früh ihr Land zu verlassen und erst später wieder zu kommen. "Im eigenen Land wird man nie leichtsinnig oder rücksichtslos sein. Aber genau das muss man als Künstlerin. Man verlässt sein Land, um zu lernen." Ob Kunst die Welt verändern kann? "Kunst kann einen Scheiß verändern, geschweige denn die Welt. Sie kann nur dazu führen, das Bewusstsein einzelner Menschen zu verändern."

Bis zum Samstag bleibt Abramović noch in Wien, schließlich eröffnet in dieser Woche noch eine weitere Ausstellung: Die Galerie Krinzinger zeigt zum 50-jährigen Jubiläum der legendären Performance "Thomas Lips" in Innsbruck nun in Wien eine gleichnamige Ausstellung (21. November bis 18. Februar), die auf der Wiederentdeckung bisher unveröffentlichter Negative beruht.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Marina Abramović" in der Albertina Modern, Karlsplatz 5, 1010 Wien, bis 1. März 2026. . Ausstellung "Thomas Lips" im Showroom der Galerie Krinzinger, 21. November bis 18. Februar 2026, )

(APA)

  • VOL.AT
  • Kultur
  • Abramovi? glaubt nicht, dass Kunst die Welt verändern kann